Chris Owen - Die Wiedergeburt. Matthias Kluger
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»Dann gehen wir als Erstes nach drinnen und legen ihn hin. Ich habe schon das Bettchen an den Esstisch gefahren, dann kann er uns beim Kaffeetrinken zusehen.« Olivia schien überglücklich. Jetzt war sie bereits zum dritten Mal Oma geworden, auch wenn sie sich längst nicht so alt fühlte.
Die Tatsache, dass Chris als Albino äußerlich vom Standard abwich, löste bei niemandem der Familie Unbehagen aus. Ganz im Gegenteil: Er war der Sohn seines verstorbenen Vaters und somit von Haus aus etwas ganz Besonderes.
Kapitel 19: Das Virus
Léo, Burkina Faso, 2016
Dr. Jamal Guambo war seit fast dreißig Jahren Arzt und hatte als junger Mann in Frankreich an der Universität Joseph Fourier Grenoble Medizin studiert. 2011 wechselte er als leitender Chefarzt in die Klinik nach Léo. Seine Domäne waren Viruserkrankungen und so wurde er 2014 zu einem Spezialteam hinzugezogen im Versuch, die damals drohende Ebola-Pandemie in Afrika einzudämmen. Innerhalb nur eines Jahres erkrankten mehr als 28.000 Menschen, über 11.000 starben. Der sogenannte Indexfall, also der Beginn der Epidemie, wurde im Südosten Guineas 2013 bekannt gegeben. In den darauffolgenden Monaten breitete sich das Virus auf die benachbarten Länder Sierra Leone, Liberia, Nigeria, Mali sowie den Senegal aus, bis er letztendlich Ende September 2014 in den USA nachgewiesen wurde. Spanien wie auch England folgten. Nur durch den Einsatz von Spezialteams unter Leitung der Weltgesundheitsorganisation WHO konnte eine Pandemie Ende 2014 verhindert werden. Oftmals wäre die in der Fachsprache Dissemination genannte Verbreitung nicht in so rasantem Tempo vorangeschritten, hätten sich Angehörige der Ebola-Erkrankten korrekt verhalten. Auch heute noch war das Verständnis, Leichen seuchengerecht zu entsorgen, nicht in die Köpfe der Bevölkerung gedrungen.
Es war bereits spät am Abend – Dr. Guambo hatte seit zwanzig Stunden keinen Schlaf mehr gefunden. Nachdem er die Hände gewaschen hatte, klatschte er sich kühles Wasser ins Gesicht und betrachtete die müde glänzenden Augen im Spiegel. Er würde nochmals nach der neuen Patientin sehen, um dann für ein paar Stunden zu schlafen.
Oluchi lag reglos im Krankenbett. Die Flüssigkeit des Infusionsbeutels tropfte in gleichmäßigem Takt durch die Kanüle. Dr. Guambo fühlte mit der Hand ihre Temperatur. Unnötig, ein Thermometer zu verwenden. Auch ohne erkannte er, dass sie noch immer heiß war. Im Krankenblatt las er 39,8 Grad Celsius, den Wert der letzten Messung. Zudem war der Blutdruck erhöht, was ihrer Körpertemperatur geschuldet sein konnte. Erst einmal schien sie versorgt. Näheres würde zuverlässig ihr Blutbild ergeben, dem er sich noch heute Nacht widmen wollte. So verließ er die Krankenstation, um sich wenig später auf dem Sofa des Arbeitszimmers, welches schon viele Nächte als Nachtlager gedient hatte, auszuruhen.
Verstört drehte er sich zur Seite, als die Krankenschwester aufgeregt an seiner Schulter rüttelte. »Dr. Guambo, wachen Sie auf. Dr. Guambo!«
»Was ist? Wie spät ist es?«
»Kurz nach 23:00 Uhr. Kommen Sie, schnell!«
Die Schwester eilte voraus, während Dr. Guambo an ihren Fersen hing. Als er Oluchi sah, lief es ihm eiskalt über den Rücken. »Wir müssen sofort isolieren. Sperren Sie den gesamten Trakt ab. Keiner darf mehr hinein oder hinaus.«
Er löste die Bremsen des Bettes und schob Oluchi mit dem Infusionsständer aus dem Krankenzimmer durch den schmalen Gang zur Isolierstation. Diese bestand aus einer zweigeteilten Schleuse, deren Ende in vier voneinander getrennte, fensterlose Zimmer mündete. Das filtergesteuerte Belüftungssystem versorgte die Räume mit dem unverzichtbaren Sauerstoff und ließ keine ungefilterte Luft nach außen dringen.
Sobald das Bett von Oluchi fixiert war, trat er aus dem Isolierraum und traf weitere Sicherheitsvorkehrungen. Zuallererst erhielt die Schwester notwendige Anweisungen, die Krankenstation zu isolieren sowie die Desinfektion aller Räume einzuleiten. Ferner musste er Meldung an das Zentralbüro für Viruserkrankungen machen. Er besaß genügend Erfahrung, um nervös zu erahnen, was ihn nun erwartete. Am Blick der Schwester erkannte er deren Angst und so versuchte Dr. Guambo ein sicheres »Ich habe alles im Griff«-Auftreten zu vermitteln.
Im Anschluss betrat er die Schleuse der Isolierstation, zog sich einen der weißen Schutzanzüge an, stülpte die Atemschutzmaske über und schlüpfte in spezielle undurchlässige Handschuhe. Schweiß rann ihm an den Augenbrauen entlang, als er abermals vor Oluchi stand. Aus Augen, Nase und Mund sickerte Blut und hatte bereits das dünne Kopfkissen rot gefärbt. Jetzt zitterte ihr ganzer Körper. Er musste verhindern, dass sie wegen des Flüssigkeitsverlustes unter Schock geriet und Blut durch die Atemwege in die Lunge gelangte. Vorsichtig hob er die befleckte Decke in die Höhe und seine Vorahnung wurde zur Gewissheit – Blut im gesamten Beckenbereich, ausgetreten durch ihre Genitalien. Ein weiterer Hinweis, der den Verdacht auf Ebola verstärkte. Er drückte den Knopf des Wandmikrofons und wies die Schwester an, Konserven der Blutgruppe A positiv in der Schleuse zu deponieren. Die knappe Rückmeldung vernahm er mittels des Lautsprechers, der Teil der Sprechanlage war.
Die Kranke glühte. Kurz überlegte er, das Medikament Favipiravir zu verabreichen, an dessen Tests er letztes Jahr beteiligt war. Hierbei handelte es sich um ein japanisches Grippemittel, welches in einigen Fällen den Verlauf von Ebola-Symptomen zum Stillstand brachte. Ein schwaches Signal, jedoch kein klinisch untermauerter Befund. Weiter stand ihm VSV-EBOV zur Verfügung. Ein experimenteller, rekombinanter Impfstoff. Ein leiser Fluch entfuhr ihm. Hätte er keine Ruhepause eingelegt, sondern wäre direkt ins Labor gegangen, hätte er lebenswichtige Stunden gewonnen. Hätte, wäre, wenn! Jetzt war er dazu verdammt, ihr den Blutverlust mit Fremdblut auszugleichen – Weiteres ergäbe sich im Labor. Er tastete Oluchis Bauch ab. Dieser zeigte Verhärtungen, was auf innere Blutungen im Bereich der Leber und Milz hindeutete. Sein schlimmster Albtraum wurde soeben Realität.
Nachdem die Blutkonserve sowie weitere fiebersenkende Infusionen an Oluchi angebracht waren, verstaute er in der Schleuse den Schutzanzug einschließlich der Kleidung in dem dafür vorgesehenen luftdichten Behältnis. Anschließend betrat er nackt eine Dusche mit speziellen Brausedüsen, welche seinen Körper desinfizierten. Durch eine zweite Sicherheitstür trat er in den Vorraum. Aus einem Spind entnahm er Unterwäsche, eine grüne Stoffhose, ein grünes Shirt sowie Synthetik-Clogs. Ohne Umwege suchte er das Labor auf. Dort standen fein säuberlich aufgereiht die Reagenzgläschen, gefüllt mit Oluchis Blutproben.
Nach knapp zwei Stunden gewann er Klarheit durch die Polymerase-Kettenreaktion, kurz PCR genannt. Die müden Augen Dr. Guambos starrten auf das Ergebnis des Monitors. Das, was sich vor ihm auftat, jagte ihm einen derartigen Schrecken ein, als würde eine 38er mit gespanntem Abzug direkt an seine Stirn gehalten. Die fadenförmige Gestalt des Virus wand sich erhaben auf dem Bildschirm und schien verknotet zu sein. Der Durchmesser betrug konstant 80 Nanometer, üblich für diese Virusgattung. Nur die Länge des Fadens, normalerweise zwischen ein und vier Mikrometern, passte mit über sechs Mikrometern nicht zu den bekannten fünf Gattungen des Ebolavirus. Sie glich weder dem Taï-Forest-Virus, dem Sudan-Virus, Zaire-Ebolavirus, dem Reston-Virus noch dem Bundibugyo-Virus. Was die Blutprobe zutage förderte, war eindeutig die Entdeckung eines neuen viralen »Wesens«. Er fühlte sich wie ein Tiefseetaucher, der plötzlich in Tausenden von Metern eine neue, unbekannte Spezies erblickt. Und ebenso lief er gerade Gefahr, in einen tiefenrauschähnlichen Zustand zu verfallen. Er speicherte die digital angezeigten Bildschirminhalte und verfasste eine Mail, wie es die Seuchenvorschriften vorsahen. Diese Mail, so war er sicher, würde Wellen schlagen und spätestens in einer Stunde im Büro der WHO, der Weltgesundheitsorganisation mit Sitz in Genf, einer Bombe gleich einschlagen.
Dr. Guambo rannte nach draußen. Er fand die Nachtschwester, die unter Hilfe einer Putzkraft das Krankenzimmer