Prothesengötter. Frank Hebben
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Ah Muken Cab, 3.31.XXX.XX, X.XX.
Ob das der Name des Handwerkers ist? Seine Kennnummer, die er sorgsam verschlüsselt hat? Und plötzlich, als ich die Batterie aufnehme, wieder im Gehäuse fixieren will, da ahne ich:
Diese Bienen sind ungesetzlich!
Es muss gefährlich sein, sie zu besitzen, sie müssen gegen den Codex verstoßen. Aber das hieße ja: Ich habe eine Straftat begangen – sie freiwillig in meinen Container gelassen, anstatt das Hauptwerk zu informieren! Meine Finger zucken; das Kleinteil fällt mir aus der Hand und rollt vom Teller auf den Boden, bis es gegen die Wanne springt, dort liegen bleibt.
Was mache ich? Was mache ich bloß?
Zerstreut, nervös, kratze ich mir Schorf ab, während ich den Rollstuhl erst zum Netzwerk, dann zur Luke drehe: Die Iristür darf nur im Notfall manuell geöffnet werden; ohne Bescheid kein Ausgang, ansonsten folgt eine Bußbelastung des Zeitkontos; Wiederholungstäter werden mit einer Herabstufung der Arbeiterklasse abgestraft, §935.a und §935.b. Die Paragrafen hallen durch meinen Kopf; verharre reglos, kann mich zu keiner Aktion zwingen; stecke im Patt, die Gleichung ist zu beiden Seiten blockiert, egal, was ich tue, es ist das Falsche: Ich verliere mein Gesicht und werde vom Rechenknecht zum Werkshelfer modifiziert, wie ich einst vom Konstrukteur zur Rechenmaschine transformiert worden bin.
Panik, schreckliche Angst.
Nein, mir bleibt eine Option offen: Schweigen und alles für mich behalten. Wenn ich nicht auffalle, wird auch weiter nichts passieren. Ich werde meine Pflicht erfüllen – arbeiten, essen, schlafen. So wie alle anderen auch!
Die Zyklen vergehen, doch ich zähle sie nicht mehr. Ein taubes Gefühl beherrscht mich, eine ständige Müdigkeit, die es mir schwer macht, mich auf die Rechensequenzen zu konzentrieren; meine Fehlerquote liegt weit über Normal. Nachts schlafe ich schlecht, muss oft den Traumfänger benutzen, um die quälenden Gedanken abzustellen, die durch meine Zellen tanzen, sobald ich in der Wanne liege, im rötlichen Halbdunkel, umgeben vom braunen Isoliergel, das mich kaum wärmt.
Tagsüber friere ich trotz der Wärme in den Metallplatten; vermutlich bin ich krank, eine Grippe, ein Virus, das mich befallen hat, weil ich noch nicht an das trockene Klima gewöhnt bin ... oder ein Nervenleiden, das mich von innen heraus zerfrisst.
Die Schuld belastet mich.
Ständig kommt mir der Gedanke, dass ich den Schwarm zerstören sollte – zerlegen, zertrümmern, die Reste durch den Abfallschacht entsorgen. Dann habe ich das Werkzeug meist schon in der Hand, kann mich jedoch nicht überwinden. Ihre Nähe hat etwas Tröstendes, ich war so lange ganz allein, abgeschottet von der Außenwelt, die durch diese Insekten ein Stück weit zu mir gekommen ist; was auch immer da draußen sein mag.
Mein Wunsch, den Container zu verlassen, wurde vom Hauptwerk abgelehnt. Gründe hierfür gab es keine ... Zufallsmodus? Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr will ich es glauben. Oder wird ein Ausgang möglicherweise nie erlaubt, und wir sind freiwillig und treu unsere eigenen Wärter in einem Gefängnis ohne Stäbe? Was hält mich eigentlich davon ab, nicht einfach die Iristür zu öffnen, hinauszufahren oder mit Krücken auf den Korridor, den Steg, das Baugerüst zu steigen, das mich wegbringt aus diesem Gefängnis aus schwarzen Nullen, schwarzen Einsen! Wer verpflichtet mich zu einer Arbeit, die ich mir nicht ausgesucht habe? Wer hat dazu ein Recht!
Gefährliche Gedanken.
Ich zittere, die Lippen beben, und lange geht mein Atem stoßweise, bis ich mich endlich beruhigen kann. Mir ist kalt, eiskalt.
Die Bienen haben etwas mitgebracht, eine zähe, goldbraune Masse, die klebrige Fäden zwischen meinen Fingern zieht. Erst bin ich davon ausgegangen, dass es (Blütenhonig) ist, bevor mir die Unsinnigkeit dieser Hypothese bewusst wurde: Keines der Artefakte verfügt über einen eigenen Metabolismus, noch gibt es eine richtige Vegetation da draußen, geschweige denn Blumen oder Bäume.
Aber was ist es dann?
Vorsichtig führe ich einen Finger an meine Zunge und koste die Substanz – süß, so muss süßliche Nahrung schmecken; viel besser als das Zeug, das lauwarm aus den Hähnen klatscht. Glukose, ein synthetischer Fruchtzucker? Das gab es früher manchmal, flüsterte mir ein Archivar; heute gibt es nur noch Brei. 40 µl pro Artefakt und Flug, so schafft jedes Insekt einen Tropfen nach dem anderen herbei; sie bleiben am Gehäuse haften, an den Fühlern, an den filigranen Beinen – ich habe die Menge hochgerechnet: Bei einer Anzahl von fünfhundert Bienen dauert es knapp einen halben Zyklus, bis ein ganzer Liter in den Wachswaben eingelagert ist.
Ihr Programm läuft wie ein Uhrwerk, konstant. Für welchen Zweck, ist mir immer noch rätselhaft.
Ich werde den Container verlassen, noch heute. Zu dem Entschluss bin ich gekommen, als ich letzte Nacht in meiner Schlafwanne lag und furchtbare Geräusche hörte – das Keuchen einer Frau; und dann ein Winseln, das durch die Belüftung zu mir hereinsickerte, leise und gequält. Wie von einem Säugling.
Was dort draußen vor sich geht ... Ich muss es wissen! Und dennoch kostet es mich endlos große Kraft, den Rollstuhl zur Iristür zu treiben, um meinen Finger auf den grünen Schalter zu legen: Da ist ein Widerstand in meinem Kopf, der versucht, mich zu blockieren. Ich schwitze, mein Speichertumor glüht vor Fieber; fühle mich krank und schwach, und jeder Radschwung wird zur Qual, bevor ich die Distanz überwunden und mich in Position gebracht habe. Schnaufend strecke ich den Arm vor und –
Danach gibt es kein Zurück mehr! Die Paragrafen brennen vor meinen Augen: §935.a und §935.b. Ob es das tatsächlich wert ist? Habe ich nicht alles, was ich zum Leben brauche: eine feste, saubere Arbeit, einen Wohnraum, Nahrung und Wasser; und das einfach so aufs Spiel setzen? Wie leichtsinnig wäre das! Was schert es mich überhaupt, was in der Außenwelt passiert – nichts und wieder nichts! Das Hauptwerk hat dafür Sorge zu tragen, dass das System funktioniert, kein anderer! Außerdem: Noch gäbe es die Chance, meinen Ausfall zu beenden, indem ich den Bienenschwarm entsorge. Ja, das sollte ich tun. Genau das sollte ich tun! Schon will ich den Rollstuhl wieder umdrehen, als mir durch den Kopf schießt:
Und wenn das ganze System krank ist? Vielleicht liegt ihm eine Basisidee, eine Programmierung zugrunde, die über die vielen Zyklen fehlerhaft geworden ist. Wäre das nicht möglich? Würde das nicht erklären, warum ich die Tür nicht öffnen darf; warum ich Tag und Nacht für mein Zeitkonto schufte, damit ich im Gegenzug diesen klebrigen Brei und etwas frische Luft erhalte? Wo liegt der Sinn des Ganzen? Wo? Ich bin doch nur ein Sklave, mehr nicht.
Ein Rechenknecht! Aber natürlich, wieso ist mir das nicht früher aufgefallen: Wir alle, wir sind Sklaven in einem riesigen Arbeitslager, erschaffen Zahlen, um neue Zahlen zu schaffen – so, als würde man Steine herbeischleppen, damit andere sie zerschlagen können. Das ist es; ich habe es endlich durchschaut ...
Ich werde mein Gefängnis öffnen!
Golden, heiß – ein Lichtstrahl schießt mir ins Gesicht! Reflex-artig schütze ich mein Lupenauge mit der Hand, während die Türblende spiralförmig aufgeht. Sonne hüllt mich ein, überströmt mich! Fast wäre ich an der trockenen Luft erstickt, die meinen Container durchflutet; sie kratzt im Hals wie Reizgas, schnürt ihn zu, dann ein Stechen in der Lunge, das mich asthmatisch keuchen lässt. Ich huste; versuche, nicht zu atmen, bevor ich den Rollstuhl ein Stück weit nach draußen bugsiert habe. Es knirscht unter den Rädern, als würde ich über Glasscherben fahren. Noch immer kann ich nur flimmernde Umrisse erkennen – und erst, als ich mir die Tränen aus den Augen blinzle, wird die Sicht klarer: ein Fels ... eine felsige Klippe, die steil zum Meer abfällt.
Das