Chris Owen - Die Wiedergeburt. Matthias Kluger
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Читать онлайн книгу Chris Owen - Die Wiedergeburt - Matthias Kluger страница 16
Sein Schlaf sollte nicht lange währen, denn die Sitznachbarin hantierte mit ihren knöchrigen Fingern eine halbe Stunde später neben ihm an der Armlehne, um den Stecker ihres Kopfhörers unterzubringen. Freundlich bot er Hilfe an, nahm selbst seinen Ohrhörer und sah sich gemeinsam mit vielen anderen Fluggästen den Spielfilm an.
Gegen Mittag verspürte er den Drang, die Toilette aufzusuchen; auch fröstelte er wegen der niedrigen Temperaturen der Klimaanlage. So drängelte er an den kurzen Beinen der Alten vorbei, nahm seine Jacke aus dem über den Sitzen angebrachten Staufach und lief geradewegs den Gang Richtung Cockpit. Die Kühle des Fliegers kratzte in seinem Hals, obendrein begann die Nase zu triefen. Hätte ich mir doch die Jacke schon vorher angezogen, schimpfte Tafari mit sich. Er war andere Temperaturen gewöhnt – nicht die der klimatisierten Räume.
Als die Toilette frei wurde, quetschte er sich durch die enge Tür. Beim Waschen der Hände hatte er anfänglich Schwierigkeiten. Dem Wasserhahn fehlte der Regler zum Drehen! Doch wie von Zauberhand lief das Wasser, sobald seine Hände in die Nähe des Hahns kamen – zog er sie zurück, hörte auch der Wasserhahn mit der Arbeit auf. Erstaunt über diese Technik, putzte er sich anschließend mit einem Papiertuch aus der Spenderbox die Nase. Dann schlenderte er zurück zu seinem Platz. Dabei drückte er sich an einer netten Stewardess vorbei, die ihn freundlichst anlächelte.
Kaum hatte er seine Sitzposition, über die Alte hinweg, eingenommen, musste er niesen. »So ein Mist«, fluchte er leise und hoffte, wegen dieser Temperaturen nicht krank zu werden. »Das würde mir noch fehlen!« Er wühlte in den Taschen seiner Jacke und der Hose, doch es fand sich kein Taschentuch.
Die niedliche Dame neben ihm bemerkte das Malheur und wedelte freundlich mit einer Packung Papiertaschentücher. »Ich kenne das, junger Mann. Regelmäßig habe ich Halsschmerzen, wenn ich aus diesen arktischen Temperaturen der Flieger aussteige. Ein Grund mehr, der für meine Flugangst spricht. Finden Sie nicht auch?«
Tafari nickte zustimmend und lächelte dankbar. Die Jacke spendete zwar wohlige Wärme, seine Nasenspitze jedoch blieb eiskalt. Gleich darauf hörte er ein »Ping«, als rote Signallampen über den Sitzreihen Anweisungen erteilten, die Sicherheitsgurte anzulegen.
»Ladys und Gentlemen, wir befinden uns im Anflug auf Brüssel. Aufgrund der guten Wetterlage und des Rückenwindes werden wir circa zehn Minuten vor der geplanten Ankunftszeit landen. Die Temperaturen in Brüssel betragen …«
Kapitel 16: Er soll Chris heißen
Washington, D.C., 7. Juli 2016
Dr. Sisley starrte auf das zwischen den gespreizten Schenkeln Sandras liegende Neugeborene. Fassungslos sah sie kurz in die strahlenden Augen der tapferen Mutter, auf deren dunkelhäutiger Stirn Schweißperlen glänzten. Sie griff zur Atemmaske und setzte diese sanft über Nase wie auch Mund des Säuglings. Ein tiefer Atemzug presste sich in dessen Lunge. Dann durchtrennte Dr. Sisley die Nabelschnur und versorgte den Wurmfortsatz am Bauch des Babys mit einer Klemme.
»Ist alles in Ordnung?«, hauchte Sandra sichtlich erschöpft.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Sandra. Alles bestens.«
Wie, ich soll mir keine Sorgen machen?, dachte Sandra, während ein ungutes Gefühl in ihr aufstieg. »Was ist mit meinem Baby?«, fragte sie unsicher.
»Es ist alles okay, Sandra. Wir führen nur noch den APGAR-Test an Ihrem Kind durch. Ganz so, wie wir es besprochen haben.«
»Was ist mit ihm?«, wurde Sandra lauter.
»Beruhigen Sie sich, Sandra. Sie werden den Kleinen gleich in den Armen halten. Nur noch ein wenig Geduld.« Dr. Sisley griff zu einem großen weißen Tuch aus Leinen und wickelte den Säugling darin ein. Dann reichte sie das Paket der Hebamme, die in den rückwärtigen Teil des Entbindungszimmers verschwand.
Sandra streckte ihren Kopf nach hinten, doch die Hebamme glitt aus ihrem Sichtfeld. »Was ist mit meinem Kind?«, schrie die junge Mutter jetzt hysterisch. »Was machen Sie mit ihm?«
Ihre Schwägerin Janette, die ebenfalls zur Geburt im Zimmer war, fasste beruhigend Sandras Hand. »Mach dir keine Sorgen, Liebes, es wird alles gut.«
Sandra erkannte an Janettes Gesichtsausdruck, dass es sich hier nur um eine Besänftigung handeln konnte. »Wo ist mein Baby?«, kreischte sie, während Tränen in ihre Augen schossen. Sie drehte sich von einer Seite zur anderen in der Hoffnung, irgendetwas erhaschen zu können.
»Bleiben Sie ruhig, Sandra. Wir machen den APGAR-Test und schon haben Sie Ihren Sohn bei sich«, beschwichtigte Dr. Sisley erneut.
»Was für einen Scheißtest?«, schrie Sandra.
»Das haben wir doch besprochen. Das ist die Erstuntersuchung der Atmung, der Herzfrequenz, der Muskelbewegung sowie der Reflexe. Erinnern Sie sich?«
Der natürliche Instinkt der Mutter sagte Sandra, dass überhaupt nichts in Ordnung war. Wild entschlossen stützte sie sich im Entbindungsbett auf ihre Unterarme.
»Halten Sie sie«, wies Dr. Sisley, die eine Spritze in der Hand hielt, Janette an. »Ich gebe Ihnen ein Beruhigungsmittel, Sandra. Das wird Ihnen guttun.«
Kreischend wand sich Sandra unter den Händen ihrer Schwägerin, als Dr. Sisley die Spritze in die Vene setzte. »Ich will nicht … Ich will meinen Sohn!«, brüllte Sandra, als die Wirkung des Medikaments sekundenschnell einsetzte. Die Geräusche um Sandra herum wurden gedämpft, die Personen schienen wie in Zeitlupe zu agieren. »Was, was ist mit meinem Baby?«, hauchte sie. Ihre Lider wurden tonnenschwer und schlossen sich.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie erwachte. Wie in Watte gebettet, erkannte Sandra, dass sie noch immer auf dem Bett des Entbindungszimmers lag. Ihre Schwägerin saß neben ihr und hielt ihre Hand.
»Janette, was ist …«
»Ganz ruhig, du hast nur ein wenig geschlafen.«
Eine kurze Pause folgte, die Sandra wie eine Ewigkeit vorkam.
»Dr. Sisley, sie ist jetzt wach«, meinte Janette.
Von hinten trat die Ärztin ans Bett. »Sandra, schön, dass Sie sich beruhigt haben. Ihr Sohn ist kerngesund. Allerdings werden Sie sich ein wenig an seine Hautfarbe gewöhnen müssen.« Dr. Sisley lächelte zaghaft.
»Sie meinen, er ist nicht …«
»Nein, ist er nicht. Sehen Sie.«
Neben der Frauenärztin erschien die Hebamme mit dem in weißes Tuch gehüllten Neugeborenen. Behutsam hob Sandra den Blick und sah auf das Bündel, welches in der rechten Armbeuge der Schwester lag. Sie betrachtete das Gesicht ihres scheinbar schlafenden Sohnes, der wie in eine Mönchskutte eingehüllt war. Der Teint des Säuglings unterschied sich nur geringfügig vom bleichen Leinentuch. Helle, zartrosa Bäckchen, eine blasse Stirn, in die einige Haarsträhnen hellblonden, fast schlohweißen Haares fielen. Auch die vollen Lippen des milden Mundes gingen in die wolkenfarbige Haut über. Plötzlich zitterten die Lider, dann hoben sie sich vorsichtig, bis die Augen vollständig geöffnet waren. Hellblau und mit Rot durchzogen fixierten sie geradewegs Sandras wässrigen Blick. Während sich die Iris seiner Augen zusammenzog, strahlten die sonst schwarz erscheinenden Pupillen in leuchtendem Rot. Die Befürchtung, dass