Chris Owen - Die Wiedergeburt. Matthias Kluger
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»Im Wartezimmer. Ich denke, er schläft«, antwortete die Krankenpflegerin.
Ohne Zeit zu verlieren, lief Dr. Guambo den Flur entlang zum Warteraum. Thabo lag auf dem Boden, zitternd, das Bewusstsein verloren. Inmitten einer roten Lache aus Blut, welches aus Augen, Nase und Mund rann.
Das Siegel des Fahlen Reiters war gebrochen.
Kapitel 20: Ziel New York
New York, 2016
Tafari hatte schon der Flughafen in Brüssel beeindruckt. Doch jetzt fand er keine Worte, die seine Eindrücke und Gefühle beim Anblick des John F. Kennedy International Airports auch nur annähernd wiedergeben würden. Die Dimension des Flughafenareals, die vielen Menschen sowie der Geräuschpegel, den diese verursachten, überwältigten ihn. Nachdem er seinen Koffer auf dem Förderband gefunden hatte, suchte er den Weg zu jenem Ausgang, der ihm als Treffpunkt vorgegeben war. Kurz hatte er sich verlaufen, doch eine nette Stewardess wies ihm die korrekte Richtung.
Vor den großen Glastüren, welche sich selbstständig öffneten, drängelten reihenweise gelbe Taxis, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, laut hupend die beste Parkmöglichkeit zu ergattern, um gleichzeitig hektischen Fahrgästen Platz zu bieten. Obwohl es bereits nach Mitternacht war, stand die schwüle Luft still über dem Areal wie unter einer riesigen Käseglocke. Es waren bei Weitem nicht die gewohnten Temperaturen der Heimat, dennoch schwitzte Tafari und er fühlte die aufkeimende Grippe.
Da sah er es. Das Schild mit seinem Namen darauf. Ein Blondschopf um die zwanzig hielt es in die Höhe, während er suchend durch die von Straßenlaternen und Scheinwerfern erhellte Nacht in die Menge der Passanten spähte. Ihre Blicke kreuzten sich und am Lachen Tafaris erkannte der Junge in Collegejacke, dass er gefunden hatte, wonach er suchte.
»Tafari Ballo?«
»Ja.«
»Ich bin Milton. Wenn Sie möchten, können wir gleich ins Hotel fahren. Mein Wagen steht dort drüben.« Milton nickte mit dem Kopf in Richtung eines großen Parkplatzes.
Den Koffer hinterherziehend, folgte Tafari dem Blonden, der vermutlich sein Taschengeld durch die Abholung aufbesserte. Sie luden das Gepäckstück in den Kofferraum des VW Golfs und Tafari stieg neben Milton ein.
»Wie war der Flug, Mr. Ballo?«
»Lang und ich habe mir einen Schnupfen geholt. Die Klimaanlage im Flugzeug war fürchterlich.«
»Ja, das kenne ich. Morgen geht es Ihnen bestimmt besser. Ein Bad im Hotel und ein paar Stunden Schlaf wirken Wunder.«
Tafari hörte kaum die Worte des Fahrers – er starrte fasziniert aus dem Fenster, bis sie die N Conduit Avenue entlangfuhren. Das unfassbare Lichtermeer in der Ferne formte die Skyline von New York. Milton bemerkte die Faszination, die den Besucher erfasst hatte, und störte diesen nicht weiter. Ihm war es ganz recht, um diese Zeit nicht den Alleinunterhalter spielen zu müssen.
Über die Atlantic Avenue erreichten sie dreißig Minuten später die Sands Street, die direkt auf die Brooklyn Bridge führte. Jetzt war der Zeitpunkt, da Tafari nicht mehr still sitzen konnte. »Sehen Sie nur, diese Brücke, die Häuser, die vielen Lichter!«
»Toll, was?«, lächelte Milton im Versuch, sich in den farbigen Fahrgast zu versetzen. »So was gibt es bei Ihnen nicht, habe ich recht?«, fragte Milton. Tafari schüttelte verzaubert den Kopf. »Na, warten Sie erst mal ab, wenn Sie morgen am Time Square stehen. Es wird Sie umhauen. Noch ein paar Minuten, dann sind wir am Hotel.«
Ein Niesen unterbrach das Staunen Tafaris und er kramte nach seinen Taschentüchern.
Kurz darauf kamen sie am Hampton Inn, in Soho Manhattan, an. Direkt vor dem Eingang parkte Milton den Wagen. »Ich bringe Sie noch rein«, bot er sich an und trug den Koffer, gefolgt von Tafari, in die Lobby. Nach dem Check-In verabschiedete sich der Chauffeur: »Gegen 11:00 Uhr würde ich Sie abholen. Ist das in Ordnung?«
»Ganz recht«, meinte Tafari, hob zum Abschied die Hand und verschwand im Aufzug Richtung zwölftes Stockwerk.
Kapitel 21: Die Nacht im Hotel
Mit der Plastikkarte, die ihm der Portier ausgehändigt hatte, gelang es Tafari nach etlichen Versuchen, die Hotelzimmertür zu öffnen. Umständlich zwängte er den Koffer vor sich durch den Eingang. Im Raum befanden sich neben einem Doppelbett ein Tisch, ein Stuhl, ein Fernseher sowie ein Kleiderschrank. Eine schmale Tür, rechts im winzigen Flur, führte ins Badezimmer. Über dem Waschbecken flackerte, sobald man eintrat, automatisch eine Leuchtstoffröhre, bis sie das Bad in weißes, künstliches Licht tauchte. Im Spiegel betrachtete er seine fiebrig glänzenden Augen, die von geplatzten Äderchen durchzogen waren.
Tafari ließ die Jacke auf den Badezimmerboden fallen, streifte die Schuhe ab, ging zurück ins Zimmer und ließ sich aufs Bett sinken. Er kannte das Gefühl des Fiebers, die schwindelnde Empfindung, dass gewiss gleich Knie und Beine nachgeben würden, wie auch den getrübten Blick, der das Umfeld in einem verschwommenen Gelbstich erscheinen lassen würde. Im nächsten Moment und ohne sich auszuziehen, schlief er ein.
Kapitel 22: Der Morgen danach
Vor einer Stunde war die Sonne über dem Dorf in Tamiga aufgegangen, als die Luft bereits unter der sengenden Hitze schwirrte und den Horizont in flirrendes Licht tauchte. Bahati und Orma trafen sich am Dorfplatz, um den Rest des Weges gemeinsam zur Schule zu gehen. Sie hatten ein paar Minuten auf ihren Freund Akono gewartet, wollten jedoch nicht zu spät kommen und schlenderten, nachdem dieser nicht erschienen war, los. Bestimmt, so dachten sie, hing es mit Akonos Mutter zusammen, die am Vortag ins entfernte Krankenhaus nach Burkina Faso gebracht worden war.
Neben dem länglichen Lehmbau, dem Schulhaus Tamigas, spielten einige Kinder. Gerade als die beiden ankamen, rief die Lehrerin auch schon zum Unterrichtsbeginn aus dem Klassenzimmer ins Freie. Lautes Stimmengewirr erfüllte den Raum, bis sich nach und nach die Schüler an ihre kleinen Holztische setzten. Frau Contee, die Lehrerin, stand in ihrer bunten Tunika und gelben Plastiksandalen vor der Schiefertafel und lächelte freundlich in die Klasse.
»Weiß jemand, wo Akono heute Morgen ist?«, fragte sie, als ihr Blick von dessen leerem Sitzplatz zu den Freunden Bahati und Orma wanderte. Die beiden verzogen unwissend die Münder und zuckten mit den Schultern. »Na gut, er wird sicher gleich kommen. Wir fangen dennoch an. Schlagt euer Buch auf Seite 14 auf. Da sind wir gestern stehen geblieben.«
Der Vormittag verging dank des interessant gestalteten Unterrichts, den Frau Contee gerne mit dem einen oder anderen Spaß auflockerte, rasch. Das Lachen der Kinder erfüllte ihr Gemüt stets mit dem befriedigenden Gefühl, genau den richtigen Beruf gewählt zu haben.
Als sie zur Pause rief, winkte sie Bahati und Orma zu sich: »Könntet ihr zu Akono laufen und nachsehen, ob er verschlafen hat? Seine Eltern sind gestern mit Tafari nach Burkina Faso gefahren. Sicher liegt er noch träumend im Bett.«
Bereitwillig liefen sie los, rannten den ganzen Weg zu Akonos Hütte. Von Weitem riefen sie: »Akono, Akono, aufwachen«, und stolperten außer Puste ins Innere der schattigen Behausung.