Chris Owen - Die Wiedergeburt. Matthias Kluger

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Chris Owen - Die Wiedergeburt - Matthias Kluger

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quieken.

      »Lasst uns in Ruhe«, fuhr Chris sie an.

      »Ach, Spooky kann reden«, gab Scott von sich. »Du willst wohl eine, was?« Wie immer schlug Scott seine Faust in die Handfläche, um zu demonstrieren, was für ein toller Hecht er war.

      Keiner der drei gab etwas zur Antwort. Chris mischte weiter seelenruhig die Karten, spürte jedoch, dass Scott nicht von ihnen lassen würde.

      »Spooky ist ein Angsthase, Spooky ist ein Angsthase«, begann Scott zu spötteln. Dabei stieß er mit seinem Turnschuh mehrfach an Chris’ Oberschenkel.

      »Hör bitte damit auf«, ermahnte Chris ihn und sah Scott direkt in die Augen. Doch Scott spornte die Gelassenheit des Klassenkameraden geradezu an. Er holte aus, um Chris einen heftigeren Tritt zu verpassen. Blitzschnell fuhr Chris’ Hand zur Seite und er bekam Scotts Fuß zu fassen. Ebenso flink war Chris auf den Beinen. »Scott, ich will mich nicht mit dir streiten. Lass uns einfach in Ruhe und verschwinde.« Meira und Alica saßen verängstigt auf dem Rasen.

      »Ich will mich nicht streiten«, äffte Scott die Worte von Chris nach. »Hulk« war in seinem Element. Als auch noch andere Kinder, die das Gerangel beobachteten, hinzutraten, hatte er das Publikum auf seiner Seite. Mit der Rechten stupste er Chris an der Schulter. »Na, was willst du jetzt machen?«, fragte Scott hämisch.

      Chris blickte dem Klassenkameraden tief in die Augen. Wieder holte Scott aus, um ihn zu stoßen. Doch dieses Mal hielt Chris dagegen, fasste nach der Hand des Widersachers und zog diesen zu sich heran. »Ich werde mich nicht prügeln, hörst du!« Dann waren Chris’ Lippen direkt am linken Ohr Scotts. Keiner der Umstehenden hörte, was er flüsterte. Allerdings erstaunte es die Schaulustigen, dass »Hulk« wie versteinert wirkte und jegliche Farbe aus seinem Gesicht wich. Nur wenige Augenblicke später ließ Chris von Scott ab, setzte sich neben seine Schwester und begann von Neuem die Karten zu mischen. Tom starrte zu Scott. Sein Freund stand da wie zu einer Eisskulptur gefroren, bevor er Tom wortlos am Ärmel zupfte, um dann eiligst das Weite zu suchen.

      »Was hast du ihm zugeflüstert?«, fragte Alica.

      »Nichts weiter«, entgegnete Chris. »Lass uns weiterspielen.«

      Fragend blickten sich Meira und Alica an.

      Seit diesem Tag, diesem Zusammentreffen, wagte es Scott nicht mehr, die Hand gegen Chris oder dessen Freunde zu erheben.

      Scott spürte den warmen Atem von Chris an seinem Ohr, als er die wispernde Botschaft vernahm, die ihn bis ins Mark erschreckte. Es waren zunächst nicht die Worte von Chris, nein, es waren die seines Vaters.

      »Scott, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst deinen Baseballschläger nicht im Garten liegen lassen? Komm her, du Mistkerl, ich werd dich lehren, pfleglich mit den Sachen, die ich mit meinem sauer verdienten Geld gekauft habe, umzugehen!« Chris sprach weiter: »Lass dich nicht von deinem Vater schlagen. Er darf auch nicht die Hand gegen deine Mutter erheben! Hörst du? Sprich mit Miss Rudolph! Bitte sie um Hilfe!«

       Kapitel 36: Privatstunden

      »Wenn du liest, Chris, beschreibe mir, was du dir dabei denkst und wie sich der Text in deinem Geist bildet.«

      »Was genau wollen Sie von mir wissen, Miss Rudolph?« Chris schien die Frage zu verunsichern.

      »Schau mal, Chris. Wenn ich lese, dann wandern meine Augen von Wort zu Wort. Die Worte bilden Sätze und diese wiederum einen zusammenhängenden Text.«

      »Genauso ist es doch auch bei mir, oder?«

      »Sicher, mit dem Unterschied, dass du das Gelesene anscheinend anders im Kopf behältst, als es bei mir der Fall ist. Wenn ich mir etwas merken möchte, muss ich mich sehr konzentrieren. Auch muss ich den Text mehrmals lesen, bevor ich ihn behalte. Man nennt dies ‚auswendig lernen‘.«

      Aha, dachte Chris. Bei mir ist also doch etwas kaputt im Kopf. Darauf wollte Miss Rudolph hinaus. Seine Verunsicherung wuchs. Miss Rudolph neigte den Kopf zur Seite und blickte Chris fragend an. »Was ist?«, fragte er.

      »Okay, anders herum. Kannst du mir erklären, was sich vor deinem geistigen Auge abspielt, wenn du ein Buch weglegst, dessen Text aber auswendig deiner Schwester erzählst?«

      »Der Text ist nicht weg. Ich sehe ihn doch noch vor mir, auch wenn ich das Buch nicht mehr vor mir habe.« Dem kleinen farblosen Chris lief eine Träne über die Wange. »Miss Rudolph, bin ich krank im Kopf? Ich weiß ja, dass ich anders bin. Aber für mich sind diese Dinge ganz normal. Muss ich ins Gefängnis, so wie Hannibal Lecter?«

      Der jungen Lehrerin ging bei diesen Worten das Herz auf. Erst jetzt erkannte sie den gewaltigen Irrtum, dem sie und wahrscheinlich das gesamte soziale Umfeld von Chris aufgesessen waren. Ja, Chris hatte Fähigkeiten, die mit nichts und niemandem in seinem Alter zu vergleichen waren; dennoch: Chris war ein sechsjähriger Junge, der erkannte, dass er Gaben besaß, die ihn von anderen Menschen unterschieden. Und genau diese Tatsache machte ihm Angst! Vorsichtig nahm Miss Rudolph Chris in den Arm. Sie spürte die Wärme, die von ihm ausging, als er die schlanken Ärmchen um ihren Hals schlang. Nicht nur seine Körperwärme nahm sie wahr, vielmehr glaubte sie, die Kraft seiner Aura zu erleben. Liebevoll strich sie ihm durchs Haar.

      »Zuallererst nennst du mich außerhalb der Schule Daniela, während der Schulstunden natürlich weiterhin Miss Rudolph, sonst wundern sich alle. Und nein, du musst keineswegs ins Gefängnis, wobei die Romanfigur Hannibal Lecter mehr in eine Psychiatrie gesteckt gehört, und ebenfalls nein, du bist kein bisschen krank im Kopf! Das Gegenteil ist der Fall. Mach dir darüber keine Sorgen. Weißt du, es ist ungefähr so: Stell dir vor, die ganze Welt wäre ein Vogelnest; wenn der Sperling Eier legt, dann schlüpfen nach wenigen Wochen ganz kleine, junge Sperlinge, Babysperlinge, vergleichbar mit den Menschen auf unserer Erde. Nun gibt es aber kleine Sperlinge, denen wachsen die Flügel etwas schneller, anderen wachsen sie eben ein wenig langsamer. Dennoch können sie alle irgendwann fliegen. Und nun wird ein Babysperling geboren, der Chris heißt. Nach nur wenigen Tagen hat er schon so ausladende Flügel, dass er weiter und höher fliegen kann als seine Spatzeneltern. Darüber sind aber die Spatzeneltern ganz, ganz glücklich, denn sie wissen, dass sie ein sehr besonderes Spatzenbaby haben.«

      Chris löste sich aus der Umarmung, blickte stirnrunzelnd zu seiner Lehrerin und prustete los. Die Tränen, die nun aus seinen Augen schossen, waren keine der Bekümmerung, es waren die eines Lachanfalls. »Sie reden mit mir, als wäre ich ein kleines – ein kleines Babykind.«

      Miss Rudolph musste ebenfalls lachen, da ihr bewusst wurde, wie albern sich die Worte für Chris angehört haben mussten. Doch eines hatte sie erreicht: Sie gewann einmal mehr Chris’ Vertrauen.

      Nachdem sie sich wieder beruhigt hatten, versuchte Chris auf die Frage einzugehen, die er noch nicht beantwortet hatte: »Miss Rudolph, Daniela, ich sehe alles in meinem Kopf, so als läge das Buch aufgeschlagen vor mir. Selbst wenn die Buchseite einen Fleck gehabt hat, erkenne ich diesen. Mir reicht es völlig aus, wenn ich den Text einmal lese.«

      »Siehst du, das ist für dich ganz normal. Andere – vielleicht gibt es ja Ausnahmen, die mir nicht bekannt sind – können das halt nicht. So hast du eben größere Flügel als wir. Wie groß sie tatsächlich sind, das erforschen wir beide gemeinsam. Okay?«

      Chris nickte erleichtert.

      Daniela stellte einen genauen Plan auf. Zuallererst ging es ihr um die Themenbereiche. Neben Lesen und Schreiben waren dies Algebra, Geometrie und auch Kunst.

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