Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810. Harald Rockstuhl
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Читать онлайн книгу Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810 - Harald Rockstuhl страница 9
Ich dankte schön für alles, nahm Abschied und marschierte nach Greußen, wo ich den Weg nach Sondershausen erfragte – Chausseen gab es damals noch nicht. Es fing an zu regnen. Trotz des Schmutzes wollte ich weiter, mußte aber schließlich doch in einem Dörfchen – Holzengel, Kirchengel oder Hausengel – bleiben. Das kleine Nest hatte keinen Gasthof: die sogenannte Schenke wurde von einem Ehepaar in den vierziger Jahren geführt. Die armen Leute kannten das Wort „logieren“ gar nicht: ich war der erste Fremde, der bei ihnen übernachten wollte. Sie lachten mich immerzu an, setzten mir einen Krug dickes gelbes Bier vor und gingen fort an ihre Arbeit.
Ich seufzte und sah zum Fenster hinaus. Es war inzwischen wieder hell geworden – sollte ich weitergehen? Aber sicher hätte mich noch vor Sondershausen die Nacht im Walde überrascht. Die Erzählung des Pächters in Gangloffsömmern war mir doch in die Glieder gefahren; das Bestehlen und Totschlagen gefiel mir gar nicht recht – ich blieb.
Nun fing ich an, die Stube zu mustern – siehe da! hinterm Ofen an der Wand hing eine Zither. Schnell rückte ich einen Schemel hin und holte sie herab. Sie war gestimmt und glich ganz der meinigen zu Hause. Ich begann zu klimpern und zu singen und kam bald in mein Leibstückchen:
„Dameton war schon lange Zeit
Der schönen Phillis nachgegangen,
Doch konnte seine Zärtlichkeit
Nicht einen Kuß von ihr erlangen“ usw.
Frau und Mann lugten zur Tür herein und lachten und als mein Lied aus war, standen wohl zwanzig Menschen, klein und groß, unter meinen Fenstern und ich mußte noch eins singen und spielen. Es ergab sich hernach, daß die Zither dem sechzehnjährigen Sohne gehörte, der jetzo Knecht beim Pfarrer war.
Ich dachte: Hier wirst du nicht bestohlen und geschlagen und schlief die ganze Nacht wie ein Prinz in einem reinen Bett mit schwerer Decke, die ich wegschob.
Am anderen Morgen fand ich meine Gastwirte hinter dem Hause in einem Grabgarten, wo sie Kartoffeln häufelten. Sie meinten, es wäre ein schöner Besuch gewesen und ich hatte meine Not, bis sie ihre Forderung machten. Die war aber so gering, daß ich dem Entgelt noch ein Sechserbrot und eine halbe Knackwurst aus meinem Felleisen hinzufügte. Der Mann geleitete mich noch eine Viertelstunde Weges und trug mein Bündel.
Gegen zehn Uhr kam ich in Sondershausen an. Ich führte ein altes Gebet- und Reisebüchlein mit mir und da es auch mein Vater dereinst auf seiner Wanderschaft benutzt hatte, so besaß es einen gar großen Wert für mich. Die Reisemorgen- und abendsegen und die Andachten waren eigens für junge Handwerksburschen geschrieben und gefielen mir; man wird unwillkürlich frömmer, wenn man so allein geht. Trotzdem war es nicht Furcht vor Reisegefahren, wenn ich jetzt oft in dem Büchlein las. Ich besaß Courage genug; doch setzte ich ein gewisses ehrfürchtiges Zutrauen in das Buch, weil es alt und von meinem Vater war.
In Sondershausen reizte mich die Neuheit meiner Lage dazu, eine Dummheit zu machen. Es kam mir so sonderbar und interessant vor, daß ich auf einmal ein reisender Bäckerbursche war, wie ich deren so viele hatte in unser Haus kommen sehen, um zuzusprechen und das Geschenk zu holen. Ich ging also zum Obermeister und ließ mir das Zeichen zum Zusprechen geben. Dabei bedachte ich nicht, daß ich hier ja nicht in Arbeit gehen wollte, also auch ums Geschenk nicht zusprechen dürfe.
Als ich in das erste Bäckerhaus eintrat, machte ich ein tüchtig Gesicht, so ernsthaft, als ich’s nur herausbringen konnte und sagte dreist: „Ein reisender Bäckergeselle spricht dem Meister zu wegen des Handwerks und bittet ums Geschenk.“ Ich bekam zwei Semmeln und ging weiter; das Ding machte mir Spaß. Als ich aber zum dritten oder vierten kam, war der Meister selber da und fragte mich: „Hast du auch Lust zum Arbeiten?“
Wie konnte ich da nein sagen? – „Ja!“ – „Wo bist du her?“ – „Aus Langensalza“, antwortete ich kleinlaut. „So, da bist du nicht weit her.“ Diese Rede verdroß mich einigermaßen. Der Meister verlangte nun, daß ich zur Herberge gehen und meine Sachen holen sollte, um die Arbeit bei ihm anzutreten. Ich antwortete zwar: „Gut, Herr Meister“, aber im Inneren sah es bei mir nicht gut aus. So bedrückt war ich, daß ich kaum Atem holen konnte. Ich suchte den Obermeister wieder auf, gab mein Zeichen ab, erhielt meine Kundschaft (das war damals der Reisepaß), zahlte meine kleine Zeche, hockte mein Bündel auf und – marschierte zum nächsten Tor hinaus.
Erst weit draußen wagte ich zu fragen, wo der Weg nach Heringen hinginge. Ich mußte nun fast um die halbe Stadt herum, um auf den rechten Weg zu kommen, machte dann Beine und stiefelte eine Stunde lang recht darauf los. Hernach legte ich mich im Schatten nieder, um über mein Schicksal nachzudenken.
,Da!‘, dachte ich, ,nun hast du schon einen Betrug gemacht und bist kaum von zu Hause weg.‘ Ich holte mein Büchlein heraus, ob da nicht ein Gebet stände für diese Sünde, fand aber keines. ,Nun, er wird ja wohl einen anderen Gesellen kriegen‘, beschwichtigte ich mein Gewissen und blätterte weiter, bis ich zu den Marschrouten kam.
Also: Nordhausen, Stolberg, Güntersbergen, Quedlinburg, Egeln, Magdeburg waren zu erobern. Mein Mut stieg wieder hoch auf; ich sprang in die Höhe und marschierte weiter. Abends in Heringen ließ ich mir Brot geben, Wurst hatte ich selber, trank Bier und schlief wie das gute Gewissen. Am anderen Morgen ging ich zu keinem Bäcker, sondern machte mich gleich auf den Weg. ,Was sollst du eigentlich in Nordhausen machen?’ dachte ich und fragte einen Mann, ob ich nicht geradezu auf Stolberg gehen könne. Er meinte, der gerade Weg nach Stolberg sei zwar im Sommer sehr angenehm, aber ein Fremder könnte sich doch leicht da verirren. Nachdem ich wieder eine halbe Stunde gewandert war, traf ich auf einen alten Bauern. Der sagte, mit dem Verirren wäre es gar nicht so schlimm. Wenn ich wollte, so könne ich hier gleich mit ihm rechts abgehen auf einem Fußsteige, der nach seinem Dorfe führe – und wer mitging, das war ich.
Als ich den Bauern mit seinem Dorfe wieder eine Stunde im Rücken hatte, fing mir das Ding doch an wunderlich zu werden. Keine Seele hatte ich angetroffen und vor lauter Bäumen sah ich keinen Wald mehr. Der Weg war alle geworden, wie man zu sagen pflegt, bald links, bald rechts mußte ich durchs Gebüsch kriechen, das Felleisen drückte schwer; ich ließ mich nieder, um auszuruhn.
,Hier hilft kein Beten‘, dachte ich. ,Doch halt!, dein Weg geht nach Norden, folglich mußt du, da es noch Vormittag ist, die Sonne immer etwas rechts hinter dir haben‘ – und so richtete ich denn auch meinen Marsch ein. Als ich mich eine gute Stunde fortgearbeitet hatte, was mir vermöge meines schweren Bündels sehr sauer wurde, kam ich aus dem Walde heraus und stand nach tausend Schritten vor einem steilen Abhang.
Vor mir lag ein Tal, rundherum von Bergen umgeben, mitten darin ein Dorf, woran sich Ziegelbrennereien anschlossen. Unten floß ein Wasser ganz nahe am Berge weg, das etwa halb so groß wie die Unstrut war. Eine Brücke über dies Wasser war nicht zu entdecken, auch wußte ich nicht hinabzukommen; der Hang war zu steil und felsig. Da bemerkte ich, daß weiter links das Wasser nicht so nahe an den Berg trat und dort arbeitete ich mich hin. Als ich genau untersucht hatte, daß man hier zur Not rückwärts hinunterklettern und rutschen konnte, legte ich mein Felleisen nieder, gab ihm einen Schub und, heidi! kollerte es den ganzen Berg hinab und blieb im Grase liegen.
Nun trat ich die Rutschpartie auf allen vieren rückwärts an und kam glücklich mit etwas blutigen Händen zu meinem Bündel. Ich hockte auf und marschierte links fort, mußte aber einigemal gefährlich klettern, weil der Fluß sich dicht an den Berg drängte. Nach einer halben Stunde entdeckte ich eine Fahrbrücke über den Fluß und einen Weg links vom Berge herab, auf welchem ich wahrscheinlich hätte kommen sollen.
Nachdem ich mich in der Schenke des Dorfes erholt