Da draußen im Wald. Ernest Zederbauer

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Da draußen im Wald - Ernest Zederbauer

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kam postwendend die Antwort des Polizisten. Sie heulte auf. »Das macht ja die ganze Sache so mysteriös, vor allen Dingen, dass er seinen Hund nicht mitgenommen hat, den hat er doch sonst immer dabei!«

      »Hat er sein Gewehr mitgehabt?« »Nein«, entgegnete sie, »auch das ist noch hier!« Sie ging mit ihm zum ordnungsgemäß versperrten Waffenschrank, zeigte ihm, dass alle Waffen an ihrem Platz waren. Kopfschüttelnd und mit den Nerven am Ende ließ sie sich auf der Eckbank nieder und ihren Tränen freien Lauf. »Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll, er war doch immer ein Muster an Verlässlichkeit, kannte den Wald und seine Tücken in- und auswendig. Vielleicht liegt er irgendwo da draußen und ich kann ihm nicht helfen!«

      Abteilungsinspektor Raffl beruhigte sie. »Ich verspreche dir, alles zu tun, was in meiner Macht steht. Ich werde die Feuerwehr verständigen, um Verstärkung ansuchen und nach Mittag mit einem Suchtrupp den Wald durchkämmen. Vielleicht klärt sich die ganze Angelegenheit zum Guten.« In der Tür noch drehte er sich um. »Hat er denn sein Handy nicht mit?«

      »Er muss es mithaben, denn ich habe es im Haus nirgendwo gefunden, vielleicht ist der Akku leer, vielleicht hat er es auch verloren. Ich hab ihn die ganze Nacht hindurch immer wieder angerufen und kein Signal empfangen!«

      Kopfschüttelnd fuhr Raffl in das Dorf zurück. Gedankenversunken dachte er an den Oberförster, mit dem er im Winter ab und zu in die Herrensauna ging. Was konnte da nur passiert sein? Der Abgängige war unbescholten, ein gestandenes Mannsbild von vierundvierzig Jahren mit eiserner Konstitution, den nichts so leicht erschüttern konnte. Verirrt konnte er sich nicht haben, dazu kannte er den Wald zu gut. Die Gefahr eines Herzinfarkts schloss er im ersten Moment auch aus. Doch was heißt das schon, fragte er sich, man kann auch in jungen Jahren einen Herzinfarkt bekommen oder eine Lungenembolie, gänzlich unvorbereitet. Wenn das aber der Fall wäre, dann war es wahrscheinlich schon zu spät. Denn in solch einem Fall zählt jede Minute und nun waren schon über dreißig Stunden vergangen.

      In der nächsten halben Stunde herrschte regsame Betriebsamkeit auf dem Polizeiposten. Raffl telefonierte mit der Herrschaft, dem Bezirkskommando und dem Kommandanten der Freiwilligen Feuerwehr. Binnen einer Stunde stellte er einen Suchtrupp auf die Beine. Um zwei Uhr nachmittags trafen sich an die dreißig Leute beim Forsthaus, auch einige Dorfbewohner waren zur Stelle. Gemeinsam mit dem Feuerwehrkommandanten bildete er drei Postenketten mit je zehn Personen. Bis zum Anbruch der Dunkelheit durchkämmten sie den Wald ohne jeglichen Erfolg. Raffl forderte die Hundestaffel für den nächsten Tag an, man wollte sich am Dienstag um acht Uhr zu einer neuerlichen Suchaktion treffen.

      Die ersten vier Stunden verliefen ereignislos. Alles, was man fand, war eine verrostete Kettensäge, die irgendwann ein Holzfäller vergessen hatte, sie war mittlerweile wohl unbrauchbar geworden. Mittags kam die Suchmannschaft beim Forsthaus zusammen. Susanne hatte Leberkäsesemmeln und Bier aus dem Supermarkt geholt. Sessel wurden aufgestellt, jede Möglichkeit zum Niedersetzen ausgenutzt. Als Raffl sich erleichtern musste und ein Stück in den Wald hineinging, wurde er Zeuge eines Dialoges zwischen zwei Feuerwehrmännern. Diese saßen abseits der großen Gruppe auf einem Granitfelsen. Den einen kannte er, einen Eisenbahner in Frühpension, der andere jedoch war ihm fremd.

      »Wenn du mich fragst, dann war der Sepp ein richtiges Arschloch. Der hat mich angezeigt, weil ich mir einen kleinen Christbaum aus der Baumschule am Waldrand besorgt hab. Um die Strafe dafür hätte ich zwanzig Christbäume bekommen. Von mir aus kann der Mensch im Wald verrecken, mir tut es nicht leid um ihn!«

      »Wenn du so blöd bist und einen Christbaum stiehlst, dann ist dir wirklich nicht zu helfen. Du hast doch selbst ein Stück Wald, warum bist du nicht dort hingegangen?«

      »Tu doch nicht so unschuldig«, verteidigte sich der Christbaumdieb, »das ist doch eine jahrhundertealte Tradition, dass man sich den Baum aus einem anderen Wald holt, oder nicht? Hast du das noch nie gemacht?«

      Raffl schlich leise zur Gruppe zurück und gab den Befehl zum Aufbruch. Nun sollte der westliche Teil des Hochwaldes durchsucht werden. Ohne viel Aufheben nahm er den Feuerwehrkommandanten zur Seite und wollte von ihm mehr über diesen Mann wissen. »Wie heißt der Kamerad da drüben, der mit der Stoppelglatze?«

      »Das ist der Lehner Herbert, ein nicht gerade angenehmer Zeitgenosse. Der ist bekannt für seine Wirtshausraufereien und hat deshalb schon vor Jahren eine bedingte Haftstrafe bekommen. Warum fragst du, ist was los mit ihm?«

      »Nein, nein«, entgegnete der Polizeichef, »es ist mir nur ein bisschen komisch vorgekommen, dass er und sein Freund sich so weit von der Gruppe hingesetzt haben!«

      Da die Suche auch am zweiten Tag ergebnislos blieb, wurde die Kriminalpolizei eingeschaltet. Zwei Krimineser aus Krems würden am Mittwoch gemeinsam mit der Hundestaffel den Suchtrupp verstärken.

      Susannes Eltern waren gekommen, sie wollten und konnten ihre Tochter in ihrem Kummer nicht allein lassen. Bis spät in die Nacht saßen sie in der Bauernstube beisammen und entwarfen immer neue Szenarien, was denn dem Sepp passiert sein könnte. Der Vater, Schuldirektor in Pension, griff zu Papier und Bleistift, fragte seiner Tochter ein Loch in den Bauch. Ob er Feinde hätte, jemals zuvor bedroht worden wäre, ob sich in den letzten Tagen verdächtige Leute rund um das Forsthaus herumgetrieben hätten, Holzdiebe, Wilderer oder am Ende gar illegale Flüchtlinge, die über die nicht allzu weit entfernte grüne Grenze immer wieder einsickerten. Susanne konnte sich an nichts Derartiges erinnern, konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer ihrem Sepp Böses wollte. Freilich wusste sie, dass ab und zu Christbäume gestohlen wurden, auch hatte es vor Jahren einmal Anzeichen von Wilderei gegeben, aber dafür bringt man doch keinen Menschen um und schon gar nicht ihren Sepp, oder? Ihre Nerven waren blank gefegt, ließen sie am ganzen Körper erzittern und öffneten ihre Tränenschleusen. Ihre Mutter nahm sie in die Arme. »Wein doch nicht, es wird ihm schon nichts passiert sein, vielleicht finden ihn die Hunde morgen. Der Papa fährt jetzt wieder nach Hause, aber ich werde bei dir schlafen, damit du etwas Ruhe finden kannst! Vorher aber beten wir noch ein Vaterunser, damit der liebe Gott schützend seine Hand über den Sepp hält, was immer ihm da draußen auch passiert sein möge!« So reichten sich die drei die Hände und suchten Beistand bei dem, der alles wusste, der immer war. Der Vater fuhr ins Dorf zurück, wollte im Gasthaus noch Informationen über etwaige Tratschereien über seinen Schwiegersohn einholen und ließ die beiden Frauen in ihrem Kummer allein zurück.

      Susannes Vater war auch jetzt noch, mit achtzig Jahren, eine bemerkenswerte Erscheinung. Groß und schlank ging er stets aufrecht, die Hände am Rücken verschränkt. Von ihm hatte sie ein positives Verständnis der Natur erlernt. Er war bereits als junger Lehrer vor fünfzig Jahren, als es zwar den Begriff »Freiluft« im Stundenplan gab, aber noch kein Mensch von Waldpädagogik sprach, mit seinen Schülern bei Wind und Wetter in den Wald marschiert. Hatte ihnen damals, als Hochkonjunktur und Technikgläubigkeit allerorts herrschten, begreiflich gemacht, dass der Mensch wie der Baum, der Stein, das Wasser ein gleichberechtigter Teil der Schöpfung ist. Er machte seine Schüler mit dem göttlichen Wesen der Natur vertraut, mit seiner ureigenen Art von Philosophie auf der steten Suche nach Harmonie zwischen Mensch und Natur. So oft sie konnte, war sie mit der Klasse zum Unterricht in der freien Natur mitgegangen. Gebannt hing sie dann an den Lippen des geliebten Vaters, wenn er von den Geschöpfen des Waldes sprach, von der Sprache der Bäume und dem Wandern des Wassers über bemooste Steine. Vom Wechsel der Jahreszeiten, dem Blühen, Werden und Vergehen, von den besinnlichen Stunden zwischen Tag und Traum und dem Erwachen der Natur in der heroischen Zeit der Morgenfrühe. Für ihn war die Natur berauschende Poesie, die all seinen Sinnen nahestand. Eine Poesie, in der es eben doch Platz für Fabelwesen, Zwerge, Riesen und Quellnymphen gab.

      Noch jetzt im hohen Alter streifte er weiterhin durch die Landschaft. Nicht so schnell wie ehedem und auch nicht mehr ganz so weit, aber immerhin. Obwohl er sich nie besonders gut mit seinem Schwiegersohn verstanden hatte, war er jetzt in großer Sorge, denn das Wohl seiner Tochter lag ihm sehr am Herzen. Um sich abzulenken, aber mehr noch,

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