Der falsche Schah. Leonhard F. Seidl
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der falsche Schah - Leonhard F. Seidl страница 5
Auf alle Fälle ist der Vater vom Schah 1921 mit seiner Kosakenhorde in Teheran einmarschiert. Und wie durch Zufall, aber an Zufälle glaubte der Bartholomäus auch damals, als zweijähriger Bub, nicht, hat er sich genau am selben Tag Vaters Stahlhelm aus dem Ersten Weltkrieg aufgesetzt. Und kaum hat er ihn aufgehabt, hat er die Hendlbrust rausgestreckt – er war nämlich unterwegs, wie ihn Mutter Natur geschaffen hat – und hat die spindeldürren Haxen in die Luft gestochen, wie es sich gehört. Wo er das wieder hergehabt hat, frag mich nicht, vielleicht aus seinen deutschen Genen.
Er marschiert also wie eine Eins durch das Wohnzimmer – gut, bis auf dass der Helm ihn eher zu einem Deserteur als zu einem Soldaten gemacht hat, weil der immer verrutscht ist und ihm die Sicht auf die Frontlinie, also die imaginierte, verdeckt hat. Und da hat er gespürt, der Klein-König, dass ihm was fehlt. Und zwar die Waffe. Weil: Ein Soldat braucht eine Waffe, sonst ist er ja kein Soldat. Also hat er sich den Holzschemel vor den Schrank geschoben und sich die Luger vom Vati, die der immer noch geölt hat – vielleicht hat er geahnt, dass wieder ein Krieg kommen wird –, geschnappt und schon hat das Marschieren noch besser hingehauen, dass sogar der Kaiser in seinem niederländischen Exil gesagt hätte: Servus! Bloß hat das damals keinen mehr interessiert, ob der Wilhelm Servus sagt oder nicht, weil der davor schon so viel Schmarrn erzählt hatte.
Der König-Stempf marschiert so durchs Wohnzimmer mit der Luger in der Hand. Schwungvoll, zackig. Da löst sich ein Schuss und trifft den Kaiser zwischen die Augen.
Ihr fragt euch jetzt sicher, wie das gehen kann, wenn der Kaiser doch in den Niederlanden im Exil saß. Es war nämlich so: Der Vater vom König war immer noch ein Kaisertreuer, weswegen er auch so gegen die Roten gehetzt hat, weil die nach seiner Meinung ja Schuld waren am verlorenen Krieg. Außerdem hat er sich nie wieder so gut gefühlt wie damals im Krieg. So kurz vor dem Sterben, da fühlt man sich eben so richtig lebendig. Nicht einmal im Bett mit der Mutti hat er sich so vital gefühlt, obwohl der Orgasmus ja im Französischen auch „der kleine Tod“ genannt wird. Daran hat die Mutti wiederum nicht einmal denken wollen und weil der Vati sowieso einen Brass auf die Franzosen gehabt hat seit dem Krieg, hätt sie es schon dreimal nicht aussprechen dürfen, weil: sonst hätt es Krieg gegeben im Schlafzimmer. Tja. Wie es der Exil-Kaiser mit französischen Lehnwörtern gehalten hat, ist mir nicht bekannt, auf jeden Fall hat der König-Vater immer noch ein Bild von seinem vergötterten Wilhelm in der Stube hängen gehabt.
Der Bartholomäus ist vom Schuss dermaßen erschrocken, dass er es auf einmal ganz pressant – auch so ein sprachliches Überbleibsel der Franzosen auf bayerischem Hoheitsgebiet – gehabt und sich gedacht hat, wenn er jetzt nicht gleich aufs Töpfchen geht, dann gibt’s eine Sturzflut. Und nachdem die Mutter den Boden gewohnheitsmäßig zweimal wöchentlich gebohnert hat, wär diese Flut nicht ganz so schnell aufgesaugt worden – was der Bartholomäus natürlich nicht gedacht hat, weil er zwar schon ein gescheites Bürscherl war, aber so gescheit auch wieder nicht. Es war wieder einmal mehr so ein Gefühl, wie wenn er eben dringend … Also hat er sich den Stahlhelm vom Vati geschnappt, vor sich hingestellt und hineingepieselt und schon ist es ihm wieder besser gegangen, auch wenn das komische Gefühl dadurch nicht ganz weggegangen ist.
Der letzte Tropfen ist gerade so in den Stahlhelm hineingetröpfelt, da hört er die Schritte vom Vati, draußen vor der Tür. Er rennt davon, in sein Kinderzimmer, hört: „Ja, was is denn da los!“ Und ein Platschen.
Das war das erste und das letzte Mal, dass der König Senior den Boden gewichst hat, sofern man das in dem Fall überhaupt sagen kann, weil so emanzipiert waren die Mannsbilder damals noch nicht und der Vati vom Bartholomäus schon dreimal nicht. Der hat seinen Spross lieber angeplärrt: „Du Esel! Was hast du dir dabei gedacht?“
Auf zur Folterkammer
Der Regen drischt am Feuerkessel hinter dem Marktplatz auf den König ein. Trotzdem zeigt er Haltung und stolpert nicht über das Kopfsteinpflaster. Schreitet bergab durch das enge Rosmaringässchen, in dem er auf einmal einen unbändigen Hunger auf Kartoffeln kriegt; mit Rosmarin. Wie sie seine Mutter kocht, wie keine andere – wo ihn seine Mutter beim Essen schimpft und straft wie keine andere. Wenn auch nur der kleinste Rosmarinzweig neben dem Teller oder gar auf dem Boden landet … Wär er ohne sie jetzt da? Vorwärtsgetrieben von zwei iranischen SAVAK-Geheimagenten, die nicht wissen, ob sie ihn wie einen Betrüger oder ihren verehrten Schah von Persien behandeln sollen. Berüchtigt wegen ihrer Foltermethoden. Die selbst ihr royaler Dienstherr offiziell nicht kennt, damit er nicht dafür belangt werden kann.
Und das ist jetzt der gravierende Unterschied zwischen dem Schah und dem König. Der König kennt die Foltermethoden, wissentlich, und das würde er auch jederzeit zugeben. Ob das in der Situation, in der er steckt, einen Unterschied macht, weiß ich nicht, aber du vielleicht.
Stumm stolpern sie hinter ihm her, die Agenten, über das bucklige Kopfsteinpflaster, weil sie es eben nicht so gut kennen wie der König. Was ihm sehr zupasskommt, weil ein Schah nicht zu stolpern hat. Er bleibt sogar einmal kurz stehen, während sie die Mauer aus grauem Stein passieren, aus der sich nur manchmal ein grünes Pflanzerl den Weg in die Freiheit bahnt, dreht sich um, nimmt die Sonnenbrille ab und sagt mit tiefer Stimme: „Bewahren Sie Contenance, meine Herren, wir sind hier zu Gast.“
Die Steinfassaden der Häuser verengen das Gässchen, als würden sich weitere Wolken vor die Sonne schieben. Die Tropfen schlagen trotzdem noch auf den König ein, dem der Regen das Genick entlang unter Anzug, Hemd und Unterhemd läuft. Seine Schultern werden nass und schwer. Er hat das Gefühl, von den Fassaden erdrückt zu werden. Nur der Rundbogen der Tür des roten Fachwerkhauses und die steinern umrahmten Fenster lassen ihn stellenweise aufatmen. An diesem Nachmittag mit abnehmendem Licht weisen die iranischen Agenten dem König den Weg nach rechts in die Kirchgasse, schon ein bisserl vorsichtiger nach der Rüge vom Chef. Genau in dem Moment biegt auch ein junger Schutzmann ums Eck. Und zwar exakt der, der ihn gestern Abend vorm Hotel Eisenhut abgeklopft und durchsucht hat, bevor er zur Farah Diba rein ist. Der Schandi ist einen Kopf kürzer, also ungefähr so groß wie der kleinere der zwei Agenten, schießt ums Eck und rennt mit seinem kantigen Schädel genau in dem König seinen Krawattenknoten. Und zuckt dermaßen zusammen, dass der König meint: Jetzt fällt er gleich um. Der Schutzmann sagt aber dann nur mechanisch: „Grüß Gott.“ Und lässt den König stehen.
In der Kirchgasse weitet sich die Straße. Die Jakobskirche vor ihnen. Der Blick durch das Tor stadtauswärts: der graue Himmel. Vögel. Freiheit! Eine letzte Möglichkeit zur Flucht. Um des Überlebens willen.
Als hätt der Größere dem König seine Gedanken geahnt, packt er ihn unauffällig am Arm, schiebt ihn weiter. Über die Straße. Sein Griff: eisern. Der Applaus der Rothenburger: vergangen. Gestern, beschirmt vom Bürgermeister Ledertheil. Farah Diba neben ihm. In der weltbekannten Kirche hat Dekan Kirchenrat Kelber den berühmten Riemenschneider Heilig-Blut-Altar erklärt. Ja, Blut wird fließen. Auch heute: Königs Blut. Ob die Abendmahlszene aus einem Holz geschnitzt sei, hat Farah Diba wissen wollen. Oh, Farah.
In der abschüssigen Klostergasse legen die Agenten einen Zahn zu. Der Große vor dem König, der Stempf hinter ihm. Auf dem rechten Gehweg, wie es sich gehört, nur nicht auffallen. Die wenigen Passanten, die ihnen im Regenwetter entgegenkommen, verstecken sich unter ihrem Schirm.
Wenn der König nach dem winzigen Birnbaum, der dort drüben am Haus sprießt, jetzt rechts abbiegen würde, wäre er in wenigen Minuten zuhause, bei seiner Anna. Tät erfahren, ob Aurelia wieder frei oder ob ein Anwalt informiert worden ist. Es geht bergab, das Regenwasser fließt mit. Die riesige, hohe Mauer vom Klostergarten neben ihnen.
Eine schwarze Katze huscht über der Straße, der Große