Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810. Harald Rockstuhl
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Читать онлайн книгу Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810 - Harald Rockstuhl страница 8
Unser Wagen hielt etwa 300 Schritte vor der Treppe; wir standen darauf. In vielen Dörfern wurden die Glocken geläutet; der Delinquent mußte wohl eine gute Stunde durch die bunte Menschenallee gehen, bis er zum Richtplatze kam.
Mehrere Pfarrherren begleiteten ihn bis an die Treppe, dann führten die Schinderknechte ihn hinauf. Oben drehte er sich herum; er war ein magerer, kreideblasser Mann von ungefähr 45 Jahren. Die Knechte schoben ihn zurück in eine Öffnung. Man sah, wie sie bald darauf Scheitholz nahmen und von oben in die Öffnung hineinstießen, die sie dann mit Strohschütten zudeckten. Alsdann stiegen sie hinunter, um anzuzünden. Es ward ein großes Feuer und der Rauch ging auf uns los. Da fuhren wir sachte fort, so gut, als es bei dem Gedränge möglich war. In einer Stunde kamen wir nach Eisenach, wo wir uns an Kirschkuchen labten und Schnaps dazu tranken.
Als wir auf dem Rückweg wieder am Richtplatz vorbeifuhren, war alles niedergebrannt, bis auf einen dicken, wohl zwanzig Fuß hohen Stamm, woran oben noch ein Haken saß, an welchem sie den Mann wahrscheinlich erhängt hatten. Man sagte, es sei in letzter Stunde noch die Begnadigung von Weimar gekommen, daß er nicht lebendig solle verbrannt werden.
Der Böhmen war damals der einzige Vergnügungsort bei Langensalza, aber immer so überfüllt, daß meist an Bier oder Gefäße gar nicht zu denken war. Viele nahmen sich deshalb das Nötige selbst mit hinaus, wenn sie auf den Böhmen wollten. – Der Rautenkranz war der eigentliche Volksgarten der Stadt. Da sah man ganze Familien auf dem Rasen sitzen und sich dort vergnügen, wenn die Lauben schon voll waren. Drei Kegelbahnen waren im Gang und immer besetzt und vorn in einer großen Stube stand ein Billard, worauf ich gelernt habe. Es wurde fast nur en quatre à la poule gespielt, ging lustig zu dabei und viel Spaß wurde getrieben. Einmal hatte ich im Billardspiel einen Hasen gewonnen, wählte von zweien, die an der Wand hingen, den schwersten, fand aber zu Hause, da er abgezogen wurde, einen tüchtigen Stein darin.
Das Kunststückemachen war damals sehr beliebt. Ich verstand, ein Geldstück verschwinden zu lassen und auf Verlangen der Zuschauer mußte es sich an einem Ort, den sie bezeichneten, wiederfinden. Diese Kunst hat mich später in den Wanderjahren in den Verdacht gebracht, ein Verbündeter von dem mit dem Pferdefuß zu sein.
Ein anderes Stückchen, das uns manchmal ein Dutzend Bouteillen Bier, auch einmal Wein einbrachte, war dies: wir suchten uns unseren Mann aus und wetteten mit ihm, daß wir ihn in einen Kreis von wenigen Fuß Durchmesser bannen wollten, so daß er nicht von der Stelle könnte, solange er den linken Daumen an die Nase halte. Darauf zogen wir mit Kreide einen Kreis um den Pfeiler, der in der Mitte der Saales stand, führten unser Opfer hinein und legten seinen linken Arm um den Pfeiler und den linken Daumen an seine Nase. Er war richtig gebannt, solange der Daumen an der Nase lag und hatte die Wette verloren. Mittrinken durfte er aber, soviel er wollte und konnte.
So ging die Zeit hin und das Jahr 1805 war da. Da ich gern tanzte, so konnte es nicht fehlen, daß ich die Bekanntschaft junger Mädchen machte und weil ein junger unbefangener, noch nicht spekulierender Mensch sich am liebsten zu denen hält, die ihm gefallen, erging es mir auch so. Aber meiner Mutter gefiel es nicht, als sie hörte, wo ich mich verfangen; sie meinte, das sei keine vorteilhafte Partie für mich zum Heiraten. Ich lachte aus vollem Halse dazu. Sie glaubte mir auch wohl, daß ich an dergleichen nicht denke, war aber der Meinung, dann müsse man sich auch nicht immer um eine und dieselbe halten oder gar ins Haus zu den Eltern gehen, wie sie von mir gehört habe – und so gab es manchmal kleinen Krieg wegen dieser Angelegenheit.
Ich hatte aus einem der vielen Bücher, die ich schon gelesen, den Grundsatz aufgegriffen, man müsse selbst aus den Übeln und Unannehmlichkeiten des Lebens noch Nutzen ziehen, indem man suche, ihnen die vorteilhafteste Seite abzugewinnen. Es lag nicht fern – und ich kam bald auf den Gedanken – daß meine Mutter, da sie mich von den Mädchen abziehen wollte, mir um so leichter die Erlaubnis zum Wandern geben würde.
Die Osterfeiertage, deren damals (so wie bei Pfingsten und Weihnachten) noch drei gefeiert wurden, brachten wieder Bälle und Gelegenheitstänze. Unser Obergeselle Minor (der auch mit in den Bürgergesellschaften war) und meine älteste Schwester sahen wohl, wie ich es trieb und so gab es wieder Vorwürfe von der Mutter. Nun trug ich wieder darauf an, mich in die Fremde ziehen zu lassen und endlich schickte mich meine Mutter zu ihrem Bruder, dem Pastor Scholl in Ufhoven. „Gehe hin und sieh zu, wenn’s der zufrieden ist, dann sollst du fortgehen.“
„Nein, das geht nicht, Christel“, sagte mein Onkel, „wenn Minor fortginge, wäre deine Mutter geschlagen.“ – „Aber Minor geht nicht fort“, drängte ich. „Nun, ich will hineinkommen und mit deiner Mutter und Musje Minor sprechen. Wenn er mir mit Handschlag angelobt, daß er deine Mutter nicht verlassen will, es sei denn, daß wir dich erst zurück hätten, so magst du hinlaufen.“
Nun wußte ich genug. Ich jubelte und sang bis nach Hause, sprach auch noch bei Vetter Scholl vor, dem wohlhabenden Böttchermeister und Holzhändler bei der Marktkirche, in dem Hause, welches jetzo die Frau Markraf besitzt. Er war mir gut und in seiner Jugend auch, wie er sich ausdrückte, ins Reich gewandert. Zur Konferenz fand er sich auch mit ein; Minor gelobte mit Handschlag, was mein Onkel begehrt hatte und nun ging’s ans Ausrüsten.
Der erste Reiseplan war schon lange bei mir fertig. Die Frau Amtmännin Bär war der glänzende Magnet, der mich anzog. „Vetterchen“, hatte sie oft gesagt, indem sie mich fest bei der Hand hielt, „Vetterchen, Sie sind mein einziger Namens- und Blutsverwandter, auf den ich meine Hoffnung setze. Wir wollen an unserer Bechstedtfreundschaft treu festhalten und Ihre erste Ausflucht aus Langensalza muß zu mir gehen.“ Dabei sah sie mich mit ihren schwarzen glänzenden Augen so freundlich an, daß ich das Zittern bekam. Damals war sie 25 Jahre alt, schlank, mittlerer Größe, sehr lebhaft und trug schöne Kleider. Sie glich meines Vaters Schwester, der Frau Köhler in der Treischmühle, die in ihrer Jugend die schöne Kathrin geheißen hat.
Der Tag meiner Abreise war bestimmt. Ich hatte ein verschließbares Reisebündel von schönem Kalbleder, das fertig gepackt 29 Pfund wog. Das schien mir, da ich auszog, nicht schwer, später empfand ich es jedoch manchmal anders.
Erster Teil
meiner Wanderjahre und Liebesverirrungen
Abschied – Großsömmern –
Sondershausen – Heringen – Stolberg – Güntersberge –
Das Lenchen – Quedlinburg –
Den Montag vor Pfingsten 1805, vormittags neun Uhr, zog eine kleine Karawane zum Mühlhäusertore hinaus – zehn bis zwölf Kameraden, von denen einer um den anderen mein Bündel trug. Mein Bruder Heinrich, meine zwei jüngsten Schwestern und Andreas Köhler aus der Treischmühle waren dabei, sogar mein Vetter Scholl ging mit, trotz seiner fünfzig Jahre.
Meine Mutter hatte mich endlich losgelassen und wir waren vor dem Tore rechts herumgegangen. Meine älteste Schwester war mit Minor und zwei Gesellen auf den Oberboden gestiegen und von da riefen sie mir ihr Adieu auf den Weg herunter. In Merxleben wurde Halt gemacht, Bier getrunken und gesungen. Nach einer halben Stunde rollte ein Militärwagen von Langensalza heran mit Soldaten, die nach Weißensee bestimmt waren. Sie tranken gerne einmal mit, doch als sie weiterfuhren, ließ auch ich mich nicht mehr halten, bestieg den Wagen und setzte mich zwischen die alten Clemenser, die mich kannten. „Adieu, adieu“, ging’s nüber und rüber; die Hüte wurden geschwenkt und fort fuhr ich in die Fremde.
In Gangloffsömmern stieg ich ab und besuchte den Pachter Fischer, von dem wir oft Weizen gekauft hatten. Er nahm mich freundlich auf; nachdem ich mich zum Essen und Trinken ein bißchen hatte nötigen lassen, langte ich zu. Fischer gab mir derweil