Erdenkinder. Günter Neuwirth

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Erdenkinder - Günter Neuwirth

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Antwort oder nicht“, wies Gerlinde ihren Sohn daraufhin, dass er über die Ursachen des Unfalls noch kein Sterbenswörtchen verloren hatte.

      Meinrad schwieg. Alle warteten auf eine Antwort, er aber schwieg.

      „Ich habe ihn mit dem Auto angefahren. Er ist in den Graben gestürzt.“

      Vier Augenpaare starrten Robert an. Der zuvor warme, dankbare Blick von Gerlinde Riemenschmied fiel mit einem Mal reichlich frostig aus. Robert war die Situation denkbar unangenehm, er rang nach Worten.

      „Es war meine Schuld, aber ich bin sofort stehen geblieben und wollte einen Krankenwagen rufen. Ich stehe für alle Schäden gerade, wenn Sie also die Polizei und die Rettung einschalten wollen, ist das kein Problem, ich wollte es ohnedies tun, aber der junge Mann hat darauf bestanden, hierher gebracht zu werden“, sagte er zu seiner Verteidigung.

      „Ja, das stimmt, ich will nicht in ein Krankenhaus und die Polizei kann mir gestohlen bleiben“, bestätigte Meinrad. „Es ist halt blöd hergegangen, ich habe auch nicht aufgepasst und platsch, liege ich im Graben.“

      „Und wo ist das passiert?“, schaltete sich nun der langhaarige Arzt ein.

      „Auf der Landesstraße drüben oder auf der Bundesstraße bei Dürnfeld?“

      „Weder noch, es war im Wald, auf der Zufahrtsstraße zum Kraftwerk“, erklärte Meinrad.

      „Sie arbeiten also im Kraftwerk?“, fragte Gerlinde und ihr Blick wurde noch finsterer. „Ich habe Sie und Ihr Auto noch nie hier gesehen. Sind Sie neu?“ Robert wurde es richtig mulmig zu Mute, die freundliche Stimmung schlug um.

      „Ich habe dort nur einen geschäftlichen Termin absolviert“, versuchte er zu beschwichtigen.

      Angelika blickte Robert zum ersten Mal direkt an. Heiße und kalte Schauer liefen über seinen Rücken. Ihr Blick war ein Stich mitten in die Brust. Er war in Panik. Angelikas Miene war distanziert, abschätzig, definitiv ablehnend.

      „Wir mögen die Leute vom Kraftwerk nicht besonders“, sagte sie. „Vor allem diejenigen nicht, die mit dicken Autos Fußgänger in den Graben stoßen.“

      Wie erfreut man sie aufgenommen hatte, begeistert von der ersten weiblichen Kriminalpolizistin im Stadtpolizeikommando, überzeugt von ihren guten Referenzen und, wie der Kommandoleiter um ein Kompliment bemüht formuliert hatte, angetan von ihrer charmanten Erscheinung. Seit drei Jahren brauchte sie nicht mehr nach Linz zu pendeln, sondern hatte einen Posten in ihrer neuen Heimatstadt inne. Christina hatte die erste Aufregung ihrer Kollegen ziemlich nüchtern und unbeeindruckt über sich ergehen lassen. Sie hatte sich seit dem Beginn ihrer Tätigkeit bei der Polizei immer nach der Qualität ihrer Arbeit, nach ihren erbrachten Leistungen bewerten lassen wollen, und nicht, weil sie sportlich, schlank und apart war. In ihren ersten Jahren bei der Polizei war sie zum Teil sogar ziemlich schroff gegenüber männlichen Kollegen gewesen, die sie mit Komplimenten oder süßlichem Gerede auf die Rolle der braven und folgsamen Politesse festlegen wollten. Diese Schroffheit war von einer routinierten Kühle und Distanz abgelöst worden. Christina wusste sehr wohl, dass dieses Verhalten ihr nicht besonders viele Freunde einbrachte, aber ihr waren ein professionelles Arbeitsklima und klare dienstliche Strukturen allemal sympathischer als vertrauensselige Verbrüderung. Und das Bedürfnis nach einem umfangreichen Freundeskreis war in ihr niemals ausgeprägt gewesen. Der Vorteil einer solchen Haltung war, dass man sie mit entsprechendem Respekt behandelte, der Nachteil war, dass man ihr immer wieder die wenig interessanten Fälle, die zähe Routinearbeit, die Arbeit, die zwar gemacht werden musste, aber für die niemand so recht Begeisterung aufbringen konnte, zuschob.

      Auch der Umstand, dass sie die Ehefrau von Wilhelm Kayserling war, steigerte bei manchen Kollegen nicht gerade ihre Sympathiewerte. Christina hatte bald Kantinentratsch vernommen, wonach sie, die Gattin des wohlhabenden Unternehmers, es gar nicht nötig habe, zu arbeiten. Sie wolle sich nicht mit einem schicken Auto, einer eleganten Stadtwohnung und einem Wochenendhaus im Grünen zufrieden geben, wolle auch keine Kinder haben, sondern wolle unbedingt Karriere machen, wichtig sein, fühle sich großartig mit einer Schusswaffe im Wandtresor. Dass sie ihren Beruf gern ausübte und einen Sinn darin sah, der Gerechtigkeit zu Geltung zu verhelfen, kam offenbar so manchen Kollegen nicht in den Sinn.

      Christina hatte bei der Heirat den Nachnamen ihres Mannes angenommen. Manche sahen darin ihren Hang bestätigt, sich wichtig zu machen, denn natürlich kannte man in der Stadt den Unternehmer Kayserling, in dessen Logistikfirma immerhin fünfzig Angestellte ihr tägliches Brot verdienten. Christina hatte gar nicht versucht, zu erklären, dass sie ihren Mädchennamen nie besonders gemocht hatte, dass es ihr einfach besser gefiel, Christina Kayserling und nicht mehr Christina Bohnstingl zu heißen. Sie tat, so gut es ging, ihre Arbeit und ließ es dabei bewenden.

      Sie blickte auf die Zeitanzeige auf dem Computerbildschirm, rührte den mittlerweile kalten Tee, nippte daran, stellte die Tasse wieder ab und begann den nächsten Bericht zu tippen. Die Schreibarbeit musste auch verrichtet werden. Da sie erst spät aus dem Büro rauskommen würde, hatte sie sich auch kein Programm für die Gestaltung des Abends überlegt. Ansonsten ging sie, wenn ihr Mann wieder einmal auf Reisen war, ganz gerne alleine aus, mal in eine Ausstellung, mal ins Kino oder in ein Konzert, immer wieder zu Vorträgen in der Buchhandlung am Stadtplatz. Heute aber würde sie nach dem Dienst höchstens noch ein wenig lesen. Da lag nämlich noch ein durchaus interessantes und flüssig geschriebenes Buch über keltische Mythen und Naturgottheiten auf ihrem Nachtkästchen. Warum sollte sich eine im Berufsleben gelegentlich herbe Kriminalpolizistin in ihrer Freizeit nicht für esoterische Literatur interessieren?

      „Und du bist also ein echter Manager?“

      Robert wog den Autoschüssel in der Hand. Die Aussicht, jetzt wieder eine monotone Autofahrt anzutreten, wirkte nicht sehr motivierend. Er hatte schon so viele Autofahrten hinter sich, natürlich, als Angestellter in einem hochmodernen Softwareunternehmen hatte man auch hochmobil zu sein. Egal ob mit dem Auto oder dem Flugzeug, Distanzen hatten keine Rolle zu spielen, schließlich arbeitete man auf internationalem Niveau, auf dem europäischen Markt. Und lange Zeit hatte er auch fabelhaft mit seinen Kollegen über Vor- oder Nachteile dieses oder jenes Autos stundenlang diskutieren können, doch zuletzt waren solche Gespräche für ihn immer uninteressanter geworden, banaler, sich immerzu auf der Stelle um Nichtigkeiten drehend. Und nach Jahren hatte er endlich sein lange angestrebtes Ziel erreicht und nannte nach einigen Citroens und VWs endlich einen Audi sein eigen, aber jetzt, da er dieses Fahrzeug besaß und damit auch wieder nur tausende Kilometer auf dem Weg in die Rente abspulte, erschien ihm dieser sehnliche und ihn zu fleißiger Arbeit motivierende Wunsch hohl, banal, nichtig.

      „Projektmanager, um genau zu sein. Ich bin im technischen Projektmanagement tätig.“

      Meinrad musterte Robert eingehend, er hatte ihn mit kontinuierlich steigendem Amüsement die ganze Zeit über genau beobachtet. Der Mann wirkte wie ein Schauspieler, dachte Meinrad, durchaus gutaussehend, aber offensichtlich nicht besonders talentiert. Man konnte Roberts schauspielerische Darbietung kaum von den Kulissen unterscheiden, ein Anzug, ein Mobiltelefon, ein rasiertes Kinn, ein schickes Auto. Und was sonst? Meinrad spürte einen Kitzel, hinter die schauspielerische Maskerade und die Kulissen zu blicken. Was dachte so ein Managertyp?

      „Ich wollte auch mal unbedingt Manager werden. So vor zwei Jahren war ich total fixiert darauf. Du siehst ja, wie ich aufgewachsen bin. Seit über fünfzehn Jahren geht das schon mit meinen Eltern so. Zuerst der Selbstversorgerbauernhof, wo wir fast verhungert wären, danach diese oder jene Ökokommune, jetzt die Erdenkinder. Meine Eltern sind ziemlich stur, was die Ablehnung der

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