Prothesengötter. Frank Hebben
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Viele Intervalle kann ich mich nicht losreißen, es ist ... es ist ... eine perfekte Gleichung, ein Fraktal ohne optische Fehler, völlig makellos. Eine Böe kühlt mir die fiebrige Stirn; ich schaue nach rechts: Dort steht ein zweiter Container auf dem Plateau – offen; schwarze Wände, genauso wie meiner, und eine Kennziffer auf dem Wellblech:
3.31.255.83, 2.88! Ah Muken Cab, er muss es sein, kein anderer; seine Bienen haben mich zu ihm gebracht. Aber warum? Und wie? Kann er die Frachtlibellen steuern, über ihren Kurs, ihre Ladung bestimmen? War das kein genehmigter Transport von Nordsektor B, hierhin, nach Südsektor C, Planquadrat 811.47? Verwirrt blicke ich über die Schulter zurück: Hinter meinem Wohncontainer fällt der sandige Felsen ebenso stark ab, runter in ein Tal, das mit einer Maschinenstadt bedeckt ist – die Kuppeln des Hauptwerks, wie überall, Fabriken, Rechenanlagen, Schornsteine, doch kein Qualm, kein Ruß, kein Dreck. Ist sie etwa stillgelegt? Wieso ist dann die Versorgung intakt? Die Fragen reißen nicht ab!
Hastig wende ich den Rollstuhl, lasse ihn über den Schotter schleifen, bis seine Räder nach ein paar Metern in einer Kiesgrube hängen bleiben. So sehr ich mich anstrenge, sie stecken fest. Ich muss also aufstehen, eine mühsame Prozedur; meine Muskeln sind schwach, mein Gleichgewicht ist schlecht, dennoch reiße ich mich zusammen, sammle Kraft, um mich an den Griffen hochzustemmen. Mit zitternden Armen kann ich mich aus dem Sitz befreien, wanke zwei Schritte auf die fremde Iristür zu, von der ein übler Geruch zu mir herweht.
Gleich bin ich da! Noch ein Schritt, nur noch ein Schritt weiter; kann das Gewicht des Tumors kaum halten – alles tut mir weh, die Beine, die Wirbelsäule; ich beiße die Zähne zusammen. Los, weiter, noch ein Schritt. Jetzt noch ein Schritt ... Schwitzend und entkräftet erreiche ich den Container, will gerade einsteigen, als mir ein eitriger Gestank entgegenschlägt. Ich unterdrücke den Würgereflex, während ich mich entsetzt umsehe.
Auf einem Stahlgestell liegt eine Frau, den fettigen, von Wulsten deformierten Bauch nur spärlich in ein Tuch gehüllt – eine Gebärerin, die schwanger scheint, obwohl sie im Arm schon einen nackten Säugling hält. Ihre Brüste sind geschwollen, hängen wie Zysten an ihrem Leib. Überall Blut! Mir wird schwindelig; instinktiv will ich zurück, raus auf den Felsen, doch ich kann mich nicht bewegen. Mit offenen Mund stehe ich da, vollkommen reglos, und starre sie an.
Dann spricht sie zu mir: »Komm näher, mein Sohn.«
Es kostet mich Überwindung, zu dieser alten kranken Frau zu gehen, ihre entzündete Haut zu sehen, ihren Körpergeruch zu ertragen. Nur widerwillig hinke ich an einem Becken vorbei, aus dessen Hähnen jene süßliche Masse quillt, die meine Insekten so eifrig herbeischaffen. Eine besonders energiereiche Nahrung? Drei Bienen krabbeln am Beckenrand, zwei golden, eine silbern – seltsam. Gibt es etwa einen zweiten Schwarm? Alles ist so diffus! Mein Speichertumor brennt.
»Wer bist du?«, frage ich, nachdem ich mich neben sie gestellt habe. Ekelhaft, für welchen Zweck das Hauptwerk sie gemacht hat! Als Reproduktionsmaschine!
Vorsichtig nimmt sie meine Hand, als wäre sie aus Glas; ich lasse es zu. »Ich bin deine Mutter, nur so viel ist wichtig. Aber die Frage ist doch, wer du bist.«
»Einheit 6.20.233.04, 2.13, Name: Chémo«, spule ich mechanisch ab.
Sie lächelt. »Ahnst du es nicht, nein, wirklich nicht?«
»Was?« Ein Gedanke, aber –
»Du warst der Ah Muken Cab; und du wirst es wieder sein, sobald dein Parasit das Hauptwerk dazu gebracht hat, uns einen Operationsraum zu senden.«
Ein Druck im Kopf. Meine Zunge klebt am Gaumen. Während ich nach Worten suche, beobachte ich den Säugling, wie er die kleine Faust im Schlaf bewegt.
»Du erinnerst dich nicht, ich weiß. Das Gedächtnis wird bei jeder Transformierung fast vollständig gelöscht. Auch bei mir, und doch ...« Sie hustet. Wie durch Watte höre ich sie weitersprechen: »Es wird schwer für dich sein, zu akzeptieren, dass du einst, vor vielen vielen Zyklen, ein Konstrukteur im Hauptwerk warst, wo die oberste Klasse über die anderen Klassen herrscht. So bestimmt es der Codex, der unser ganzes System reguliert ...«
Die Gebärerin wartet, bis ich sie erneut anschaue. »Der Codex ist unser Gesetz. Und das Gesetz ist heilig; niemand, auch keiner der obersten Klasse, darf jemals auch nur eine Zeile des Programmcodes modifizieren, denn der Codex ist ewig und unabänderlich.«
»Natürlich«, stoße ich hervor. »Das wissen alle Arbeiter, jeder Knecht ...«
»Aber wir haben es getan! Und sie haben uns dafür bestraft. Jeden auf seine Weise.«
Ich verstehe. Das war es also! Deshalb bin ich zur Rechenmaschine geworden, wurde in meinen Container gesperrt. Ein vages Gefühl sagt mir, dass sie die Wahrheit spricht.
»Aber warum … Mutter?«, frage ich mit belegter Stimme. Hat diese Frau mich geboren? Die Vorstellung schüttelt mich!
»Weil das System veraltet ist, fehlerhaft, unperfekt! Wie ein Geschwür wuchert es blind, immer weiter, Sektor für Sektor, Maschinenstadt für Maschinenstadt, unaufhörlich, unabänderlich. Wir wollten den Prozess stoppen und ein neues, besseres System aufbauen ...«
»Wir sind gescheitert.«
»Noch nicht«, antwortet sie, den Mund schmerzverzerrt. »Nach langer Phase konnte sich dein Parasit endlich unbemerkt im Hauptrechner des Werkes einnisten und die Bienenfabrik starten. Kurz darauf machten sich zwei Schwärme auf die Suche nach unseren Pheromonen und fanden mich, dich. Sie gaben dem Parasiten die Koordinaten und Kennnummern durch, Frachtlibellen brachten uns zum Südsektor D und – «
»Südsektor C.«
»Nein, wir sind weiter südlich, direkt am toten Meer.«
»Ist diese Stadt verlassen?«
»Ja«, sagt sie und nickt. »Hier stört uns niemand, wenn wir das neue System errichten. Die automatische Versorgung ist bereits instand gesetzt ...«
Ich will noch etwas erwidern, doch ein Rotorengeheul ist plötzlich zu hören, direkt über uns – eine Frachtlibelle landet!
Draußen. Im Sonnenlicht erstrahlt die Libelle wie Weißgold, so hell, dass ich die Augen beschirmen muss, um den kubischen Behälter zu sehen, der unter ihr, an Ketten gehalten, knapp über dem Felsen pendelt. Staub, Steine wirbeln auf, als die Libelle den Heckrotor schwenkt, dann die Kanzel nach vorne drückt, die Verankerung löst und brüllend durchstartet, worauf der Metallkasten mit ohrenbetäubendem Krach auf dem Boden aufschlägt. Noch ehe das Echo verklingt, ist die Frachtmaschine schon außer Hörweite – nur noch ein glitzernder Punkt über dem Kessel der Stadt.
Und fort.
Mein Rollstuhl wurde von einem Windstoß umgerissen, ich lasse ihn links liegen, während ich müde auf den Kasten zuwanke, dessen Tür sich gerade von selbst öffnet. Dahinter: ein Operationsraum voll klinischer Apparate – Skalpellarme, Sägen, Blutpumpen, gesteuert durch ein Expertenprogramm; ich erkenne die Recheneinheit wieder, ein Glaszylinder gefüllt mit violettem Kühlgel. Hightech.
Erinnerungsfetzen meiner ersten Transformation schießen mir durch den