Regensburg am Schwarzen Meer. Daniel Weißbrodt
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Er grinst, zapft sich auch ein Bier und nimmt einen tiefen Schluck.
»Ein paar Deppen in Budapest sind auf die Idee gekommen, allen Auslandsungarn ungarische Pässe geben zu wollen«, sagt er. »Und unseren Hornochsen in Bratislava ist daraufhin nichts Besseres eingefallen als ein Gesetz zu fordern, dass Ungarisch in der südlichen Slowakei in Zukunft nur noch Zweitsprache sein dürfte. Jeder Hundefurz müsste also erst auf Slowakisch beschriftet werden, bevor sie die ungarische Variante daneben schreiben könnten.«
Er schüttelt den Kopf.
»Daraufhin haben unsere Ungarn natürlich laut zu schreien angefangen, dass sie diskriminiert werden. Und mit solchen Spielchen vertreiben wir uns hier im Grenzgebiet die Zeit, wie die kleinen Kinder«, sagt er und seufzt.
HINTER ŠTÚROVO ERHEBEN SICH Hügel und Berge und am Mittag sehe ich die Burg von Visegrád, die rechts auf einem steilen Kegelberg steht. Das Donauknie. Nun fließt der Fluss nach Süden und kurz davor zweigt rechts der Szentendre-Arm ab.
»Szentendre, alte serbische Siedlung, Künstlerkolonie, wichtiges Ausflugsziel«, schreibt der Wasserwanderführer und nennt eine Anlegemöglichkeit auf den Kiesbänken unterhalb der Stadt, warnt aber davor, »die Boote nicht unbewacht zurückzulassen.«
So ein Blödsinn, denke ich. Sollte ich mich ausgerechnet am letzten Abend neben mein Boot setzen und aufpassen, dass es nicht geklaut wird? Ich beschließe, die Warnung zu ignorieren und spaziere durch die kleine Stadt mit ihren alten Häusern und Kirchen, dem gepflasterten Marktplatz und einem grünen Anger. Szentendre ist mittelalterlich verwinkelt und ein Touristenort mit mehrsprachigen Speisekarten. Es ist auch recht teuer für ungarische Verhältnisse, aber ich setze mich trotzdem in ein Café am Markt.
Es sind noch 15 Kilometer bis Budapest und am liebsten würde ich weiterfahren, immer weiter die Donau hinunter, tagelang, wochenlang, bis ans Schwarze Meer, so sehr habe ich mich an den immer gleichen Rhythmus gewöhnt, an die immer gleichen und doch so unterschiedlichen Tage auf dem Fluss. Auch die unbequemen Nächte im Zelt auf der dünnen Isomatte stören mich nicht mehr, ich habe mich längst schon daran gewöhnt, kein Bett mehr zu haben und nur alle paar Tage eine Dusche.
Am Abend setze ich mich neben das Zelt und öffne mir eine Büchse Bier. Ich möchte mich vom Fluss verabschieden, auf dem ich drei Wochen lang zu Hause gewesen bin und der mich mit sich getragen hat über mehr als siebenhundert Kilometer, geduldig und breit.
Die Sonne versinkt hinter den Bäumen am Ufer und ich trinke und rede mit mir selbst und mit dem Fluss. Es ist mir egal, ob mich jemand hören und was er dann über mich denken könnte, denn ich bin traurig und ein bisschen betrunken, ich rede halblaut vor mich hin und sage dem Fluss, dass ich bei ihm bleiben will, dass ich wiederkommen und dass ich ihn vermissen werde, sein Rauschen und sein Murmeln, sein Fließen und sein kühles Wasser.
AM MORGEN SETZE ICH MICH in ein Café an der Uferpromenade und frühstücke. Eine ganze Weile bleibe ich so sitzen und kann mich nicht recht entschließen aufzustehen und zum letzten Mal loszufahren, bestelle mir noch einen Kaffee und noch einen, sehe über die Donau und erst gegen Mittag gehe ich hinunter zum Fluss, baue das Zelt ab und belade das Boot.
Hinter der ersten, großen Brücke am Stadtrand von Budapest verändert sich mit einem Male die Luft. Sie ist nun schwer, trüb und grau, Stadtluft, und die Silhouette der Häuser am linken Ufer versinkt in hellem Dunst.
Ruderer fahren stromaufwärts, sie ziehen angestrengt die Riemen durch und sehen konzentriert auf ihren Schlagmann. Auch rechts kommen nun die ersten Häuser in Sicht und kurz nach dem Kilometerschild 1 657 lege ich am Steg eines Ruderklubs an und setze mich an den Strand.
Nachdem ich eine Weile so gesessen habe, entlade ich das Boot, ziehe es an Land und zerlege es in seine Einzelteile. Es hat ziemlich gelitten. Zwei Spanten und eine der Sperrholzleisten sind gebrochen und wo das Verdeck schwarz und stockfleckig gewesen ist, klaffen Löcher im blauen Stoff. Eigentlich, denke ich, müsste man die gebrochenen Teile ersetzen, das Verdeck nähen und das Boot ganz neu aufbauen. Lange hätte es ohne eine Reparatur ohnehin nicht mehr durchgehalten und ich weiß nicht, ob ich es jemals wieder fahrtüchtig bekommen werde. Ich weiß nicht einmal, ob es überhaupt noch Sinn hat, das kaputte Boot wieder mit nach Hause zu nehmen, aber ich möchte es auch nicht einfach wegwerfen und packe es in die beiden blauen Säcke, in den einen das hölzerne Gerüst, in den anderen die schwere Bootshaut. Der Schlafsack und das Zelt, die schmutzigen Sachen und alles andere kommt in den Rucksack. Nach einer Stunde bin ich fertig, setze den Rucksack auf und nehme den einen Packsack in die linke, den anderen in die rechte Hand. Ich kann kaum stehen, so schwer ist das Gepäck, und Schweiß läuft mir über die Stirn.
So schaffe ich das nie, denke ich, trage zuerst den Rucksack hundert Meter weit bis zur nächsten Kreuzung und hole dann die Säcke nach. Selbst auf diese Weise ist das Gepäck beinahe zu schwer, aber nach einer Weile gelange ich so an eine Bushaltestelle.
Bald darauf kommt ein Bus und ich steige ein. Der Fahrer schaut mit großen Augen auf das Gepäck und als ich einen Fahrschein bei ihm kaufen möchte, winkt er lachend ab und deutet auf einen der Sitze.
An einer großen Kreuzung dreht er sich um.
»Bahnhof?«, fragt er auf Deutsch.
»Ja«, sage ich und nicke.
»Nyugati«, sagt er, »Straßenbahn, Linie 6«, und deutet auf eine Haltestelle.
Ich steige aus und warte auf die Bahn.
Als sie kommt und sich die Türen öffnen, werfe ich das Gepäck hinein. Der Rucksack landet neben den Packsäcken und die Tür schließt sich. Die Bahn fährt los und ich stehe schreiend und gestikulierend neben dem Gleis. Sie hält wieder an und die Türen öffnen sich erneut, ich springe hinein und lasse mich auf einen Sitz fallen.
Am Bahnhof steige ich aus und schleppe die Säcke zum Schalter, stehe eine Weile an und dann druckt mir die Frau hinter dem Tresen die Verbindung aus. Der ICE über Wien, München und Nürnberg kostet 42 500 Forint. Das sind hundertachtzig Euro, aber ich habe nur noch hundert Euro und eine Hand voll Forint einstecken und das Konto ist leer.
»Und über Bratislava, Prag und Dresden?«, frage ich sie.
»Keleti«, sagt die Frau und zuckt die Achseln.
Ich fahre zum Bahnhof Keleti.
Schwitzend und keuchend stehe ich am Schalter und lasse mir die nächste Verbindung ausdrucken. Der EC über die Slowakei und Tschechien kostet 23 500 Forint.
»Kann ich in Euro bezahlen?«, frage ich.
Die Frau schüttelt den Kopf und deutet auf eine Wechselstube in der großen Bahnhofshalle. Dort zeige ich meinen Schein und der Mann tippt Zahlen in einen Taschenrechner und hält ihn mir dann entgegen. Auf dem Display steht 22 500.
Ich schüttle den Kopf, lasse mein Gepäck in einer Ecke stehen und gehe vor die Tür. Gegenüber dem Bahnhof ist eine Bank und ich gehe hinein, zeige meinen Schein und der Mann tippt Zahlen in einen Taschenrechner und hält ihn mir dann entgegen. Auf dem Display steht 23 500.
Ich nicke zufrieden und gebe ihm den Schein, nehme das Geld entgegen und gehe zurück in den Bahnhof, kaufe mir eine Fahrkarte und eine Flasche Wasser, sitze ein paar Stunden auf einer