Maschinenkinder. Frank Hebben

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Krieg, den vielen Abenteuern.

      Rhombus nickte. »Und wie schnell sie die Kuppel spannten, dieses riesige Ding. Aber sie waren auch grob, fraßen unsere Vorräte weg, rissen alles an sich, was ihnen nütze schien. Es kam zu kleineren Aufständen, die wir als Miliz auflösen mussten. Die meisten Bewohner haben aber mit angepackt, auch bei den Brunnen für das geschlossene Wassersystem und —«

      »Was … was ist?« Paul warf einen Blick über die Schulter – und da sah er, wo der Alte hinstarrte und was auf sie zukam: ein zäher, eisblauer Dunst, wabernd, zerfließend wie Tiefseequallen. Sporen! Giftig!

      »Auch das noch.« Rhombus zerrte sich hoch, schwankte. »Die Propeller an, Junge, jetzt lauf schon. Und du deckst die Pflanzen zu, schnell.«

      Polternd hatte Lisa den Korb fallen gelassen und war losgerannt, um die Beete mit einem Tuch zuzudecken. Paul überholte sie. Als er zur Brüstung kam, wo der kleine Motor stand, riss er das Anlasserseil zu sich, einmal und noch mal, damit die Maschine stotternd ansprang. Die Propeller begannen zu rotieren, quietschten, wurden schneller, dann sogen sie den Sporennebel zu sich heran, teilten ihn, bündelten ihn zu festen Luftströmen, die quer über die Plattform zur anderen Seite abzogen.

      Obwohl beide klein genug waren, hielten sie den Kopf gesenkt; auch Rhombus duckte sich unter den Schwaden hinweg, während er zu seinem Werkzeugkasten humpelte und den Deckel aufschlug und drei Gasmasken herausholte, die er ihnen brüllend hinhielt; aber die Propeller waren so laut, dass sie seine Stimme übertönten. Erst als sie hinrannten, um ihm die Masken abzunehmen, am Gummi rissen, sie überstülpten, konnten Lisa und Paul ihn dumpf verstehen:

      »Schaut im Haus nach, ob wir Löcher von den Beben gekriegt haben. Ich komme nach!« Worauf er seine Maske überzog und einen großen Kanister holte, den er zur Brüstung weiterschleppte.

      Er fluchte.

      Gleichzeitig flitzten beide los, der Hund blieb zurück – die Stufen abwärts, eine Treppe, eine zweite, bis sie die Hintertür erreichten, aufschlugen; eintraten. Hinterm Fenster konnte Paul den Nebel sehen, der zur Flak hochzog, angesaugt von den Propellern; ihr Lärm drang nach unten, dazwischen das schwere Pumpen des Motors.

      Auf dem Tisch zuckte das Kerzenlicht.

      »Scheint alles dicht«, schnaufte Lisa und holte so tief Luft, dass die Atempatrone zischte. Durch die Rundgläser sah Paul, wie ihr der Schweiß in die Augen rann. Sie blinzelte. »Wir sollten trotzdem nachsehen.«

      »Und die Kammer?«, fragte Paul, der den Rücken durchbog: Seitenstechen. »Ich weiß, wo heute der Schlüssel ist.« Der Alte nutzte immer dieselben Verstecke …

      Ohne Antwort sprang er zum Ofen, wo ein Berg aus Töpfen lag; von einem kleinen stieß er den Deckel beiseite, fischte den Schlüssel heraus, rannte zur Tür und öffnete sie:

      Ein fensterloser Raum, mit Brettern verkleidet. Keine Bilder an den Wänden, auch kein Regal, alle Bücher waren neben das Feldbett aufgestapelt: Bände über Elektronik und Astrophysik. Noch eine Kommode, ein Sekretär, auf dem ein Einmachglas stand, mit Leuchtkäfern drin, und eine offene Patronenkiste, in der Rhombus seine Kleidung aufbewahrte.

      Zögernd setzte Paul einen Fuß über die Schwelle – dann, mutiger, kletterte er aufs Bett und suchte Ecken und Rückwand ab. Weil er keine Löcher fand, drehte er sich auf den Po und ließ die Füße baumeln; erst verschnaufen; wobei ihm ein hölzerner Standrahmen auffiel, den er noch nie gesehen hatte.

      Er griff danach.

      Die Photographie war älter und an den Rändern verfärbt. Sie zeigte einen jungen Mann, winkend vor einem Fesselballon, der gerade zum Himmel aufstieg. Ringsum Schaulustige: Männer im Anzug, schwarz und mit Hut; die Damen in weißen Kleidern.

      Die Sonne schien.

      War das Rhombus? Im Schatten konnte Paul das Gesicht kaum erkennen, und so stand er auf, wollte nach dem Einmachglas greifen, doch Lisa war schon hereingekommen und stellte sich dazwischen. »Was machst du denn da? Wenn er spitzkriegt, dass du seine Sachen wegnimmst …«

      »Ist er das?«, fragte Paul ungerührt und trat beiseite, um sich an ihr vorbeizudrücken.

      »Geht dich nichts an. Gib her.« Sie packte das Bild – doch er riss es ihr aus den Fingern, die über das Glas quietschten. Kurz rangelten sie miteinander, Paul, im Schwitzkasten, hielt den Rahmen weit von sich gestreckt, ehe Lisa sich ganz auf ihn drauf warf und beide stolperten und umkippten:

      Rücklings prallte er gegen das Bettgestell, ihre Maske traf sein Augenglas, das splitterte, aber nicht brach – und Sterne schossen durch seinen Kopf wie Feuerwerksraketen, danach explodierte der Schmerz, und brüllend schälte Paul das Gummi vom Gesicht ab: »Geh runter von mir!«

      »Das … das wollte ich nicht«, stammelte Lisa, die hastig zur Seite plumpste. »Blutest du? Oh nein, du blutest.« Sie holte ein Schnupftuch aus der Tasche, zerknüllte es, drückte es ihm auf die Schläfe.

      »Aua, nicht so fest«, knurrte Paul und wehrte sich. »Blöde Kuh!«

      »Still jetzt. Leg den Kopf nach vorn.«

      Dabei fiel sein Blick auf den Rahmen, den er beim Sturz verloren hatte: zum Glück, das Glas war noch heil – nur die Fotografie verrutscht; und darunter klebte ein zweites Bild, das unter dem ersten versteckt worden war:

      Auf demselben Flugfeld stand eine junge Frau, die Hand zum Gruß erhoben, die andere auf einen Sommerhut gelegt, damit er nicht davonsegelte. Der Ballon wurde noch mit Sandsäcken beschwert, stattdessen schoss ein Propellerflieger im Tiefflug vorbei und wirbelte den Staub auf.

      Der Himmel, dieser endlos weite Himmel.

      Paul dröhnte der Kopf; und ein Druck im Bauch, als würde er fallen, herabtrudeln in die grelle, wolkenlose Fläche, um dann einen Bogen zu fliegen, die Tragflächen hochzureißen und durchzustarten, zur Sonne hin, näher, immer näher heran …

      Ihm wurde schwarz vor Augen.

      Außer der Kerze brannte kaum Licht; auch der Kamin war kalt. Sie saßen am Tisch, aßen eine Brotsuppe, die Lisa mit Leuchtpilzen gestreckt hatte: Ein geisterhafter Schein glänzte in ihren Augen; und Rhombus’ Gesicht, von unten bestrahlt, wirkte finster und alt, mit tiefen Falten gezeichnet.

      Keiner sagte ein Wort.

      Während sie ihre Teller leer löffelten, schaute Paul aus dem Fenster: kein Nebel mehr, der sich verflüchtigt hatte; sie hatten die Propeller abgestellt. Er betastete seine Schläfe, auf der ein großes Pflaster klebte, sie tat noch immer höllisch weh; dann griff er nach der Kelle, wollte sich einen Nachschlag einschenken, als Rhombus das Schweigen jäh unterbrach:

      »Einen Knall hörten wir nicht von der Bombe, nur ein ohrenbetäubendes Brausen, bis der Stromwind die Kuppel erreichte und seine Blitze über die Scheiben peitschten, manche so dick wie ein Arm. Drinnen, bei uns, kühlte sich die Luft schlagartig ab. Eiskalt, dass einem der Atem auf den Lippen gefror. In Panik liefen die Leute los, suchten Schutz in den Kellern und Bunkeranlagen, und da ging ein Ruck durch die Stadt, alles verschwamm vor den Augen, die tränten, als hätte man Gas reingekriegt. Es roch nach verschmorten Kabeln und Äther. Ich packte meine Frau am Ärmel, zerrte sie die Treppen der Stadtwache runter, wo wir ein Notlager eingerichtet hatten, mit Rationen, Wasser und einem Telegraphen für den Lagebericht, und plötzlich, ich schaute zurück, weil ich den Stoff ihres Kleids nicht mehr spürte – und da war sie einfach verschwunden. Weg! Wie vom Erdboden verschluckt. Ich machte kehrt, die Stufen hoch, weil

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