Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810. Harald Rockstuhl

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Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810 - Harald Rockstuhl

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für bleu-mourant, schwummerig] vor den Augen; ich schielte nach Lenchen, aber die kehrte mir den Rücken zu. Ich legte also mein Bündel ab, hing meinen Hut an die Wand und war im Begriff, meine Stiefel auszuziehen, als Lenchen eine heftige Bewegung machte. Sie hatte die Bettdecke ganz zurückgeschlagen und lag schon mit Sack und Pack, die Schuhe kaum ausgenommen, hinten im Bette, dicht an der Wand; ihr Gesicht konnte ich nicht sehen. Was ich gedacht habe, weiß ich nicht mehr, aber was ich gesagt habe, weiß ich noch – nämlich gar nichts. Ich zog meinen Rock aus, löschte das Licht, legte mich neben Lenchen ins Bette und deckte mich mit meinem Rock zu. Nachdem ich eine Weile meinen Gedanken nachgehangen hatte, war mir’s doch, als müßte ich mich aufrichten und sagen: „Gute Nacht, Lenchen, schlafen Sie wohl,“ und ihr einen Kuß geben.

      Als ich Anstalt dazu machte, fing sie ängstlich zu stöhnen an: „Ach, ach, ach, du lieber Gott, ach, du lieber Gott!“ Ich brachte nur einen leisen Kuß auf ihrer Wange an, legte mich wieder auf meinen Platz und zog meinen Rock über mich her. Ich mag wohl noch allerhand Gedanken gehabt haben, aber soviel weiß ich noch ganz gewiß, daß mir war, als wenn meine Schwester neben mir läge. Und so bin ich eingeschlafen, wie man immer einschläft, ohne zu wissen, wie und wann.

      Mag sein, daß der lange Marsch in der Luft und das viele Biertrinken und Rauchen oder auch das lange Wachsein schuld gewesen sind, kurz: ich schlief einen langen, festen, traumlosen Schlaf. Doch wachte ich mit vollem Bewußtsein meiner kritisch-interessanten Lage auf und griff nach Lenchen, aber die stand schon am Fenster und ließ sich von der Sonne bescheinen.

      Nein, so hatte ich sie noch nicht gesehen! Sie kam mit einem freundlich lieben Gesicht auf mich zu, faßte mich bei der Hand und sagte: „Allons, Mosjö Langensalzer, es ist wunderschönes Wetter, nun wollen wir aber auch gleich fortgehn.“

      Ich sprang heraus. „Aber nun, Lenchen, kriege ich auch einen schönen Gutenmorgenkuß!“ Und sie hielt still wie ein Lämmchen und drückte leise wieder, so eine Freude hatte das Kind über Gottes liebe Sonne und das helle Wetter. Sie wehrte mir, als ich hinuntergehn und Kaffee bestellen wollte, schüttelte ihren Geldbeutel auf den Tisch und sagte, sie wolle die Zeche bezahlen.

      „Halt!“ kommandierte ich, eilte hinunter, ließ mir ein Schnäpschen geben und fragte, was ich und die Kleine zusammen schuldig wären.

      „Heft jy jur got vertragen te hope in Bette?“ fragte die Frau.

      „Na, Schwester und Bruder werden sich doch wohl vertragen“, antwortete ich. „Gelt, det heft ick ok denkt.“

      Als ich wieder nach oben kam, hatte Lenchen schon ihren Korb auf dem Rücken und meinen Stock in der Hand. Sie half mir, mein Felleisen richtig aufzunehmen und nun ging’s treppab zur Tür hinaus ohne Umsehn fort nach Quedlinburg.

      Das Gespräch drehte sich unterwegs größtenteils um die Tante, die Lenchens Frau Pate und seit sechs Jahren Witwe war. „Nun, Sie werden sie ja bald sehn, Musje Langensalzer“, meinte Lenchen. „Musje Langensalzer?“ wiederholte ich, „ei, da muß ich Sie wohl mit „Jungfer Nordhäuserin“ anreden? Wenn ich weiter „Lenchen“ sagen soll, dann müssen auch Sie mich beim Namen nennen. Ich heiße Christel.“

      Sie wollte sich fast ausschütten vor Lachen; das sei ja ein Mädchenname. Da gab ich ihr meine Kundschaft; sie machte sie begierig auf, blieb stehen und las laut vor, daß ich meine Freude daran hatte: „Christian Wilhelm Bechstedt, – ach!“ Sie guckte mir frei in die Augen und das waren nicht die einfältigen Augen von gestern Abend, nein, ein paar schöne, kluge Augen. „Christian Wilhelm Bechstedt – das klingt gut, aber wo steht denn Christel?“

      Ich setzte ihr auseinander, daß es Mode bei uns wäre, einen, der Christian hieße, Christel zu rufen. Aber ihr deuchte der Name Wilhelm viel schöner und sie gab mir den Rat, mich später zu Hause so nennen zu lassen. „Gut, Lenchen“, stimmte ich bei, „Sie sollen mich umtaufen, doch dann muß auch eine Taufhandlung geschehen.“ Sie merkte, worauf ich hinaus wollte, faltete den Paß zusammen und sagte: „Nun sind wir bald in Quedlinburg.“ Das half ihr aber nichts; ich bestand auf der Taufe und sie wurde unter den Pappelbäumen der Landstraße mit einem langen Kuß vollzogen.

      Sonderbar! wir wurden beide stumm davon und gingen eine ganze Weile schweigend nebeneinander hin. Lenchen hatte noch etwas auf dem Herzen, was nicht recht heraus wollte. „Ach, hören Sie“, setzte sie mehrmals an, schwieg aber immer wieder still. „Na, was ist es denn, Lenchen?“ – „Ach, Musje Langen...“ – „Halt, wie heiße ich?“ – „Ach, Musje Wilhelm ...“ – „Nichts da mit Musje, sondern Wilhelm geradeweg, so haben Sie mich getauft.“ – „Ach, das ist’s ja eben, was ich sagen wollte. Wenn wir zu meiner Tante kommen, dürfen wir doch nicht so bekannt miteinander sein. Ach, du lieber Gott, fangen Sie da nur nicht an von ... von ...“ – „Nu, wovon denn, Lenchen?“ – „Ach, von der Neuen Schenke...“

      „Liebes Lenchen, so dumm werde ich doch nicht sein. Aber wenn Sie so große Angst haben, dann lassen Sie uns lieber hier Abschied nehmen.“ Das aber wollte das gute Kind unter keinen Umständen. Wir verabredeten also, daß wir uns erst heute früh in der Neuen Schenke getroffen hätten und wenige Minuten sonach saß ich bei der Frau Tante in der Stube, trank Kaffee und ditschte [tunkte, stippte] Zwieback dazu.

      Lenchen erzählte von dem Unwetter und ihrer Flucht in die Neue Schenke, wo die Frau Wirtin sie mit in die Kammer und in ihr Bette genommen hätte. Am Morgen wäre sie hinter diesem Musje Handwerksburschen hergekommen und hätte sich neben ihm gehalten, weil sie sich allein fürchte. – Die Frau Tante wollte mir noch mehr Kaffee einschenken, doch mir war die Kehle wie zugeschnürt. Ich schöpfte mir ein Herz, nahm mein Bündel auf, sprach ein paar Worte von meinem weiten Weg und nahm Abschied. Die Tante steckte mir noch Kuchen in die Tasche; Lenchen konnte nicht sprechen. Sie gab mir nur die Hand – ihre Augen standen voll Wasser; sie muckste [schluchzen] und ging schnell in die Nebenstube.

      Mir ging’s nicht besser; ich habe gemuckst bis zum andern Stadttor hinaus und war mir, als müßte ich wieder hinein und sehen, ob ich nicht diesen Abend das Lenchen noch einmal erwischen könnte.

       Neuhaldensleben – Auf dem Dözel –

       Die Frau Muhme und die Frau Meistern –

      Die sehnsüchtigen Gedanken an Lenchen, die mich den ganzen Tag begleiteten, konnten mich nicht abhalten, immer drauflos zu marschieren. Abends, als ich in Egeln mit Fuhrleuten auf der Streu lag, schlief ich erst spät ein und träumte von dem lieben Kinde.

      Am anderen Morgen machte ich mich frischgemut nach Magdeburg auf. Nachmittags um vier Uhr stand ich vor der Sudenburg. Die Gedanken an die Herberge, an die Brüderschaft, an das Aufwandern mit dem Hand-werksspruch, das damals noch gebräuchlich war und das Gefühl, zum erstenmal in eine große Stadt zu kommen, hatten Lenchen doch schon ein wenig in den Hintergrund gedrängt.

      Ich fragte mich zur Herberge durch: „Mit Gunst, wo ist der frommen Brüder Feierstube?“ – Die Tür zum Tempel war mit Brezeln und Löwen bemalt. Dreimal klopfte ich an, doch niemand rief: „Herein!“ Da drückte ich auf und machte, ohne mich umzudrehen, hinter mir die Tür zu; denn jedes Versehen kostet drei Gutegroschen Strafe. Die Stube schien leer, doch hinter dem Ofen konnte trotzdem einer stecken, drum fing ich meinen Spruch an: „Mit Gunst, Ihr Brüder, ich grüße Euch von dem Altgesellen aus Erfurt, wegen der Brüderschaft. Mit Gunst leg’ ich mein Bündel ab.“

      Und richtig! hinterm Ofen kam ein alter, wohl fünfzigjähriger Stromer hervor, reichte mir die Hand und sagte: „Willkommen, frommer Bruder aus

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