Regensburg am Schwarzen Meer. Daniel Weißbrodt
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Читать онлайн книгу Regensburg am Schwarzen Meer - Daniel Weißbrodt страница 3
Aber dann benutze ich doch vorsichtig das Paddel und als das Boot wieder in der Strömungsrichtung liegt, beginne ich, flussabwärts zu fahren.
Meine Knie zittern. Keine Angst, sage ich mir immer wieder, ich darf einfach keine Angst haben, das wird schon, aber ich glaube selbst nicht recht daran.
Nach einer Weile wird das Wasser ruhiger. Noch immer fließt es schnell dahin, nun aber ohne Wellen und Strudel, und ich verlasse die Stadt.
Ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt, sicherer und einfacher, aber das Boot wird nicht von einer gleichmäßigen und ruhigen Strömung langsam mitgetragen, es vibriert in den Wellen und Strudeln, es will sich drehen und abtreiben und es schaukelt, Wellen kommen von der Seite, von hinten und von vorn und hinter einer überspülten Buhne wird es von einer Gegenströmung herumgerissen. An der nächsten geeigneten Stelle halte ich an, denke ich, auch wenn im Wasserwanderführer keine Zeltmöglichkeit verzeichnet ist, aber ich will so schnell wie möglich wieder ans Ufer, ich möchte an Land sein und festen Boden unter den Füßen spüren, doch links und rechts ist das Ufer mit großen, lose übereinandergeschichteten Steinbrocken befestigt und ich sehe keine Bucht und keinen Steg. Hier kann ich nicht anlegen.
Hinter den steinernen Dämmen stehen Bäume und weit kann ich nicht sehen, ich sitze im Boot und es ist eine Art Froschperspektive, vor mir das blaue Dreieck der Bootsspitze und davor der Fluss.
Nach einer Stunde sehe ich ein paar Angler neben einem kleinen, qualmenden Grill am Ufer stehen.
»Komm her!«, rufen sie. »Es gibt Fisch!«
Aber es geht alles viel zu schnell und schon bin ich an der kleinen Bucht vorbeigefahren.
»Ich muss weiter«, rufe ich zurück. »Ein andermal bestimmt!«
»Gute Reise!«, rufen die Männer, lachen und winken.
Kurz darauf steht in einer Bucht ein Mann in T-Shirt und kurzen Hosen neben einem Wohnmobil, er ist etwa Mitte dreißig, hat die Hände in die Hüften gestemmt und sieht über den Fluss. Ich steuere ans Ufer und schlittere auf eine flache, steinerne Rampe, springe aus dem Boot und der Mann hilft mir, es ein Stück an Land zu ziehen.
Ich habe wieder Boden unter den Füßen. Er fühlt sich gut an, fest und hart und unnachgiebig, und erleichtert setze ich mich ins Gras. Etwas mehr als anderthalb Stunden bin ich unterwegs gewesen und zehn Kilometer gefahren.
Als das Zelt aufgebaut ist, bittet mich der Mann in den Wohnwagen und stellt zwei Flaschen Bier auf den Tisch.
»Ich arbeite in Regensburg«, sagt er. »Meine Frau lebt mit den Kindern in Baden-Württemberg und im Sommer wohne ich unter der Woche hier im Caravan. Das ist billiger als im Hotel und viel schöner sowieso. Fahren muss ich ohnehin, da kann ich auch den Wohnwagen nehmen, und hier drin habe ich alles, was ich brauche. Küche und Fernseher, Dusche und Bett«, sagt er. »Und du? Wo kommst du her? Und wo fährst du hin?«
»Heute Nachmittag bin ich in Regensburg gestartet«, sage ich. »Und wohin, das kann ich noch gar nicht sagen. Ich glaube, ich habe mich ein bisschen überschätzt. Eigentlich wollte ich bis Belgrad fahren. Vielleicht komme ich bis Budapest, vielleicht auch nur bis Wien.«
»Morgen musst du den linken Nebenarm nehmen, hier, siehst du, etwa fünfhundert Meter flussabwärts«, sagt er und breitet eine detaillierte Landkarte der Bucht auf dem Tisch aus. »Nur ein schmaler Kanal führt auf den See und kaum jemand kennt diesen Ort. Dort ist es ganz ruhig und idyllisch, ein Vogelparadies. Ein paar hundert Meter weiter geht’s dann wieder auf den Hauptstrom, das ist überhaupt kein Umweg, doch das solltest du auf keinen Fall verpassen«, sagt er und holt zwei neue Bier aus dem Kühlschrank.
»Belgrad«, sagt er und setzt sich. »Ich wusste gar nicht, dass Belgrad an der Donau liegt.«
»Ich auch nicht«, sage ich. »Aber bevor ich losgefahren bin, habe ich mir erst einmal den Flussverlauf im Atlas angesehen und einen Wasserwanderführer gekauft. Wien, Bratislava, Budapest, das kennt man ja. Aber danach …«
»Ja«, sagt er und nickt. »Budapest, dann Schwarzes Meer. Viel mehr weiß man eigentlich gar nicht.«
Draußen dämmert es und die Tür des Wohnwagens steht offen, wir hören die Vögel zwitschern und das Rauschen und Murmeln des Flusses und nach einer Weile bedanke ich mich für das Bier, verabschiede mich und lege mich ins Zelt.
Auf der dünnen Isomatte ist es hart und unbequem, neben dem Zelt raschelt irgendetwas im Gras und der Wind rauscht in den Bäumen, gelegentlich ist das Motorengeräusch eines Schiffes zu hören und erst nach einer ganzen Weile schlafe ich ein.
AM MORGEN IST DER CARAVAN verschwunden und ich hole Gaskocher, Topf und eine Wasserflasche aus dem Boot. Der kleine Dreifuß ist schnell aufgebaut, blaue Flämmchen brennen leise fauchend aus den Düsen und kurz darauf kocht das Wasser sprudelnd im Topf. Mit dem Kaffeebecher in der Hand gehe ich ein paar Schritte hinab zum Ufer und sehe über den Fluss. Ein Schlepper fährt vorüber und Wellen klatschen ans Ufer.
Ich will nicht wieder in dieses wacklige und schaukelnde Boot einsteigen und stattdessen koche ich mir einen zweiten Kaffee, aber auch der ist irgendwann ausgetrunken und ewig kann ich ja nicht hier sitzenbleiben, denke ich und habe großen Respekt vor dem Fluss. Paddeln ist wahrscheinlich ein bisschen wie Bergsteigen und der Fluss ist viel stärker als man denkt. Aber was kann ich jetzt anderes tun, als wieder ins Boot steigen und es aufs Neue versuchen? Kurz kommt mir der Gedanke, dass es ja recht hübsch hier ist, und ich sehe mich um. Wenn ich einfach hierbleibe?
Aber dann ziehe ich doch das Boot ins Wasser und steige mit zitternden Knien ein, fahre los und die Strömung nimmt mich auf. Nach einer Weile gewöhne ich mich an die Geschwindigkeit und an die Kraft des Wassers und der Fluss kommt mir schon nicht mehr ganz so bedrohlich vor wie gestern Abend.
Die Strömung scheint geringer zu sein, es ist nun eher ein gemächliches Dahintreiben und mir fällt auf, dass sich das Boot viel besser steuern lässt, wenn ich paddle. Wenn ich schneller bin als die Strömung, dann können mir die Strudel fast gar nichts anhaben, dann fahre ich einfach über sie hinweg, und nur, wenn ich mich treiben lasse, hat das Ruder eine gewisse Trägheit. Dann muss ich es schon eine ganze Weile, bevor sich die Spitze des Bootes in die Richtung dreht, in die ich fahren möchte, wieder gerade halten, sonst fahre ich Schlängellinien. Aber eigentlich ist es genau so, wie es auch jeder Fahrschüler in den ersten Stunden lernt. Wenn man nicht kurz vor der Motorhaube auf die Straße sieht, sondern dorthin, wo man auch hinfahren möchte, dann bleibt man nach einer Weile von ganz alleine in der Spur.
Ich überquere den Fluss und biege in den Seitenarm. Dort fließt das Wasser nicht mehr, es steht, und ein Milan schwebt weit oben am blauen Himmel. Algen und ein paar Plastikflaschen treiben im Wasser und es ist ganz still. Nur die Vögel zwitschern und auf einem abgestorbenen Baum sitzen ein paar Kormorane mit ausgebreiteten Flügeln reglos in der Sonne. Das Ufer ist nicht mehr mit grauen Steinblöcken befestigt, stattdessen steht dort Schilf, in dem Spatzen lärmen, und ein paar Seerosenblätter schwimmen auf dem Wasser.
Der Nebenarm verläuft parallel zum Strom, nach ein paar hundert Metern gelange ich über einen schmalen Kanal wieder zurück auf den Fluss und auch im Hauptarm hat die Strömung nun nachgelassen.
»Km 2 373,1 – Beginn des Rückstaus der Staustufe Geisling«, steht im Wasserwanderführer.
Das Buch ist sehr hilfreich. Alle Orte, Brücken und Zeltmöglichkeiten sind auf hundert Meter genau verzeichnet, dazu kommen kurze, nützliche Hinweise und Flussverlaufsskizzen, die Staustufen sind sogar mit kleinen Karten versehen und am Ufer stehen