Da draußen im Wald. Ernest Zederbauer
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Eineinhalb Stunden später begannen die Spezialisten mit ihrer Ermittlung. Stative mit Scheinwerfern wurden aufgebaut und an das Notstromaggregat angeschlossen. Der Fotograf stand auf einer kleinen Leiter und fotografierte den Leichnam in der Felsspalte und das ganze Drumherum. Dann zog man den Toten aus der Spalte und legte ihn behutsam auf eine Plane. Das Gesicht war unverletzt geblieben, doch Hemd, Jacke und Hose waren blutverkrustet. Der Arzt hatte wenig Mühe, die Todesursache festzustellen.
»Ein Ladung Schrot in Brust und Unterleib aus kürzester Entfernung. Maximal fünf bis sechs Meter, keinerlei Chance für den armen Kerl hier, er ist regelrecht verblutet. Der Täter muss ihm nachgeschlichen sein, und als sich der Förster umdrehte, drückte er ab! Dann erst hat er den Körper bei den Händen gefasst und hierher gezerrt. Man sieht an den Handgelenken blaue Verfärbungen. Der Mörder hat kräftig anpacken müssen, um den schweren Mann in die Felsspalte zu hieven! Und er muss eine Menge Blut abbekommen haben.«
Der linke Schuh fehlte mitsamt dem Socken, Hose und Jacke waren an der Rückseite teilweise zerrissen und über und über mit Schmutz, altem Laub und Fichtennadeln übersät. Man konnte ahnen, dass der Mörder den Toten etliche Meter weit über den Waldboden geschleift hatte. Unmittelbar vor der Felsspalte war der Boden aufgewühlt, lagen abgebrochene Zweige. Auf dem rauen Stein waren Kratzspuren deutlich zu erkennen. Losgerissene Moospolster lagen überall herum.
Im starken Licht der Scheinwerfer suchten die Ermittler Zentimeter für Zentimeter das Gelände ab. Unweit der Felsspalte wurde ein Knopf aus Horn gefunden, des Försters Schuh zwölf Meter unterhalb im dichten Gras des Bachufers. Mittlerweile waren zwei Beamte damit beschäftigt, den leblosen Körper in einen Leichensack zu verstauen. Raffl und die verbliebenen Feuerwehrleute saßen in gebührendem Abstand auf Baumstümpfen oder Steinblöcken und rauchten. Nie zuvor war er bei einer Morduntersuchung dabei gewesen, hatte als Dorfpolizist ein eher geruhsames Arbeitsleben dreißig Jahre lang ohne viel Aufregung hinter sich gebracht. Eine Wirtshausrauferei hin und wieder, Verkehrsanhaltungen wegen Trunkenheit am Steuer, kleine Diebstähle oder lautstarke Streitigkeiten unter Nachbarn waren die Höhepunkte seiner Laufbahn gewesen. Umso aufmerksamer beobachtete er nun die akribische Arbeit der Kollegen von der Kripo. Da wurden Fußabdrücke in Gips abgegossen, Steine und Bäume auf weitere Blutspuren hin untersucht und die unmittelbare Nachbarschaft des Fundortes mit Pinseln und einem kleinen Besen gründlich gereinigt und ebenfalls untersucht. Das Tuckern des Notstromaggregates verlieh der Szene eine gruselige Schaurigkeit. Rund um ihn drehten die Ermittler Steine um, räumten tote Äste und Reisig zur Seite, durchschnitten Lichtbündel die Dunkelheit des dichten Waldes. Käfer und Ameisen flüchteten in panischer Angst vor den menschlichen Eindringlingen. Immer weitere Kreise zog man auf der Suche nach Spuren um das Nonnenloch. Hundert Meter oberhalb der steilen Böschung wurde man fündig. Durch eine große Wasserlacke war ein Wagen gefahren, in feuchter Erde ein klares Reifenprofil hinterlassend. Breite, schwere Reifen, aller Voraussicht nach von einem Geländeauto. Sofort war der Fotograf zur Stelle. Raffl zeigte sich fasziniert von der effizienten Arbeit der Kollegen. Jeder wusste, was er zu tun hatte, keiner stand herum, eine geradezu groteske Stille lag über dem Schauplatz des Geschehens, fast so, als ob man dem Toten Respekt zollen wollte.
Kommissar Ebert erklärte die Spurensicherung für beendet. »Tatzeit und Tathergang sind eindeutig, die Schüsse wurden aus einer Schrotflinte abgefeuert, es hat keinerlei Kampfhandlungen gegeben, keine Gegenwehr, der arme Förster hat nicht den Funken einer Chance gehabt. So gut wie sicher kann gesagt werden, dass die Tat von einem Einzeltäter in der Nähe des Waldweges da oben verübt wurde. Gehen wir davon aus, dass er groß und stark war, mit hoher Wahrscheinlichkeit Jäger. Dann hat der Mörder sein Opfer über den Abhang hinuntergerollt, zum Nonnenloch über den Waldboden gezogen und in die Spalte fallen lassen! Der Tote wird in der Gerichtsmedizin noch weiter untersucht werden, doch hier ist unsere Arbeit zu Ende. Jetzt, meine Herrschaften, beginnt die Knochenarbeit! Es war ein vorsätzlicher Mord, geplant und brutal, fast schon eine Hinrichtung. Kollege Raffl, du musst morgen dein Büro räumen, das wird unsere Einsatzzentrale, jetzt wirst du erleben können, wie viele Steinchen man zusammentragen muss, um ein fertiges Mosaik zu bekommen!«
Zwei Männer trugen den Leichensack mit dem leblosen Körper zum Mannschaftsbus der Kripo am Waldesrand. Raffl rollte das Absperrband wieder auf und die Feuerwerker schleppten das Stromaggregat zum Rüstwagen. Bei Einbruch der Dämmerung lag der Wald wieder still und verlassen da, nichts deutete darauf hin, dass ausgerechnet der Mann, der jahrelang für seine Pflege verantwortlich gewesen war, hier ein blutiges Ende gefunden hatte.
4
Schweren Herzens überbrachte der Vater Susanne die Todesnachricht. Sie weinte nicht, sie brach nicht zusammen, saß wie erstarrt neben ihrer Mutter, die schützend ihren Arm um sie legte. Intuitiv hatte sie bereits in der endlosen Nacht des Wartens gespürt, dass ihrem Sepp Furchtbares geschehen war, gerade so, als hätte ihr der Hauch seines Todesengels die fraglose und unumstößliche Gewissheit nähergebracht, sie der letzten Hoffnung beraubt. Nur das Warum konnte sie nicht verstehen.
Bereits am nächsten Morgen begann die Kripo mit ihren Recherchen. Raffls Büro wurde im Handstreich besetzt, Computer wurden installiert, Möbel hin und her gerückt, Fotos des Tatortes und des Opfers an die Wand geheftet. Man kopierte Zettel mit der Bitte um etwaige Hinweise an die Bevölkerung und verteilte sie im Ort. Die Einvernahme Susannes geschah aus Rücksicht ihr gegenüber im Forsthaus. Ebert hatte die Leitung übernommen, Raffl und eine Sekretärin, welche das Protokoll mit einem Laptop schrieb, waren ebenfalls anwesend. Ebert erklärte Susanne, dass unter Umständen auch peinliche Fragen vonnöten waren und sie die Pflicht hätte, wahrheitsgemäß auszusagen. »Wo waren Sie in der Nacht von Sonntag auf Montag?«
»Hier, im Haus natürlich. Es war ein Sonntag wie jeder andere. Vormittags gingen wir zur heiligen Messe um zehn, dann aßen wir zu Mittag, spielten eine Runde Schach und gingen eine Stunde spazieren. So gegen vier tranken wir Kaffee, nachher ging der Sepp in den Wald, auf Nimmerwiedersehen.« Sie wischte sich die Tränen ab und stockte.
»Und dann?«, wollte Ebert von ihr das wissen, was er schon zuvor erfahren hatte.
»Dann bin ich die ganze Nacht vor dem Fenster gestanden und habe in die Finsternis gestarrt, bin drei-, viermal vor das Haus gelaufen und habe seinen Namen immer wieder in die Leere hinausgeschrien. Um fünf Uhr habe ich mich dann angezogen und mit dem Hund immer größere Runden um das Forsthaus gedreht, in der Hoffnung, irgendeine Spur vom Sepp zu finden.«
»War jemand bei Ihnen, kann das wer bezeugen?«, kam postwendend die übliche Frage.
»Nein, natürlich nicht, ich war doch allein zu Hause und weit und breit kein Mensch zu sehen. Warum denn auch?«
»Hat sich Ihr Mann in letzter Zeit bedroht gefühlt? War er anders als sonst? Schweigsam, wortkarg, verbarg er Sorgen vor Ihnen, mit denen er Sie nicht belasten wollte? War er nervöser als normal, hat er Zorn oder Unmut in sich hineingefressen, verhielt er sich auffällig, gab es irgendwelche Probleme, von denen Sie nichts wissen durften? Mit der Forstkanzlei oder dem Personal? Sprach er jemals von verdächtigen Personen, die im Wald nichts zu suchen hatten, von Holzdieben etwa oder Wilderern? Gab es Streit mit Geländemotorradfahrern, mit Reitern oder Mountainbikern auf Wegen mit Fahrverbot? Hatte er kurz vor seinem Tod böse Vorahnungen, war er verunsichert, verkroch er sich in sich selbst?«
»Er sprach nicht besonders viel über seine Arbeit und er war auch nicht der Typ, der sich bei mir ausweinte, wollte alles auf seine Art lösen. Aber ich glaube nicht, dass es irgendwas gab, was ihn in letzter Zeit mehr belastete als sonst. Er war ein gewissenhafter Mensch mit Freude an seinem Beruf und trug den grünen Rock mit Stolz. Nie gab es irgendwelche Probleme mit der Herrschaft, alle waren zufrieden mit ihm!« Als ihr bewusst wurde, dass sie soeben in der Vergangenheitsform von Sepp sprach, brach sie zusammen und schluchzte haltlos.
»Hatten Sie Streit in letzter Zeit, ernstere