Populismus, Hegemonie, Globalisierung. Stuart Hall

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Populismus, Hegemonie, Globalisierung - Stuart  Hall

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regulierte Einkommen und Löhne und stärkte eine alternative Form der Entscheidungsfindung jenseits des Parlaments – den Prozess einer korporatistischen Aushandlung zwischen Staat, Kapital (CBI) und Arbeit (TUC). Die Ausdehnung des Staates in die ganze Fabrik der Zivilgesellschaft und des Privatlebens hinein gehörte par excellence in diese Zeit.

      Hier brechen die Sichtweisen über den modernen liberalen, demokratischen Staat auf und polarisieren sich. Reformisten stützten grundsätzlich die erweiterte Rolle des Staates als ein Instrument für mehr soziale Gerechtigkeit und Gleichheit. Einige ›Rationalisierer‹ glaubten, dass ein ›großer Staat‹ notwendig sei, um die komplexe Ökonomie und eine entwickelte Gesellschaft zu koordinieren. Andere Theoretiker wiederum waren der Ansicht, der fortgeschrittene Kapitalismus könne nicht überleben, ohne in eine Partnerschaft mit einem mächtigen Staat zu treten (›staatsmonopolitischer Kapitalismus‹). Sozialdemokraten sahen sich bestätigt, dass der Staat genutzt werden kann, um die ärgsten Effekte des kapitalistischen Wettbewerbs auszugleichen, ohne das System zu zerstören.

      Andere wiederum wendeten sich energisch gegen die korporatistische Entwicklung insgesamt. Als die günstige britische Wirtschaftskonjunktur in den 1960er Jahren zu wanken begann, und noch entscheidender, als die weltweite kapitalistische Rezession sich ab der Mitte der 1970er Jahren vertiefte, war der interventionistische Staat weitreichender Kritik ausgesetzt. Er sei ineffizient und vergeuderisch: ein ›Verschwendungs‹-Staat. Zu viel Wohlfahrt, so wurde behauptet, habe die moralische Grundhaltung der Nation ausgehöhlt: der ›Versorgungs‹-Staat. Er wecke Erwartungen, die er nicht halten könne: der unregierbare Staat. Er stelle eine Bedrohung für die Rechte und Freiheiten des Individuums dar: ›schleichender Totalitarismus‹.

      Was stattdessen vorgeschlagen wurde, war eine Umkehrung der bisherigen Entwicklung: Vorteil aus der Krise ziehen, um den ›Staat zurückzudrängen‹. Daher die Vorschläge, die Staatsintervention einzudämmen, Staatsbürokratie und öffentliche Ausgaben zu beschneiden, den Sozialstaat abzubauen, die staatlich geführten Unternehmen in die Privatwirtschaft zurückzuführen (›Privatisierung‹), den Trend zum Kollektivismus zu brechen, die Macht der Gewerkschaften zu begrenzen, den wettbewerbsorientierten Individualismus wieder zu stärken und die Doktrinen des Wirtschaftsliberalismus, die das Programm der ›Neuen Rechten‹ prägten, wieder durchzusetzen. In den 1980er Jahren wurde dieses Programm zum vorherrschenden Leitbild in Großbritannien. Es kennzeichnet eine Bewegung zur Restauration des Ideals vom klassischen liberalen Staat, aber unter den Bedingungen des Spätkapitalismus im 20. Jahrhundert: deshalb der neoliberale Staat.

      Diese schematische Darstellung fokussiert auf eine außergewöhnliche historische Abfolge. Sie entwirft eine besondere Entwicklungslinie hinsichtlich des modernen ›großen Staates‹. Sie verdeutlicht, warum die Frage nach dem Staat wieder zum Kernpunkt in den Auseinandersetzungen der britischen Politik und in anderen liberalen Demokratien wurde.

      Einige grundlegende konzeptionelle Auffassungen

      Quentin Skinner (1978) erkannte in seiner Untersuchung The Foundations in Modern Political Thought, dass zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Vorstellung vom Staat – sein Wesen, seine Macht und sein Recht, Gehorsam zu verlangen – zum wichtigsten Objekt der Analyse im europäischen Denken wurde. Er identifizierte diesen Moment bei Hobbes, der sich in seinem Werk einer »ernsthafteren Untersuchung der Rechte des Staates und der Pflichten seiner Untergebenen« zuwandte. Im 17. Jahrhundert »können wir sagen, dass die moderne Welt betreten wird: die moderne Theorie des Staates muss erst noch entworfen werden, aber ihre Fundamente liegen vollständig vor« (349). Welche Merkmale und Charakteristiken des Staates lassen Skinner dies behaupten?

      Das erste Element ist die Auffassung von ›der Macht‹ des Staates – ›sein Recht, Gehorsam zu verlangen‹. Natürlich, Staaten haben auch Pflichten gegenüber ihren Bürgern, z. B. ihr Leben und Eigentum zu schützen oder sie gegen äußere Angriffe zu verteidigen. Und Bürger haben normalerweise auch Rechte; obwohl diese vom einen zum anderen Staatstyp beträchtlich variieren. Aber Hobbes’ Betonung liegt auf Ersterem. Der Staat sei selbst eine Macht – die hauptsächliche und höchste Autorität – im Land. Und er übe diese Macht aus, indem er uns seine Herrschaft auferlege und von uns Gehorsam verlange. Der Staat habe viele andere Funktionen, aber im Wesentlichen gehe es beim Staat um Herrschaft.

      Herrschaft kann viele Formen annehmen – Monarchie, Demokratie, Diktatur etc. Aber wo auch immer der Staat der Souverän ist – die höchste Autorität –, schließt dies die Unterwerfung seiner Untergebenen unter die Macht des Staates mit ein: es geht um ihre Beherrschung. Selbst in modernen Demokratien, in denen der ›Volkswille‹ angeblich der Souverän ist, bildet die Regierung, ursprünglich geformt und verantwortlich für die Maschinerie des Staates, eine Macht ›von oben‹, separat vom ›Volk‹, das half, diese zu formen.

      Die Konzeption des modernen Staates bedingt demnach immer auch eine Vorstellung von Macht. Staatsmacht kann auf unterschiedliche Weise ausgeübt werden. Die Gesellschaft zu verwalten ist ein Teil der ›Macht‹ des Staates, so wie es auch die Kontrolle der Gesellschaft ist. Weiter gefasst kann ›Staatsmacht‹ als die Verdichtung dieser verschiedenen Weisen und Prozesse der Macht in einem Herrschaftssystem verstanden werden.

      Demnach ist das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft seiner Form nach hierarchisch. Jemand oder eine Macht ›von oben‹ setzt die Regeln des Spiels für uns ›dort unten‹ fest. In einigen Fällen mit unserer Einwilligung, in anderen Fällen ohne sie; aber trotzdem richtet sich der Druck der ausgeübten Staatsgewalt nach unten. Dies schließt die Macht ein, Grenzen zu setzen, Zwänge durchzusetzen wie auch direkt zu intervenieren. Regeln erlauben es, gewisse ›Bewegungen‹ durchzuführen – und wieder andere auszuschließen: andernfalls hätten wir keine Verwendung für sie. Sie ordnen und organisieren ›das Spiel‹ und sie bestimmen die Norm und die Abweichung. Der Staat umgrenzt die Regeln der Gesellschaft (Legislative) und wendet sie an (Exekutive). Ein Teil dessen, was Herrschaft umfasst, muss folglich die Aufrechterhaltung einer gewissen Art von Ordnung sein, wie die Gesellschaft sich verhält. Der Staat muss, sollte sonst alles misslingen, über die Macht oder Fähigkeit verfügen, seinen Willen zu erzwingen. Wie Hobbes bemerkte: »Denn die natürlichen Gesetze wie Gerechtigkeit, Billigkeit, Bescheidenheit, Dankbarkeit […] sind an sich, ohne die Furcht vor einer Macht, die ihre Befolgung veranlasst, unseren natürlichen Leidenschaften entgegensetzt […]. Und Verträge ohne das Schwert sind bloße Worte und besitzen nicht die Kraft, alle Menschen auch die geringste Sicherheit zu bieten.« (1984: 131)

      Die Macht des Staates schließt folglich den Einsatz von Gewalt ein, um die Anpassungen an seine Regeln, Gesetze und Regulierungen zu erzwingen. Zwang ist in keinem Fall das einzige Mittel, mit dessen Hilfe der Staat regiert. Historisch betrachtet hat bislang keine Form des modernen Staates vollständig auf Gewalt und Zwang verzichtet. Theoretiker überhöhen stellenweise die Bedeutung der Zwangsgewalt des Staates, weil sie davon ausgehen, dass der Staat nichts anderes als ein Mittel zum Zwang ist. Tatsächlich finden wir im Geschichtsverlauf nur sehr wenige Fälle, in denen der Staat beliebig lange ausschließlich durch die Anwendung nackter Gewalt regiert hat. Zwang und Konsens schließen einander nicht aus, sondern sind komplementär. Selbst in Militärdiktaturen, wie z. B. unter General Pinochet in Chile, bemühte man sich letztlich, einen Teil der ›Herzen und Köpfe‹ des Volkes zu gewinnen. Andererseits verzichtet kein Staat – selbst der demokratischste – auf seine Zwangsgewalt als eine Stütze, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, die Kriminalität zu bekämpfen, das Land zu verteidigen und die Einhaltung der Landesgesetze abzusichern. Der Soziologe Max Weber stellte fest: »Gewaltsamkeit [ist] weder das einzige noch auch nur das normale Verwaltungsmittel. […] Aber ihre Androhung und, eventuell, Anwendung ist allerdings […] [ein] spezifisches Mittel«, das den Staat kennzeichnet (1976: 29).

      Staatsgewalt ist nicht einfach ›erzwingend‹ als eine ihrer wesentlichen Ausführungsweisen. Das Recht, Gehorsam zu erzwingen, hat keinen Sinn ohne die Fähigkeit, es zu tun. Staatsgewalt ist zuerst eine Frage der Fähigkeit, erst dann eine Frage des Rechts. General Pinochet hatte vielleicht kein ›Recht‹ dazu,

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