Populismus, Hegemonie, Globalisierung. Stuart Hall
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Das ist der Grund, folgt man Friedrich Engels, warum viele Staatstheoretiker so oft von der ›Instanz bewaffneter Männer‹ sprechen – eine spezialisierte Polizei als ›Vollstrecker‹ der Ordnung, getrennt vom Rest der Bevölkerung. Dies unterstreicht auch Webers berühmte Ausführung, dass der Staat »[erfolgreich] das Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt« (ebd.). Beachte ›Monopol‹! Es ist maßgeblich, dass der Staat, wenn er souverän ist – die höchste Autorität –, innerhalb seines Rechtssystems keine andere Macht mit physischem Gewaltvermögen tolerieren kann, die mächtiger ist als der Staat selbst und faktisch nicht seiner Gerichtsbarkeit oder seiner Kontrolle unterliegt. Rebellion ist die Zurückweisung des Staates. Deshalb reagieren moderne Staaten so empfindlich auf den Grenzbereich zwischen ›gewaltfreiem‹ und ›gewalttätigem‹ Protest oder zwischen legitimer und illegitimer Gewalt. Daraus folgt: Wenn der Staat den popularen Protest einzuhegen wünscht, ist es taktisch günstig, die Opposition als ›gewalttätig‹ darzustellen, gleich ob es wahr ist oder nicht.
Dies legt nahe, dass die Schlüsselfrage nicht einfach die nach der Gewalt oder der Macht des Staates ist, sondern es ist die Frage nach der Legitimität. Gewiss ist der Staat physisch in der Lage, viele Dinge zu tun, einschließlich Foltern von Gefangenen, Verschwindenlassen lästiger Bürger oder Auslöschen ganzer ethnischer Gruppen. Aber was Weber im Sinn hatte, war nicht, was der Staat vernichten kann, sondern was in der Gesellschaft hinsichtlich des Staatshandelns als rechtens und angemessen angesehen wird, z. B. legitime Gewalt.
Die Frage nach der Legitimität umfasst das ganze Spektrum, das man sanktionierte Vorherrschaft nennen könnte – wobei physische Gewalt nur ein extremer, spezieller Fall ist. Wenn der Staat reguliert, leitet, Gesetze verabschiedet und ›legitim‹ erzwingt, dann, weil er Anspruch auf die Autorität erheben kann, es zu tun. Autorität ist Macht, zu deren Ausübung der Staat befugt oder ›autorisiert‹ ist.
Die Legitimität der Staatsmacht, in modernen Gesellschaften zu herrschen, kann sich aus jeder der folgenden Weisen ergeben:
1.Der Staat kann sich auf die seit langem bestehende, übliche und traditionelle Weise berufen, mittels der der Staat faktisch in der Vergangenheit geherrscht hat. Was Weber »die Autorität des ewig Gestrigen« nennt, ist einen sehr weiten Weg zur Schaffung einer rechtsstaatlichen Legitimität gegangen.
2.In Zeiten extremer Gefahren oder Erschwernisse für den Staat können Personen, Gruppen oder gesellschaftliche Kräfte mit herausragenden oder charismatischen Fähigkeiten die Legitimität erlangen, besondere Macht im Staat auszuüben: Diktatoren, Militärführer, Anführer von popularen Bewegungen, die dafür das vorherige Regime, die Präsidenten in Kriegszeiten etc. stürzen.
3.Staatsgewalt wird legal erworben. Dies ist die vorherrschende Weise der Legitimität in modernen liberalen Demokratien. Die Macht wird formell festgelegt und beansprucht, wird in einem formalen, korrekten öffentlichen Verfahren eingesetzt, nimmt Gestalt an durch das Recht, durch Regulierungsvorschriften, durch die Verfassung oder verschiedene ›Gründungsdokumente‹. Das Recht ist ein abstraktes System von Regeln: für alle eingeführt und gültig, universell anwendbar, nicht nur für den Einzelfall. Daraus folgt: Wenn Macht legal erworben wurde, trägt sie den Stempel der Legitimität. Legalität und Legitimität sind in modernen Rechtsstaaten eng miteinander verknüpft. Die Tatsache, dass die Macht, die legal bestimmt wird, durch denselben Prozess widerrufen werden kann, legt nahe, dass sie nicht absolut ist und ewig währt, sondern vorbehaltlich, veränderlich bleibt – und somit ein Prüfstein für den willkürlichen Gebrauch der Staatsgewalt ist. Legalität garantiert weder, dass der Staat solche Macht innehaben sollte, noch dass er sie ordnungsgemäß nutzt.
4.In modernen, liberal-demokratischen Staaten umfasst Legitimität die Formen, durch die die Bürger repräsentiert werden oder durch die sie in formalen Wahlverfahren zustimmen, dass der Staat Macht ausüben soll. Dies bedeutet, dass jeder Staat, der erfolgreich den Anspruch monopolisiert, dass er »dem Volk gibt, was es wünscht«, gut aufgestellt ist, um seinen eigenen Mächten und Politiken Legitimität zu verleihen.
Die Frage nach der Souveränität
Die Auffassung vom modernen Staat ist eng verkpnüft mit der Vorstellung von Souveränität. Souveränität bedeutet, dass der Staat die höchste Autorität ist und daher weder einer ausländischen Macht noch einer rivalisierenden Macht im Inland unterworfen ist. In Russland gab es zwischen der Februar- und der Oktoberrevolution im Jahr 1917 nicht ein, sondern zwei miteinander konkurrierende Machtzentren: die Kerenski-Regierung und die rivalisierenden ›Sowjets‹ der Arbeiter, Soldaten und Bauern. Dies war eine Situation der ›dualen Macht‹: die Stabilität des Staates war deswegen eindeutig ›provisorisch‹. Der Staat »kann innerhalb seines eigenen Territoriums keine Rivalen als gesetzgebende Macht und als Objekt der Gefolgschaftstreue haben« (Skinner 1978: 351).
Andere Machtzentren innerhalb des Staates müssen ihm untergeordnet werden; oder der Staat delegiert Macht an sie, z. B. bestimmte Machtbefugnisse an lokale Autoritäten; der Staat ermächtigt andere gesellschaftliche Kräfte oder – bei einem Mangel an Gesetzgebung – er ›bewilligt‹ ihnen die entsprechende Aufgabe und Funktion.
Der Staat ist kein alleiniges Machtzentrum; er hat viele Zentren der Autorität. Aber es muss eine stringente bzw. hierarchische Machtordnung bestehen. Richter verfügen über sehr umfangreiche Machtbefugnisse in ihren Gerichten; aber sie müssen den Präzendenzfällen, die ihre Gerichte beschließen, und auch bei ihren Gerichten eingelegten Berufungen folgen, weil die Gerichte in der rechtlichen Hierarchie über ihnen stehen – in einer geschlossenen Machtkette bis hin zum Britischen Oberhaus als rechtsprechende Berufungskommission. In diesem Sinne ist die Vorstellung vom modernen Staat zentralistisch.
Souveränität ist ebenso in komplexer Weise an das ›Territorium‹ gekoppelt. Es hat sich als unmöglich erwiesen, den Begriff ›Staat‹ im Verhältnis zu einer Bevölkerung ohne dauerhaftes Siedlungsgebiet zu gebrauchen. Die Bindung zum Land bleibt ein machtvolles Element im Komplex der Haltungen und Gefühle, die für Souveränität mobilisiert werden. Daher winden sich Nationalismus und Nation eng um die Wurzeln des modernen Staates. Z. B. argumentierte Enoch Powell während des Kriegs um die Falkland-Inseln im Jahr 1982, dass die britische Souveränität an diesem menschenfeindlichen Fleck Erde an sich hafte, selbst wenn kein einziger Siedler mehr auf den Inseln verbleibe. Der Staat muss der »alleinige Träger des Imperiums (der Herrschaft) innerhalb seiner eigenen Territorien sein« (352).
Wie das baskische Volk eine leidenschaftliche Loyalität für ein von Spanien getrenntes Territorium zeigt, verteidigt die Mehrheit der nordirischen Katholiken ihre Loyalität für eine geeinte irische Republik; aber in keinem dieser Fälle ist das ›Territorium‹ ihr Staat. ›Territorium‹ und ›Staat‹ sind daher nicht dasselbe. Dennoch hat das Territorium Bedeutung für die Definition von Souveränität, zum Teil im Sinne der ›Zugehörigkeit‹ (Loyalitätsempfindungen) als einem wichtigen Bestandtteil für die Mitgliedschaft in einem Staat; aber hauptsächlich aufgrund der Notwendigkeit, die Grenzen der Macht und Rechtszuständigkeit festzulegen. Es muss einen Weg geben, zu bestimmen, welche Teile im Staat vereint werden, wie weit seine räumliche Herrschaft reicht, wo die Grenzen seiner Herrschaft verlaufen und wo die Zuständigkeit eines anderen Staates beginnt. Dies wird als ›territorial‹ bezeichnet – selbst wenn, wie im Fall der meisten Imperien, die Territorien nicht aneinandergrenzen, sondern weltweit verstreut sind.
Die Ansprüche auf Souveränität sind sicher nicht strikt ›rechtmäßig‹, aber sie gründen gänzlich im Besitz eines Territoriums oder in dessen Eroberung mit Gewalt. Der größte Teil des britischen Imperiums des 19. Jahrhunderts wurde durch solche Mittel erworben. Aber wenn Herrschaft effektiv durchgesetzt wurde – wenn der ›Besitz‹ vollständig und unbestritten ist –, wird die de facto-Souveränität