Die Krieger des alten Japan. Roland Habersetzer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Krieger des alten Japan - Roland Habersetzer страница 9
Während seiner Novizenschaft in der Obhut der Mönche des wilden Kurama-Gebirges galt er zunächst als verschlossener Einzelgänger. Doch eines Tages offenbarte ihm ein alter Mönch, daß er der neunte und letzte Sohn des Minamoto-no-Yoshitomo sei und daß es seine Pflicht sei, dessen Andenken zu rächen. Der junge Ushiwaka war von dieser Enthüllung überwältigt, und unter Tränen schwor er Rache für das vergossene Blut der Minamoto, das Blut der Seinen. Sein wahres Wesen konnte sich nun frei entfalten. Er war von unabhängiger, unzähmbarer Natur, und die klösterliche Disziplin widerstrebte ihm. Es war ihm unmöglich, irgendeine Form von Autorität anzuerkennen. Der Legende nach lehrten niemand anders als die berühmten Tengu26, diese mysteriösen Wesen, die im Gebirge hausten, Ushiwaka bei seinen zahllosen Streifzügen durch die Wälder die Kunst des Umgangs mit dem Schwert sowie die Kunst des Kampfes mit bloßer Hand und mit dem eisernen Fächer (tessen).
Von der Gewißheit getrieben, dem Ruf seines Schicksals folgen zu müssen, verließ Ushiwaka um das Jahr 1174 Kurama-dera und begab sich nach Norden. Wenig ist wirklich bekannt aus diesem Lebensabschnitt des künftigen Yoshitsune, doch dieser Mangel an Wissen erwies sich als reicher Nährboden für Legenden. Bis zum Jahr 1180, in dem es ihm gelang, sich mit Yoritomo zu verbünden und von dem an sein Leben Gegenstand der Geschichtsschreibung ist, sind nur Hypothesen möglich über das, was sich ereignet haben mag. Es ist schwer vorstellbar, daß der halbwüchsige Ushiwaka sich ganz allein auf einen so langen und gefährlichen Weg bis zur nördlichen Spitze der Insel Honshû gemacht hat. Man sagt, daß Kichiji, ein Goldhändler, der von der wahren Identität Ushiwakas erfahren hatte, eines Tages nach Kurama-dera kam und dem Jungen anbot, ihn heimlich nach Hiraizumi, der Hauptstadt der Provinz von Mutsu (Ôshû) zu bringen, bis zu welcher der Einfluß der Taira nicht reichte. Es heißt auch, daß das Angebot des Händlers nicht ganz uneigennützig gewesen sein soll und er sich davon eines Tages großen Vorteil erhoffte.
Yoshitsune bei den Tengu. Zwei Holzschnitte eines Triptychons von Utagawa Kunisada.
Hiraizumi konnte es an Reichtum und Eleganz mit Kyôto aufnehmen. Der dort lebende Herrscher war Fujiwara-no-Hidehira, der auf der Seite der Minamoto stand. Hier würde Ushiwaka in Sicherheit sein. Es wird auch berichtet, Ushiwaka habe auf seinem Weg dorthin in Owari (Nagoya) Rast gemacht, um den Tempel von Atsuta-jingû zu besuchen, wo er aus dem Munde des Tempelvorstehers von der Existenz seines älteren Halbbruders Yoritomo erfahren haben soll. Jener Tempelvorsteher soll es auch gewesen sein, der ihn beschwor, Yoritomo aufzusuchen und sich mit ihm zu vereinen, damit die Brüder den Klan der Minamoto um sich scharen könnten. Es könnte auch in jener Nacht gewesen sein – oder aber, anderen Berichten zufolge, ein Jahr später in Mutsu –, daß Ushiwaka zur gempuku-Zeremonie27 zugelassen wurde und dabei seinen Männernamen, Yoshitsune, erhielt, unter dem er berühmt werden sollte. Auch soll es während dieser Reise gewesen sein, daß er sich auf recht ungewöhnliche Weise mit dem Werk »Die Kunst des Krieges« vertraut gemacht hat. Um Zugang zu dem seltenen Werk des chinesischen Strategen Sun Tsu28 zu erhalten, das sich im Besitz eines Taira-Herren befand, verführte er dessen Tochter und besuchte sie während 16 aufeinanderfolgenden Nächten. Dabei soll er auch die Zeit gefunden haben, das berühmte Traktat zu studieren.
Benkei, ein Gefährte fürs Leben
Einst reiste der junge Yoshitsune auch durch Kyôto, wo er Benkei29 kennenlernte. Benkei, dessen Name untrennbar mit dem Yoshitsunes verbunden ist, ist eine weitere legendäre Persönlichkeit der japanischen Mythologie. Er soll der Sohn eines Bonzen30 aus dem Tempel von Kumano in der Provinz von Kii gewesen sein, es heißt aber auch, er sei ihn Wahrheit der Sohn eines Tengu, dem seine Mutter auf einem Waldweg begegnet ist. Nicht weniger als drei Jahre soll die Schwangerschaft seiner Mutter gedauert haben, und als er schließlich zur Welt kam, soll er schon lange Haare und all seine Zähne gehabt haben. Aufgewachsen ist er im Tempel Enryaku-ji, dessen Hütern er anvertraut worden war. Man verlieh ihm dort aufgrund seiner spontanen und gefährlichen Streiche den Spitznamen »Dämonenkind« (oniwaka-maru). Als er Bonze wurde, nahm er den Namen Musashibô an. Aber mit einer Körpergröße von acht Fuß31 war er ein höchst ungewöhnlicher Mönch, und er hatte zudem den Ruf, die Kraft von Dutzenden Männern zu haben.
Es gibt in Japan noch heute Gegenstände, die mit seiner Person in Beziehung stehen, wie z. B. einen Kessel und eine Glocke, die im Tempel von Mii-dera aufbewahrt werden. Hiermit hat es folgende Bewandtnis. Benkei hatte den Tempel Enryaku-ji verlassen, da er ein zurückgezogenes Leben in einer kleinen Einsiedelei anstrebte. Eines Tages befiel ihn jedoch der unwiderstehliche Drang, den seiner Ansicht nach allzu trübseligen Mönchen von Mii-dera einen Streich zu spielen. Er begab sich dorthin, und man gewährte ihm das Gastrecht. Eines Nachts zerschnitt er den Strick, an dem die Bronzeglocke hing, deren klarer Klang im ganzen Land bekannt war. Er lud sich die außerordentlich schwere Glocke auf die Schultern und trug sie ins Gebirge. Dort wollte er die Gemeinschaft von Mii-dera im Morgengrauen damit überraschen, daß er die gestohlene Glocke zum Klingen brachte. Er stellte sie zu Boden und schlug mit einem jungen Baum, den er ausgerissen hatte, gegen sie. Der Klang war natürlich kläglich. Benkei geriet darüber in Zorn und stieß die Glocke mit dem Fuß, so daß sie unter großem Getöse zu Tale rollte. Die empörten Mönche verlangten von Benkei, daß er die Glocke zurückbrachte und wieder dort aufhing, wo sie hingehörte. Für einen Kessel voll Bohnen war Benkei denn auch gern bereit, dies zu tun.
Später befand sich dieser furchterregende Kriegermönch (Yamabushi) in Kyôto. Seine Beschäftigung bestand darin, jedem, der die Gojo-Brücke passieren wollte, das Schwert abzunehmen. Er hatte den Schwur geleistet, mit dem Erlös aus dem Verkauf von tausend auf diese Weise entwendeten Schwertern einen Tempel wiederaufzubauen. Die Legende erzählt, daß eines Nachts die Zeit gekommen war, daß er das tausendste Schwert erwartete. Er trug eine schwarze Rüstung, die seine stahlharten Muskeln bedeckte und hielt eine naginata32 in der Hand. Der riesenhafte, breitgebaute Mann versperrte den Durchgang wie eine feste Mauer. Er spähte mit furchteinflößendem Blick unter seinen dichten Augenbrauen hervor in die Finsternis. Plötzlich vernahm er den zarten Klang einer Flöte und sah, wie sich ihm die grazile Silhouette eines Jungen näherte. Der Junge war in einen recht unförmigen Umhang gehüllt, und er schlenderte unbekümmert vor sich hin. Benkei hatte jedoch nur Augen für das wundervolle Schwert, das aus dem Umhang des Reisenden hervorragte und dessen lackierte Scheide im Mondschein schimmerte. »Das ist genau das, was ich brauche, um meine Sammlung zu vollenden«, murmelte er vor sich hin. Er machte einen gewaltigen Satz, senkte die Hellebarde und rief: »Bürschchen, gib mir dein katana, und ich lasse dich deines Weges ziehen!«
Yoshitsune, der noch nicht einmal zu ihm aufgeblickt hatte, beendete sein Flötenspiel und richtete schließlich den Blick auf die riesenhafte Gestalt, die im Mondschein vor ihm aufragte. »Ach, Ihr seid es, der Schwertdieb. – Ihr müßt verrückt sein, wenn Ihr glaubt, daß ich Euch mein katana aushändige. Ihr solltet lieber schlafen gehen«, antwortete er mit sanfter Stimme.
Benkei stand vor Verblüffung der Mund offen. »Was für ein dummes und überhebliches Bürschchen!« dachte er. Wütend darüber, daß seine Bedrohung nicht ernst genommen wurde, wirbelte Benkei seine Hellebarde einmal herum und stieß sie nach vorn. Zu seinem größten Erstaunen vollbrachte es der Jungen, dem Stoß auszuweichen, hinter seinen Rücken zu gelangen und ihm einige Male mit dem tessen33 auf den Rücken zu schlagen. Immer wieder versuchte Benkei, Yoshitsune zu treffen, aber dieser hielt ihn regelrecht zum Narren. Man sagt sogar, daß selbst die Tengu erfolglos versuchten, ihm in dieser Nacht zu helfen, damit er zu seinem tausendsten Schwert gelangte.
Doch schließlich stieß Benkei versehentlich seine naginata so tief in das Holz eines Brückenpfeilers, daß sie steckenblieb. Halb besinnungslos vor Zorn versuchte Benkei, die Waffe zu befreien, als plötzlich der Jüngling seinen Umhang