Drei Erzählungen von Christiane Benedikte Naubert in einer Transkription von Sylvia Kolbe: "Die Warnerin. Eine Geschichte aus dem dreißigjährigen Kriege.", "Die weiße Frau" und "Herzog Christian von Eisenberg oder: das eisenberger Gespenst". Christiane Benedikte Naubert
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Was dieser Dinge Wirkung auf sein Gemüth nun seyn mochte, so ist doch dies wahr, daß er von nun an abstand von Belagerung der Stadt. Zog sich zurück bey zwey Stunden Wegs, und lagerte sich bey einem Walddörflein, dessen Namen ich vergessen, hinter einer Reihe Hügel, der Stadt den Rücken kehrend, den Schweden entgegen, die immer mehr anrückten.
Ließ mich des andern Abends zu sich kommen, sagend: Jungfrau, ihr habt wohlgerathen; die Retter jener Stadt, die der Tod bewachte, waren zu nah.
Ich konnte wenig hierauf antworten, beurlaubte mich auch kurz, maßen ich diesen Gang über Vermögen gemacht, und nach Hause eilen mußt, um mich zu legen; denn, hilf Gott, ach hilf Gott, welche Nachricht hatte ich beym Heimkehren von der Lucardis erhalten! – Ja ja! ihr Anschlag war gelungen, Leipzig war gerettet, welches ich ihr und der guten Stadt wol nicht mißgönne, aber mein Glück, mein ganzes Glück war dahin!
Kurz vorher, ehe ich an des Feldherrn Seite von jener Farth zurückkam, läßt sich bey der Lucardis ein Fremder melden, tritt auch sogleich der anmeldenden Dienerin nach; eine Riesengestalt, fast schrecklich anzusehn. Es war mein Lilienström. Jungfrau, ruft er, man sagt, ihr seyd der Fuggerin Gefreundte; rathet ihr, daß sie vom Bösen ablaße. Ein Mann, der sie im Herzen getragen und ihr nun entsagt, hat sie wol mehr zweifelhaft, aber heut ganz schimpflich erfunden25. Hat ihr nun vorgemahlt meine Vertraulichkeit mit dem alten Grafen, meine Besorgnis um ihn, und alles aufs schnödeste gedeutet, sogar bis auf den kaiserlichen Mantel und Hut, die mich jedoch, wie er grausamlich hinzugesetzt, nicht so unkenntlich gemacht, als mein geändertes Leben, das mir auf Stirn und Wangen geschrieben stünd.
O meine Lucardis! Dank dir, daß du, du Zeugin meines heimlichsten Wandels, du Zeugin selbst meiner Gedanken, ihn, der sich schnell entfernen gewolt, nicht von dir gelaßen, bis du ihm das Verständniß geöffnet über all mein Thun und Wesen! Hättest, o hättest du nur ihm dies Eine verschwiegen, wie auch ich ihn immer im Herzen getragen, und mich in allem nur seiner getröstet! Dies, ja dies verschlimmert alles, denn nun wird er mich ewig nicht achten!
So klaget ich damals: jetzt weiß ichs anders! Halb und halb von meiner Unschuld überzeugt durch der Freundin mächtige Worte, hatte die Entdeckung, wie unaussprechlich lieb er mir sey, meine Entschuldigung schier ganz vollendet, (durch welche Art zu schließen, das ist Gott bewußt;) er hat mirs nachmals gestanden.
Gegen Lucardis äußert er damals nichts hieven. Jungfrau, hat er gesagt, ich gehe, wohin mich der Tod ruft. Alles setze ich dran, um den Wüterich zu tödten, der sich des Liebsten anmaßt, das ich hatte. Ich gehe zu Grunde, das weiß ich, beym Angriff des zehnfach Bewachten in offener Schlacht: aber ich sterbe vergnügt, befreye ich die Jungfrau und das Land von einem Ungeheuer.
Ich legte mich diesen Abend krank zu Bette. Vom Geräusch der Schlacht, die in wenig Tagen geliefert wurde, vernahm die scheidende Seele gar wenig, obgleich der vielpfündigen Kugeln gnug in unser Dörflein gefallen sind; mir hat alles vorgeschwebt als im Traum, und hab ich die bey meinem Lager angstvoll ab- und zugehende Freundin nur immer getröstet, die Nacht werde nun bald vorüber seyn, der Tag anbrechen. Habe wol jenen himmlischen Morgen gemeynt, maßen ich nicht mehr auf der Welt war.
Als das Schicksal entschieden hatte, war Sprache und Verstand bey mir gar dahin, und glaubte die Freundin bey meiner Leichen zu weinen, als der Schweden Siegslied ertönte.
Ja, die Schweden hatten gesiegt, die Kayserlichen flohen , der Tilly schwer verwundet; ihn hat ein einzelner Reuter mitten unter den Seinen gefaßt, und nicht von ihm abgelassen, bis der Tod entschied.
Lucardis warf sich und mich der siegenden Macht in die Arme. Sie ging selbst, für uns beym großmüthigen Gustav Adolph zu bitten, und sie erhielt von dem milden Könige alles, was sie wünschte.
Als ich nach einigen Wochen genaß, sagte sie mir, wie sie das Versprechen vom Könige erhalten, sie dürfe sich von den umliegenden Schweden eine Bedeckung aussuchen, an jeden Ort zu kommen, der ihr oder ihrer kranken Freundin gefällig.
Ich sah sie sehnlich an, und nannte meinen Lilienström. Lucardis schwieg, und Thränen stürzten aus ihren Augen. Ach, als sie Audienz beym Könige hatte, da wurde ihm Hut, Ringkragen und Schwerdt eines schwedischen Hauptmanns gebracht, dessen Leichnam eben vom Schlachtfelde hereingeschafft worden war. Es ist mein braver Lilienström, sagte der König, und Thränen traten in des Helden Augen. Er wollte mir alles gewinnen, indem er den Wüterich tödtete, und hat mir sein Leben geopfert! ohne Ruh verfolgte er den Feldherrn, hat auch ihn gefährlich verwundet, aber das Leben des Edeln bezahlte für die versuchte Heldenthat! Auf! daß ich die Ueberreste meines Freundes sehe, und ehrlich ihn begrabe!
Meine Freundin sagte mir solches in jener Stunde nicht, aber ihre Thränen ließen michs ahnen, und bin ich also, als sie mir es endlich nicht mehr zu läugnen vermocht, mehr todt als lebendig in den Reisewagen gehoben, und gen Augspurg gebracht worden, unter schwedischer Bedeckung.
Ich wars, die für meine Vaterstadt entschieden hatte, und Lucardis zog die Pflicht, die Freundin nicht zu lassen, der Ruhe vor auf ihrem stolzen Schloße, wohin ihr diesmal zu folgen ein innerer Trieb mich hielt, der mich zum Glück leitete.
O diesen Trieb, dieses Anmahnen, jenes zu thun, dieses zu lassen, rühme ich mich oft bemerkt zu haben, obwol nicht immer. Er ist die einzige Macht fremder Kräfte, die ich je gekannt, der ich auch allemal nachging, wenn sie mir deutlich ward.
Ein halbes Jahr nach meiner Ankunft bey den Meinen kam das Gerücht, wie der siegreiche Gustav im Sinn habe, mit großem Gefolg gen Augspurg zu kommen. Meines Leibes Gesundheit war damals ziemlich hergestellt, obgleich das Herz noch krank war, denn meinen Fritz konnt ich ja nimmer und nimmer vergessen. Ich schwamm in Thränen, da alles sich schmückte und freute, dem schwedischen Helden entgegen. Die kriegerische Musik war mir ein Todtentanz. Kaum konnte mich meine Lucardis bewegen, hinter dem Vorhange ein wenig zu lauschen, bey des Königs Einzug.
Jetzt gewahrend den freundlichen König, der mit Dank und Gruß alles erfreute, was hier verfügt war, ihn zu erfreuen und zu ehren , drückte ich die Stirn an das verhangene Fenster, und meine Thränen troffen nieder vor mir. Auf einmal ruft die Lucardis im Erker: Margaretha, sieh doch! o sieh doch! Und jetzt kommt sie, jetzt reißt sie mich hin auf den offenen Umgang. Dies ist Gustav, spricht sie, der große König; aber wer reitet da hinter ihm, schier Herzog Bernharden zur Seiten?
Und ich schaue, schaue noch einmal, und die Augen vergehen mir, mit ihnen die Kräfte, Fritz! rufe ich, mein Fritz! und sinke rücklings zu Boden.
Unvorsichtige Freundin! was hattest du gethan! Doch du wußtest es ja selbst nicht, warest ja selbst fast von Sinnen vor Freude über das Glück der Armen, die schon jedem Glück entsagt hatte!
Während man mich auf das Bette brachte, war Lucardis, die meine Pflege meinen Schwestern überließ, schon aus auf Kundschaft, ob der Fritz auch wirklich lebe, lebe für mich! Aber noch ehe sie hierin etwas thun konnte, war schon Botschaft bei uns von dem freundlichen Könige: er hätte wahrgenommen, daß eine Jungfrau hier ohnmächtig geworden, wolle nicht hoffen durch des Einzugs Geräusch, welches ihm leid sey, und würde sein Leibarzt gleich da seyn, zu hindern, daß die Freude der guten Stadt nicht in diesem Hause in Leid verkehrt würde.
Was der König gesagt hatte, geschah, und von dem Doctor erfahrend, daß wir zu den Fuggern gehörten, in deren Häusern er Herberg genommen, hat er uns höflicher Dinge noch viel sagen lassen, und Lucardis ist ihm vorgestellt worden, die er schon kannte;