Erdenkinder. Günter Neuwirth

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Erdenkinder - Günter Neuwirth

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fragte Robert hingerissen.

      „Spinnst du?“, rief Meinrad aus. „Angelika ist von den Haarspitzen bis zu den Zehennägeln aus kontrolliert biologischem Anbau.“

      „Unglaublich“, hauchte Robert.

      „Das solltest du aber glauben, denn es ist die Wahrheit. Severin hat mal einen Stapel Sexhefte angeschleppt. Das ist in Wahrheit unglaublich. Halbneurotische Mädchen, die direkt aus der Chirurgiefabrik ins Fotostudio geliefert werden, präsentieren da ihre Gummidrüsen, dass man meint, sie müssten simultan zwei Garnituren Drillinge säugen. Ekelhaft, sag ich dir. Aber Angelika ist einfach nur Angelika, und das ist ein Wunder.“

      Angelika blickte plötzlich hoch. Sie schaute genau in ihre Richtung. Erschrocken riss Robert das Fernglas von seinen Augen.

      Meinrad kicherte leise und musterte seinen Gast im Baum, amüsiert über dessen Erröten.

      „Kann sie uns sehen? Weiß sie, dass wir hier sind“, fragte Robert nach Luft schnappend.

      „Nein. Das Laub ist zu dicht und niemand außer uns kennt diesen Platz. Außerdem war ich schon ein Jahr nicht mehr hier oben.“

      „Sie hat irgendetwas bemerkt“, meinte Robert verunsichert.

      „Kann nicht sein.“

      „Wir sollten von hier verschwinden.“

      Meinrad packte das Fernglas wieder in das Versteck und kletterte hinunter. Robert vergegenwärtigte sich erst jetzt, wie hoch er war, und bekam es mit der Angst zu tun. Worauf hatte er sich da eingelassen? Übervorsichtig kletterte er tiefer. Meinrad wartete unten und spähte nach oben. Dann geschah es, Roberts Hemd blieb an dem vorletzten Ast hängen, er wollte das Hemd lösen, dabei rutschte er ab und fiel. Das Hemd zerriss, ein Fetzen blieb an dem Ast zurück. Er stürzte auf den weichen Waldboden.

      „Ach du Scheiße!“, rief Meinrad aus und half Robert beim Aufstehen. „Ist irgendetwas gebrochen?“

      Robert ächzte und versuchte seine Atmung zu beruhigen. Er stemmte beide Hände in die Hüften, denn er war auf das Becken gestürzt, dementsprechend schmerzte sein gesamter Unterleib.

      „Es geht schon, nichts gebrochen“, stieß er hervor.

      Meinrad lachte.

      „Jetzt sind wir beide gestürzt. Du hast dir aber den bequemeren Untergrund ausgesucht. Allerdings, das Hemd und die Hose sind hinüber.“ Robert schaute an sich hinab. Das Hemd war zerrissen und die Hose vollkommen verdreckt. So konnte er sich unmöglich zuhause blicken lassen.

      Sie schlenderte gemächlich durch die kleine Altstadt, passierte enge Gässchen, überquerte den Stadtplatz, drehte eine Runde und schaute mal in dieses oder jenes Schaufenster. Christina bummelte und die Tageszeit für einen Bummel war ganz nach ihrem Geschmack, es ging bereits auf halb elf Uhr abends zu, die Dunkelheit führte den Frühsommertag seinem Ende zu, allenthalben breitete sich Stille aus, die Altstadt gehörte beinahe ihr alleine. Von Schloss Lamberg, dem Sitz des Stadtpolizeikommandos, bis zu ihrer Wohnung waren es ja nur ein paar Minuten Fußmarsch, daher hatte sie es sich zur Angewohnheit werden lassen, vor allem nach Spätdiensten nicht auf direktem Weg nach Hause zu gehen, sondern den einen oder anderen Umweg zu suchen. Alleine nachts auf der Straße zu sein und durch finstere Gässchen zu gehen, war für sie kein Problem. Wenn sie zu Ängstlichkeit neigte, hätte sie gewiss den falschen Beruf gewählt, und falls sich doch einmal ein verwirrter Halbstarker, ein betrunkener Irrer oder ein von wuchtigen Affekten hilflos Dahingetriebener auf unlautere Art ihr nähern wollte, konnte sie jederzeit ihre guten Judokenntnisse, eine Dose Pfefferspray und, wenn sie vom Dienst kam, auch einen schwarzen Metallteil mit Kaliber neun Millimeter in die Konfrontation werfen. Doch das waren für Christina eher akademische Erwägungen und nur ein formaler Sicherheitsrahmen, denn in Wahrheit war die Innenstadt von Steyr, wie alle Zentren österreichischer Kleinstädte, auch für alleine umher flanierende Frauen vollkommen sicher.

      Christina näherte sich der Ennsbrücke. Der Pegelstand des Flusses war seit dem Vormittag nicht gefallen, aber immerhin auch nicht gestiegen, noch war das Wasser in seinen Ufern geblieben, auch der Regenfall am Nachmittag hatte keine Veränderungen gebracht. Sie hatte im Laufe des Arbeitstages zweimal mit der hiesigen Feuerwehr telefoniert und wusste, dass eine Einsatztruppe in Bereitschaft stand, dass aber noch keinerlei Nervosität bei den durch die wiederkehrenden Hochwasserereignisse abgebrühten Feuerwehrmännern herrschte.

      Christina genoss den lauen Sommerabend und lauschte in das stete Rauschen der beiden ineinanderfließenden Flüsse. Sie war müde, so war es kaum wahrscheinlich, dass sie an diesem Abend noch viel würde lesen können, gewiss würden nach wenigen Minuten ihre Augenlider immer schwerer und schwerer werden und sie würde bald nach dem Lichtschalter tasten.

      Ein Auto rollte mit mäßigem Tempo über die Brücke. Ganz automatisch und mit routinierter Selbstverständlichkeit schaute sie auf die Nummerntafel, schaute, ob der Fahrer während des Fahrens mit dem Handy telefonierte und ob er seinen Sicherheitsgurt angelegt hatte. Da sie nichts zu beanstanden fand, verschwanden das Auto und der Fahrer gleich wieder aus ihrer Aufmerksamkeit. Sie selbst war heilfroh, dass sie nun kein Auto mehr besaß. Um ins Büro zu kommen, brauchte sie nur ein paar Minuten zu schlendern, und das ging bei jedem Wetter, in der Freizeit verwendete sie durchwegs ihr Fahrrad, auch wenn sie alleine in das dreißig Kilometer entfernte Wochenendhaus in Molln fuhr, oder sie ließ sich von Wilhelm chauffieren. Im Berufsalltag verwendete sie ein Dienstauto. So konnte sie sich den Luxus leisten, auf ein Privatauto zu verzichten, nicht zuletzt, weil Wilhelm neben seinem Mercedes auch einen fast nagelneuen VW-Bus mit eingebauter Campingausstattung besaß. Als sie noch in Linz gearbeitet hatte und täglich zwei Stunden hatte hin und her fahren müssen, war dieser Luxus nicht möglich gewesen.

      Christina stand vor der Haustür und kramte in ihrer Handtasche nach dem Haustorschlüssel. Da schlug ihr Handy an. Sie blickte kurz auf die Anzeige, obwohl sie genau wusste, wer um diese Zeit anrief.

      „Hallo Willi“, meldete sie sich mit einem Lächeln.

      „Hallo, mein Schatz. Und, alles okay bei dir?“

      Sie wusste die kleinen und beständigen Aufmerksamkeiten ihres Mannes zu schätzen. Ein kurzer Anruf nach einem langen Arbeitstag und ein in das Telefon gehauchtes Gute Nacht waren einfach Aufmerksamkeiten, die seine Reisetätigkeiten verkraftbar machten.

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