Da draußen im Wald. Ernest Zederbauer
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»Was meint ihr«, wollte er wissen, »was dem Sepp passiert sein könnte?«
Die einen meinten, er sei unter einen Baum gekommen und konnte sich nicht mehr befreien. Andere wiederum widersprachen heftig, da es ja keinen Sturm oder sonst irgendwelche Unwetter gegeben hätte. Mancherlei Thesen wurden nur aufgestellt, um sogleich wieder verworfen zu werden. Ein breites Spektrum von Möglichkeiten tat sich in der Wirtshausrunde auf. Möglicherweise war er Holzdieben in die Quere gekommen, einem Wilderer begegnet, von Flüchtlingen, welche über die grüne Grenze kamen, attackiert worden.
»Welchen Teil des Waldes habt ihr schon abgesucht? Wart ihr schon im Finsteren Graben?«
»Nein«, entgegnete der Feuerwehrkommandant, »den haben wir morgen am Plan. Aber, Herr Oberschulrat, Sie wissen doch genau, dass man fast siebenhundert Hektar teils sehr unwegsamen Geländes nicht in zwei Tagen lückenlos absuchen kann!«
Selbstverständlich wusste er es, kannte er doch den Wald in- und auswendig. Allein schon aus diesem Grunde beschloss er, sich am nächsten Tage an der Suche zu beteiligen. Er wollte dabei sein, sichergehen, dass keine noch so geringe Möglichkeit übersehen wurde. Als ihm der Feuerwehrkommandant erklärte, dass er als Nicht-Feuerwehrmann nicht versichert wäre und er daher keine Verantwortung übernehmen könnte, reagierte der Schulrat sauer. Er verließ missmutig das Gasthaus und beschloss, sich frühmorgens eigenständig auf die Beine zu machen.
3
Mittwoch, Schlag acht, versammelte sich der nun durch zwei Beamte der Kriminalpolizei verstärkte Suchtrupp vor dem Feuerwehrdepot. Raffl hatte eine Wanderkarte besorgt, die bereits durchsuchten Abschnitte rot eingerahmt und instruierte die Kollegen aus Krems. Der ältere der beiden, Kommissar Ebert, nahm Raffl zur Seite. »Du kennst doch alle Leute hier, Herr Kollege, hat sich der Oberförster irgendwelche Feinde gemacht? Gibt es jemanden, der ihm eins auswischen will, aus welchen Gründen auch immer? Die menschliche Natur lässt viele Möglichkeiten offen, wie Hass, Neid, Zorn, Eifersucht. Wie versteht er sich mit seinen Kollegen, Freunden, Verwandten? Denk zurück an frühere Zeiten, ob es da irgendwelche Skandalgeschichten über ihn oder seine Frau gegeben hat.«
Mit einem unauffälligen Kopfnicken wies Raffl auf Lehner. »Der hat gestern zu seinem Freund die Bemerkung gemacht, dass um den Gesuchten nicht schade sei, denn er hat ihn vor Jahren angezeigt, als er einen Christbaum gestohlen hat! Er ist nicht gerade ein beliebter Zeitgenosse, ist bei uns aktenkundig wegen diverser Raufereien, aber einen Mord würde ich ihm nicht unbedingt zutrauen! Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ein Gewehr hat, so einer lässt doch eher die Fäuste sprechen!«
»Lass das meine Sorge sein, ich werde mir den Burschen bei Gelegenheit vorknöpfen. Fällt dir sonst noch etwas ein? Holzdiebstahl, Wilderei, Vandalismus, Brandstiftung oder Ähnliches? All das ist mir im Lauf meiner, Karriere‘ schon untergekommen und ich kann dir versichern, dass Menschen aus nichtigeren Gründen abgemurkst wurden! Hast du die Leute aus dem Dorf befragt, ob ihnen in den letzten Tagen irgendwelche verdächtigen Elemente in der Gegend aufgefallen sind? Fremde Autos, junge Burschen mit Geländemotorräder, die durch den Wald rasen, oder andere verdächtige Subjekte?«
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte der Polizist leicht erregt, »wir haben uns doch auf die Suche beschränkt, es liegt doch noch kein Tatbestand vor, oder?«
Schweigend schlossen sich die beiden Polizeibeamten der Suchmannschaft wieder an. Stocherten mit ihren Stäben im Waldboden herum wie all die anderen. Zwei Stunden waren sie unterwegs, als Raffls Handy läutete. Es war der pensionierte Schuldirektor, der Schwiegervater des Försters.
»Ich habe Blutspuren gefunden«, meldete er aufgeregt, »und Schleifspuren in der Nähe des Nonnenlochs im Finsteren Graben. Ich bin mit dem Hund vom Sepp unterwegs, der hat die Spuren gewittert!« Ebert entriss Raffl das Handy. »Bleiben Sie, wo Sie sind, rühren Sie nichts an, zerstören Sie keine Spuren, wir kommen, so schnell wir können!«
Nun übernahm der erfahrene Kriminalbeamte das Kommando. »Kollege Raffl, du kommst mit mir! Nimm zehn Männer mit, die anderen sollen mit deinem Stellvertreter hier eine Pause einlegen, bis wir Gewissheit haben!« Raffl breitete die Karte aus und rief einen der Waldarbeiter der Herrschaft zu sich. »Franz, komm her, zeig uns, wo wir uns jetzt genau befinden und wie wir am schnellsten zum Nonnenloch kommen!«
Unter dessen Führung setzten sie sich rasch in Bewegung. Zehn Minuten später erblickten sie den Schuldirektor auf einem Baumstumpf sitzend, den nervösen Jagdhund an der Leine. Stumm wies er auf rote Spritzer auf einem Stein. Ebert jagte die neugierig herandrängenden Männer der Suchmannschaft weg. Er aber verfolgte mit Raffl die Blutspur. Dann und wann waren auf festem Untergrund weitere Blutflecken zu sehen, auch Fußspuren im nadelbedeckten Boden, die zu einem steilen Abhang führten. Vorsichtig rutschten sie den Abhang hinunter, an dessen tiefster Stelle ein Bächlein über moosige Steine gluckerte. Es war die allerdunkelste Stelle des gesamten Waldes, eben der Finstere Graben. Ein riesiges Felsgebilde türmte sich zwanzig Meter hoch vor den beiden auf. Ein Chaos aus sich überlappenden Granitblöcken, Spalten, Überhängen und Nischen. Sie waren am Nonnenloch angelangt.
»Angeblich haben sich im Dreißigjährigen Krieg dort fromme Frauen versteckt«, erklärte Raffl. »Es ist ein schauriger Ort, um den sich allerhand Legenden ranken. Viele Einheimische meiden diesen Ort, denn angeblich soll es hier spuken! Ein Bursch aus dem Dorf hat die Marodeure damals hierher geführt und das Versteck verraten. Die Frauen wurden alle vergewaltigt und mit dem ekelerregenden Schwedentrunk erstickt.«
Ebert schaute in an. »Was ist der Schwedentrunk?« »Jauche, dreckige, übel riechende Jauche wurde ihnen so lange eingeflößt, bis sie daran starben«, antwortete Raffl, vertraut mit der Geschichte und den Geschichten des Ortes. »Ein geradezu idealer Ort, um eine Leiche zu verstecken, wenn du mich fragst«, entgegnete Ebert, seine Taschenlampe einschaltend. »Komm, schauen wir uns das an!«
Sie sprangen über den kleinen Bach, kletterten den Gegenhang empor, turnten zwischen den Felsblöcken herum. Wieder waren leichte Blutspuren erkennbar. Aufgewühltes braunes Laub vom Vorjahr war rund um eine Felsspalte zu sehen. Man konnte erahnen, dass hier ein Mensch längere Zeit gestanden und immer wieder seine Position gewechselt hatte.
»Ich glaube, wir sind am Ende der Suche angelangt«, meinte Ebert, »du siehst hier genau, dass da jemand etwas Schweres über den Boden gezerrt hat, da, zur Spalte hin!« Ebert schnallte seinen Rucksack ab, fischte seine Arbeitshandschuhe heraus und ging zur Felsspalte, die mit Fichtenreisig zugedeckt war. Behutsam, um keine Spuren zu verwischen, entfernte er das Reisig und leuchtete in den Spalt hinein. Die toten Augen des Oberförsters blickten ihm entgegen. Er war zu abgebrüht, um zu erschrecken, hatte in den Jahren bei der Kriminalpolizei viele Tote sehen müssen, erstochen, erschossen, erschlagen, in vielerlei Varianten gewaltsam vom blühenden Leben in den Tod befördert.
Er kehrte zum alten Mann zurück. »Er liegt da drinnen, mausetot, tut mir leid. Gehen Sie bitte wieder zurück zum Forsthaus und bringen Sie Ihrer Tochter schonend bei, dass Ihr Mann tot ist«, bemerkte er mit lakonischer Endgültigkeit. Er drückte dem Schwiegervater bedauernd die Hand, um sogleich die notwendigen Anordnungen zu erteilen. Wies Raffl an, mit drei Männern des Suchtrupps das Gelände um die Felsgruppe weitläufig mit einem gelben Band abzusperren. Dann rief er den ortskundigen Waldarbeiter zu sich. »Gehen Sie bitte zurück zur anderen Gruppe und zeigen Sie meinem Kollegen einen Weg, auf dem man nahe genug an diese Stelle heranfahren kann. Und schicken Sie den Rest der Suchtruppe nach Hause, die Aktion ist beendet. Ab nun ist dies einzig und allein Angelegenheit der Kriminalpolizei. Ich werde sofort