Prothesengötter. Frank Hebben
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»Ich bin hier!«, schrie sie zur Antwort. »Was passiert …?«
»Bring den Wagen zum Tor, wir kommen raus! Beeil dich, hier ist die Hölle …!«
Sie hörte ihn aufschreien, als die Verbindung abbrach. »Ska?«, fragte sie ängstlich.
Keine Antwort.
Nach kurzem Zögern drückte Céline den Zündknopf; der Motor startete, sie legte den ersten Gang ein und gab mehr Gas. Einmal holperte das Fahrzeug über den Bordstein, ehe sie das Lenkrad in den Griff bekam und geradlinig dem Zaun folgte. Achtzig Meter, sechzig Meter – Céline beschleunigte, fand den zweiten, dritten Gang und knallte ihn rein. Links von ihr sah sie, wie eine Gestalt gekrümmt aufs Tor zustolperte, Ska; sein linker Arm baumelte schlaff, Blut glänzte an seinen Fingern.
Drei Gestalten rannten hinter ihm her, Gewehre in den Händen; eine feuerte, während Ska das Tor passierte und auf die Straße zuwankte. Ruckartig drückte Céline auf die Bremse; der Wagen machte einen Sprung, stockte und brach aus; sie kurbelte dagegen, die Räder schlingerten über den Asphalt – dann ging stotternd der Motor aus. Wieder und wieder presste Céline auf den Zündknopf, doch erst, nachdem Ska die Tür geöffnet und sich auf den Beifahrersitz gezogen hatte, sprang der Wagen erneut an und kroch im dritten Gang vorwärts, zur Kreuzung.
Eine Gewehrsalve pflügte über die Kofferraumhaube; das Fenster platzte, als mehrere Kugeln in den Innenraum schlugen und die Polster zerfetzten. Céline schreckte auf, hätte fast die Kontrolle über das Lenkrad verloren. »Mein Bein«, schrie sie, »ich kann nicht runterschalten!«
»Gib vorsichtig … Gas«, keuchte Ska, seinen Kopf gegen die Lehne stützend. Er stöhnte. Blut sickerte ihm aus Mund und Nase. »Der Flame kam rein, als ich die Apparaturen, den Kubus … benutzte. Hab nur ein Drittel der Memories im Kopf.«
Kurz musterte sie ihn, die kalkweiße Haut, den Schweiß auf seiner Stirn; er zitterte stark. »Du, wie schlimm bist du verletzt?«
»Ich glaub, ich pack’s nicht«, keuchte Ska und hustete Blut.
»Quatsch«, sagte Céline hart, doch Tränen sammelten sich in ihren Augen, verschleierten ihr die ohnehin schlechte Sicht. »Klar kommst du durch, ich bring dich ins St. John.«
»Nein!« Skas Brustkorb pumpte Luft. »Die stellen Fragen, bring mich nach Hause, ruf die Schwarze Ambulanz.«
»Okay.« Mit der Handfläche wischte sie sich die Tränen ab, neue kamen nach. Céline fuhr einfach geradeaus, über die Kreuzung, weiter; und endlich zog der Wagen an und wurde schneller.
Zwei Häuserblocks später griff Ska nach ihrem Arm. »Céline, halt an. Du musst dir die … Erinnerungen rausholen, jetzt sofort.«
»Halt durch, ja?«
»Sei … sei nicht dumm, fahr den Wagen rechts ran.«
»Also gut«, sagte Céline erstickt. Etwas schnürte ihr die Kehle zu, sie konnte kaum atmen, als sie abbremste und den Wagen im Neonschatten einer Wäscherei stoppte. Von hinten wehte kalter Regen zu ihnen hinein.
»Beeil dich, gleich bin ich weg.« Seine Augenlider flatterten, Ska starrte ins Leere. »Los!«
Mechanisch holte Céline die Pistole und den Kubus aus der Tasche, legte beides aufs nasse Sitzpolster. Ein Kurzschluss knisterte über das Gehäuse; Céline bemerkte es nicht, als sie beide Haftungen anbrachte. »Okay«, flüsterte sie, hämmerte auf den Knopf:
Und ein Strudel von Memories drang in sie ein – Bilder, Klänge und Empfindungen aus einem Leben, das nicht ihr eigenes war, und sich dennoch seltsam vertraut anfühlte: Kindheit, goldenes Viertel, Mord an ihrer Mutter, gravierte Klingen, Drache, Teufel, Schulfabrik, Einsamkeit, Untergrund, Spraydosen, Gefängnis, Waffen, Feuer über Feuer, ein Blitz, ein blauer Hund und dann Graffiti mit Knochen und Blumen und Tod, surreal und doch so echt, dass sich Mirós Erinnerungen mit den ihren mischten, sich beim dritten Kurzschluss miteinander verzahnten. Céline schrie auf, während sich das letzte Memory in ihr aufblähte wie eine Seifenblase und – zerplatzte! Schwärze und Rauschen. Skas Körper war kollabiert.
Eine Neonrose als Schädel
In den Dornenaugen
Sterne
Flaggen sprießen
Aus dem Kiefer
Farben der Revolution
»Er ist tot, steig aus.« Das nachtblaue Auto hatte neben Céline angehalten, ein Fahrer und ein Mann hinten, der eine Waffe auf sie richtete, ebenso wie der Flame; er stand vor ihrem Fenster und blickte düster auf sie herab. Sein Monitorauge simulierte einen schnellen Wimpernschlag. »Steig aus, hab ich gesagt. Pronto!«
»Ja, gut.« Unauffällig ließ Céline die Pistole in ihren Rückenbund gleiten und zerrte den Plastikmantel drüber. Sie nahm die Haftungen ab und stieg aus. Draußen trommelte Regen auf die Motorhauben.
»Gutes Mädchen«, sagte der Flame und trat zwei Schritte zurück. »Du hast doch nicht etwa geglaubt, mich verarschen zu können?«
»Wieso bist du schon hier?«, fragte Céline. »Ich sollte dir die Memories erst morgens bringen.«
Der Flame lachte freudlos. »Glaubst du wirklich, dass ich das Gelingen meiner Geschäfte allein in die Hände eines Kindes lege? Vier Sammler waren heute Nacht für mich unterwegs.« Der Gewehrlauf zeigte jetzt auf ihren Kopf. »Hast etwas, das mir gehört, Mädchen. Wir werden deinen Kubus be–«
»Ka!« In einer geübten Bewegung sprang Céline über den Kofferraum, rutschte und fiel, drehte sich, zog die Waffe, kam hoch und feuerte drei Kugeln auf den Flamen und seine Begleiter ab. Mirós Erinnerungen halfen ihr; sie wusste, was sie tun musste. Die vierte Kugel durchschlug die Scheibe und den Brustkorb des Fahrers, die fünfte traf den Flamen an der Schulter, die sechste ging in seinen Kopf. Augenblicklich verlosch der Monitor und wurde grau, als der Flame steif wie eine Puppe nach hinten stürzte und reglos auf der Straße liegen blieb. Sein Blut trieb in eines der Abflussgitter.
»Hau ab, sonst mach ich dich kalt!«, brüllte Céline den letzten Mann an. »Bitte, hau endlich ab!«
Dieser ließ zögernd die Waffe fallen, kletterte aus dem Fahrzeug und rannte, rannte die Straße entlang und verschwand an einer Werbesäule.
Céline atmete tief durch; sie ließ die Pistole sinken. Und dann übermannten sie Schock und Trauer, und sie heulte, mit zitternden Schultern, während der Regen fiel und fiel.
Vom letzten Krieg
Ein alter Bunker
Jede Wand
Bunt wie ein Falter
Unten die Stahltür
Mit Fabelwesen drauf
»Mehr hast du nicht?« Der Schocksprayer schaltete den Kubus ab.
»Eure Namen, eure Ziele, die Memories von eurem Versteck«, wiederholte Céline; sie nickte ihm zu. »Macht achttausend, plus ein warmes Abendessen.«
»Okay«,