Chris Owen - Die Wiedergeburt. Matthias Kluger
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»Akono, wach auf.«
Das Gesicht Akonos zeigte keinerlei Regung. Orma zupfte Bahati am T-Shirt und dieser wusste, was sein Freund im selben Augenblick dachte. Noch schneller als zuvor rannten sie den Weg zurück zur Schule.
Frau Contee saß in ein Buch vertieft im Schatten eines Baobab, des afrikanischen Affenbrotbaumes. Sie hob den Kopf, als sie die Buben laut rufend auf sich zulaufen sah. Das Geschrei weckte die Neugier der anderen Schulkinder und sie umringten die Freunde, während sich diese schnaufend vor der Lehrerin gegenseitig ins Wort fielen.
»Frau Contee, Akono – kommen Sie – liegt tot in der Hütte und – kommen Sie schon – überall ist Blut. Kommen Sie!«
Verwirrt und aufgewühlt sprang Frau Contee auf und folgte eiligen Schrittes dem vorauslaufenden Orma, die restlichen Schüler wie eine Traube hintendrein. Nach wenigen Minuten erreichten sie Akonos Wohnstätte. »Ihr bleibt draußen«, befahl die Lehrerin den Kindern. Dann betrat sie die Lehmhütte.
Noch immer lag Akono regungslos auf dem Rücken. Sie sah das Blut, erkannte aber auch, dass sich sein Brustkorb hektisch hob und senkte. Vorsichtig fühlte sie mit ihrem Handrücken seine Wange. Er glühte und Schweißperlen sammelten sich auf der Stirn und Oberlippe. Nervös trat sie vor die Hütte.
»Für heute fällt der Unterricht aus. Akono hat hohes Fieber, aber er atmet. Orma, lauf zum Ältesten und bitte ihn, sofort herzukommen. Ich bleibe hier.«
Kapitel 23: Die Mail trifft ein
Genf, 2016, Weltgesundheitsorganisation, WHO, 03:17 Uhr Ortszeit
Victor Schranz saß an seinem Schreibtisch, während er, die Füße hochgelegt, in einem Männermagazin blätterte. Um die leidigen Nachtschichten durchzustehen, schwor er auf das »Wachhalteelixier«, bestehend aus Kaffee und Gummibärchen. Seine Aufmerksamkeit galt ganz und gar einer schönen Brünetten, die sich lediglich mit Stringtanga bekleidet auf einer schräg über dem weißen Sand gewachsenen Palme eines karibischen Strands räkelte. Wie gerne würde er in diesem Augenblick neben der Palme sitzen und ihr das Händchen halten! Er schmunzelte und schlürfte am heißen Kaffeebecher. In dem Moment, da er in erwartungsvoller Spannung die Seite umblätterte, um sich der nächsten lasziven Pose des Mädchens verträumt hinzugeben, erfasste er aus dem Augenwinkel heraus eine Mitteilung am Monitor des PCs.
»Eine neue Nachricht befindet sich in Ihrem Postfach«, war der lapidare Hinweis am Bildschirm.
Nicht gerade jetzt, dachte Schranz, doch der Job gebot, alle eingehenden Meldungen umgehend zu prüfen. Er nahm die Füße vom Tisch, stopfte eine Handvoll Gummibärchen in den Mund und bewegte den Cursor der Maus zum Öffnen der Mail.
Absender: eine Klinik in Léo, Burkina Faso. Verfasser: Dr. Jamal Guambo – wer auch immer das sein mochte. Rasch überflog er schmatzend den elektronischen Text, um dann den gesamten Inhalt konzentriert Zeile für Zeile neuerlich zu erfassen. Nachdem ihm die Kernaussage der Mitteilung bewusst wurde, schluckte er den Rest der Süßigkeit auf einmal und griff postwendend zum Hörer des Telefons.
Nach dreimaligem Läuten meldete sich eine verschlafene Stimme: »Ja.«
»Dr. Kleinschmidt, hier Schranz. Sie müssen unverzüglich in die Zentrale kommen.« Victor schilderte in wenigen Sätzen das Wesentliche der soeben eingetroffenen Mail und noch während er sprach, vernahm er ein Klicken in der Leitung.
Vierzig Minuten später stand Dr. Kleinschmidt, mit dem Mailausdruck in der Hand, in Schranz’ Büro. Dann begutachtete Victors Chef am Monitor die Bilddateien, die als weitere Anlagen der Mail aus Burkina Faso angefügt waren.
»Geben Sie W69 durch«, wies Dr. Kleinschmidt Schranz an. »In einer Stunde – Konferenzraum Schweiz.« Der Vorgesetzte stand bereits im Türrahmen, als er sich nochmals an Schranz wendete: »Leiten Sie die Mail umgehend an meinen Account.«
Bei »W69« handelte es sich um eine der Vorschriften oberster Priorität. Ein exakter Ablaufplan, wie in Krisensituationen vorzugehen sei und welche Personen informiert werden mussten. Victor Schranz öffnete ein Programm auf seinem Rechner und verfasste folgende Notiz: »W69 – Stopp – Raum Schweiz – Stopp – 05:30 Uhr – Stopp.« Nachdem er die Sende-Taste gedrückt hatte, ertönte ein schriller Signalton auf insgesamt zwölf mobilen Piepsern innerhalb des Stadtgebietes von Genf.
Kapitel 24: Der kranke Hotelgast
Hampton Inn, Soho, Manhattan
Milton, der blonde Chauffeur des Vorabends, erreichte pünktlich, kurz vor 11:00 Uhr, das Hampton Inn und stellte den Wagen auf einen Parkplatz mit dem Schild »Kurzparkzone«. Im Foyer des Hotels hielt er vergeblich Ausschau nach seinem Gast Tafari Ballo. Mr. Ballo war nirgends auszumachen und so ließ er sich entspannt auf einem der Sofas nieder, beobachtete das rege Treiben der Hotelgäste und schielte auf eine hochgewachsene Blondine, die mit weißem Pudel an der Leine nervös den Abtransport ihrer Koffer überwachte. Anschließend blätterte Milton desinteressiert in einem Modejournal, welches neben ihm auf einem gläsernen Tischchen lag.
Fünfzehn Minuten nach 11:00 Uhr legte er das Heft beiseite und ging zur Rezeption. »Guten Morgen, würden Sie bitte kurz im Zimmer von Mr. Ballo anrufen und mitteilen, dass Milton Miller in der Halle auf ihn wartet?«
Nachdem die farbige Rezeptionistin mit weiß lackierten Fingernägeln die Zimmernummer auf dem Telefon getippt hatte, erwartete sie geduldig lächelnd die Stimme des Hotelgastes. Nach mehrmaligem Klingeln unterbrach sie die Verbindung und versuchte es erneut. »Da geht leider niemand ran. Vielleicht ist er noch beim Frühstück. Sie können gerne nachsehen.« Mit ihrem schlanken Zeigefinger deutete sie Milton den Weg zum Frühstücksraum.
Eine Stunde vor dem Mittagsläuten hielten sich kaum Frühstücksgäste dort auf und Milton erkannte rasch, dass Mr. Ballo nicht im Saal war. Daher probierte er von Neuem sein Glück bei der netten Empfangsdame: »Entschuldigen Sie, Miss Lion«, er las ihren Namen am Schild des Revers ab, »aber Mr. Ballo ist auch nicht im Frühstücksraum. Es ist nur so, wir haben einen Termin für einen Vortrag um 13:00 Uhr. Wäre es möglich, im Zimmer nachzusehen, ob er verschlafen hat?«
Professionell lächelnd nickte Miss Lion: »Augenblick.« Sie lief in das hintere Büro und kam wenig später mit einem nach Dresscode gekleideten Zimmermädchen zu Milton. »Miss Santo wird mit Ihnen nach oben gehen.«
Dankend folgte Milton der etwas untersetzten Person in ihrem gestreiften Kostüm zum Fahrstuhl. Das Display des Aufzugs zeigte in leuchtend roter Digitalschrift eine 12, als die Fahrstuhltüren öffneten. Sie liefen einen engen, fensterlosen Gang auf einem weinroten Teppichboden entlang, bis sie Zimmer 1237 erreichten. Zaghaft klopfte Miss Santo an die dunkle Tür. Als sich nichts regte, wiederholte sie ihr Klopfen, diesmal etwas deutlicher.
»Es hängt auch kein ‚Bitte nicht stören‘-Schild am Türknopf, also sehe ich mal nach«, meinte Miss Santo, während sie eine Plastikkarte aus ihrer im Rock eingenähten Seitentasche hervorkramte. Geschickt zog sie die Karte durch den vorgesehenen Schlitz oberhalb des Türknaufs und eine kleine, nun grün schimmernde Leuchtdiode signalisierte die Freischaltung. Vorsichtig schob sie die Tür einen Spaltbreit nach innen. »Mr. Ballo, ist jemand da?«
Ihr Kopf spähte seitlich des Türrahmens in den kleinen Vorraum. Keine Regung im Zimmer.