Die Zeit berühren. Walter Kaufmann

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Die Zeit berühren - Walter  Kaufmann

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überforderte ihn.

      »Kenne hier keinen und will auch nicht«, sagte er in breitem Sächsisch, und bald hatte ich heraus, daß er aus Radeberg stammte, Fleischer war und er sich, seit die Mutter tödlich verunglückt war, niemandem und nichts zugehörig fühlte – auch Radeberg nicht. Von dort war er verschwunden, sobald das möglich wurde, und nun sei er schon drei Wochen auf dem Schiff und bei den letzten paar Mark vom Begrüßungsgeld.

      »Und dann?« fragte ich.

      Mit klobiger Hand beschrieb er einen Kreis. »Immer so weiter«, sagte er.

      Dabei meinte er seine tägliche Arbeitssuche in der Umgebung, von Fleischerei zu Fleischerei und zurück auf das Schiff, wo er in der Viermannkajüte seine Koje hatte und es Essen gab.

      »McDonald's«, sagte er. »Pappteller und Plaste.«

      »Lebt sich doch einigermaßen«, entgegnete ich.

      »Schon richtig«, sagte er. »Bloß Krach ist auch viel, und Schlägereien. Kommt immer auch mal die Polizei, wegen Ladendiebstahl und so. Kann ja nicht ausbleiben. Aber ich halt mich da raus.«

      Ich sagte ihm das von dem zweiten Karteikasten und woher ich das wüßte. »Müssen ja auch Abgänge gewesen sein.«

      »Abgänge sind«, sagte er. »Bloß ich bin noch hier.«

      Er sagte es stumpf, mit wenig Hoffnung, und flüchtig tauchte auch Radeberg auf – wie von sehr fern aus einer anderen Welt.

      »Hat ja keinen Sinn«, sagte er. »Die Mutter tot, die Wohnung weg. Was soll ich da?«

      Ich schwieg, und hätte auch geschwiegen, wären wir nicht durch den Karteiverwalter vom Roten Kreuz unterbrochen worden.

      »Einen Karl Rademacher aus Plauen hat es hier nie gegeben.«

      »Na dann«, sagte ich zu dem Fleischer aus Radeberg.

      »Na dann«, sagte auch er.

      Wir gaben uns die Hand und ich ging.

      Verlagshaus

      Rostock 1964

      »Diese Frau da mitten im Roman – so untypisch«, sagte der Verlagsleiter, »nichts fehlte, würde man sie streichen.« Und dann zitierte er Shdanow. »Typische Menschen in typischen Umständen.« Er schlug vor, das Kapitel noch einmal zu überprüfen, so wie es im Lektorat redigiert worden sei, also »ohne diese Verrückte, die Protestzettel an Bäume klebt.« Danach hieße es nur noch, die Kürzung abzuzeichnen und der Roman wäre im Plan.

      Ich war die Auseinandersetzungen leid und bereit nachzugeben. Zwei Jahre hatte ich an dem Buch gearbeitet, ich wollte es verlegt sehen, und die Frau, die sich dagegen auflehnte, seit jenem 13. August von ihrem bei der Großmutter in Westberlin gebliebenen Töchterchen getrennt zu sein, gehörte tatsächlich zu den Randfiguren. Sie schien entbehrlich. Auch wenn ich ihren Alleingang mit den Zetteln an Bäumen, für den sie belangt und verhaftet worden war, tilgte, bliebe der eigentliche Handlungsablauf intakt.

      Wie lange würde ich brauchen, das Kapitel durchzugehen? fragte der Verlagsleiter. Ich sagte es ihm, er wies mir ein Zimmer zu, wo ich ungestört sein würde, und eine halbe Stunde später trafen wir uns wieder.

      »Nun«, forderte er sanft. »Wie haben wir uns entschieden?«

      Ich schwieg. Obwohl er meinen Widerstand spürte, blieb er zugänglich. Er lächelte, und lächelnd ließ er mich wissen, er verstünde, daß ich mich gegen den Eingriff sträubte. Und wieder zitierte er, Rowohlt diesmal, einen Verleger, den er schätzte.

      »Wenn ein Manuskript ohne den Autor gekürzt wird, wird es nicht kürzer, sondern länger.«

      Ich atmete auf. Er schien ein Einsehen gehabt zu haben. Schon wähnte ich den Roman samt der gestrichenen Seiten im Plan, und es traf mich hart, als ich sein Lächeln schwinden sah.

      »Wir sind also übereingekommen, daß wir nicht übereinkommen können«, hörte ich ihn sagen.

      »So wird es sein.«

      »Meine Hochachtung«, sagte er. »Ein Autor mit Prinzipien.«

      Zwei Jahre vergeblicher Mühe wegen drei lumpiger Seiten, dachte ich. Doch es gab kein Zurück. Mir ging das mausgraue Mädchen durch den Kopf, das ich am Morgen auf der Plattform des Zuges nach Rostock verstohlen hatte rauchen sehen, die glimmende Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger in der hohlen Hand. Knast? hatte ich sie gefragt und erstaunt hatte sie zurückgefragt, woher ich das wisse. Ich hatte ihr geantwortet, daß so nur rauche, wer nicht dabei erwischt werden wollte, und dann hatte sie zugegeben, heute erst aus dem Werkhof entlassen worden zu sein, auch den Grund für ihre Maßregelung hatte sie gesagt – das Ansprechen von Männern auf Bahnhöfen.

      »Es muß an mir liegen, daß ich immer wieder an untypische Menschen in untypischen Umständen gerate«, sagte ich dem Verleger. »Da war dieses Mädchen auf dem Zug …«

      Aber er hörte nicht mehr hin. Ihn drängten Termine, und kurze Zeit später hatte ich mein Manuskript zurück und war auf dem Weg zum Rostocker Bahnhof.

      Suvastrand

      Fidschi 1954

      Weitab in der Sichel des Strandes war eine Gestalt erkennbar, ein Mann, der mit dem Rücken gegen den Stamm einer Palme lehnte. Still lehnte er dort und blickte hinaus aufs Meer, und verharrte still wie zuvor, nachdem er sich gesetzt hatte, die Arme um die Knie verschränkt. Beim Näherkommen dämpfte ich die Schritte. Er sah erst zu mir auf, als mein Schatten über ihn fiel. Nur seine hochgezogenen Brauen verrieten die Spur von Unwillen. Wir begrüßten uns und dann schwiegen wir. Er kam meiner Vorstellung von Jesus nah – ein Dreißigjähriger von schlankem Wuchs mit Haar, das bis zur Schulter reichte, die Stirn gewölbt und hoch, der Blick der Augen stetig und sinnlich der Mund. Wie er da nachsinnend saß, wölbten sich sanft die Lippen. Er war barfuß, zerschlissen die Jeans und rissig an den Knien, dem Khakihemd, das ihm offen über der Brust hing, fehlten die Ärmel.

      »Es wird Wind aufkommen und in der Nacht ein Sturm«, hörte ich ihn sagen.

      Da sah auch ich hinaus aufs Meer, das glatt war wie ein Spiegel, wolkenlos erstreckte sich der Himmel am Horizont, und schwach wie ein stehendes Gewässer floß das Meer über den Sand. Nicht ein Hauch bewegte die Palmblätter. Es war schwül schon am Morgen, jetzt war es schwüler, und die Sonne stach.

      »Joseph Conrad«, sagte ich.

      Er wiegte versonnen den Kopf und befragte die Bemerkung nicht.

      »Oft gibt es solche Prophezeiungen in Conrads Erzählungen – ein erfahrener Seemann«, fuhr ich fort.

      Dem stimmte er zu und wieder behauptete er, es würde stürmen in der Nacht. Ich wähnte, daß auch er ein erfahrener Seemann war.

      »Das ist lange her, zehn Jahre.«

      »Und seitdem nur noch ein Leben auf Suva?«

      »Die Inseln sind mein Leben«, sagte er.

      Mir wollte nicht in den Sinn, wie einer sich früh schon so entscheiden konnte.

      »Mit

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