Mit dem Fahrrad vom Atlantik bis ans Schwarze Meer. Mady Host

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Mit dem Fahrrad vom Atlantik bis ans Schwarze Meer - Mady Host

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Wenn man schon nicht ihr Reisepartner sein kann, dann wenigstens ein Leser ihres Buches.

      Carmen Rohrbach

       carmenrohrbach.de

      Vor der Reise ...

      Ich schließe meine Augen und in meiner Fantasie taucht ein Bild von mir auf. Ganz klar, gestochen scharf und in kräftigen Farben sehe ich mich selbst: Braungebrannt, mit kernigem Gesicht und wohl trainierten Beinen stehe ich im Sportshirt vor endlos blauer Kulisse. Das Schwarze Meer, eine weite Fläche ohne erkennbares Ende, gestaltet das Foto vor meinem geistigen Auge. Neben mir steht brav mein weißes Fahrrad. Der Helm, der mir auf knapp 5000 Kilometern die Frisur zerstört hat, baumelt am Lenker, meine Ponyfransen kleben mehr an meiner Stirn, als dass sie mir attraktiv verspielt ins Gesicht fallen. Das macht mir aber überhaupt nichts aus, im Gegenteil, ich lächle, in die Kamera und in die Welt. Ich sehe glücklich aus, der Stolz über die geschafften Kilometer steht mir ins Gesicht geschrieben und die Freude über meine erlebten Abenteuer und die Erinnerung an die dabei gemachten Bekanntschaften lassen mich strahlen. Glück.

      Ich öffne meine Augen, das Bild verblasst und ich spüre die Kühle des Autofensters an meiner Stirn, die vorbeisausenden Fahrzeuge zeichnen ein verschwommenes Bild aus Licht in die Dunkelheit, während unser Motorengeräusch seinen akustischen Beitrag leistet zu diesem Kunstwerk der Nacht, meiner Nacht, der Nacht, in der mein großes Abenteuer beginnt.

      Anreise mit meinem Vater Ingo

      Mein Vater Ingo und seine Frau Franka fahren mich zum Ausgangspunkt meiner Reise. Für diese Tour habe ich mich entschieden, weil ich genau eines will: Europa aus eigener Kraft durchfahren, auf einem Weg, der unterschiedlichste Länder miteinander verbindet. Ich will verschiedene Sprachen hören, neue Kulturen erleben, lebendigen Geschichtsunterricht erfahren und meine eigene Geografiestunde konzipieren. Ein Kontinent, der im Größenvergleich unserer Erdteile klein abschneidet, sich dabei aber aus so zahlreichen unterschiedlichen Ländern zusammensetzt, muss einfach erkundet werden.

      Für mein Vorhaben gibt es wohl kaum einen besseren Radweg als den, der sich mit der Bezeichnung „ausgesprochen beliebt“ schmückt. Der EuroVelo 6 zählt zu den besonders weit ausgebauten Strecken von mehreren Routen des EuroVelo-Netzwerks. Er ist auch bekannt als Flussroute und wird mich auf etwa 5000 Kilometern von West nach Ost, von der französischen Atlantikküste bis zur rumänischen Schwarzmeerküste durch zehn Länder führen.

      Die Strecke entspricht in Frankreich zunächst dem Loire-Radweg, führt dann in die Region Burgund, in das südliche Elsass sowie durch das Sâone- und Doubstal. Anschließend ebnet der Rhein-Rhône-Kanal den Weg nach Basel, von wo aus es nördlich nach Tuttlingen geht. Ab hier folge ich dem Donauradweg bis zu meinem Ziel. Dieser mächtige Fluss geleitet mich nicht nur durch Deutschland, sondern auch weiter durch Österreich, die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien und zuletzt Rumänien.

      Den ersten Teil der Reise werde ich allein meistern, dann wird mich für einige Tage mein Sandkastenfreund Daniel begleiten und von Ungarn aus geht es mit meiner Freundin und Kamerafrau Cornelia bis ans Ziel Constanța am Schwarzen Meer. Auf meinem Weg werde ich nicht nur die Kontraste erfahren, die das Allein- und zu zweit Reisen mit sich bringen, sondern vor allem die Diversität in Landschaft, Infrastruktur, Architektur und in den Kochtöpfen von Frankreich bis Rumänien beobachten.

      Und die Menschen? Welche Mentalitätsunterschiede werde ich ausmachen? In den Portemonnaies der Franzosen wird durchschnittlich mehr Füllung sein als im Geldbeutel des rumänischen Dorfbewohners, der mir vom Straßenrand aus zuwinkt. Spielt das eine Rolle, wenn es um das Glücksempfinden eines Menschen geht? Ich werde genauer hinsehen, auch nachfragen und fürs Fotoalbum festhalten, was zwischen Atlantik und Schwarzem Meer zum Glück dazu gehört. Falls mir jemand interessant erscheint, zu dem ich mir gezielt Zugang wünsche, werde ich zu meinem Hilfsmittel, dem „magic letter“, meinem „magischen Brief“, greifen. Für jedes Land, das nicht deutschsprachig ist, habe ich nämlich einen Zettel dabei, der mich vorstellt und mein Interesse am Glück bekundet, natürlich in der jeweiligen Landessprache.

      Die ersten Tage in Frankreich unterwegs

      Das Leben ist zu kurz zum Unglücklichsein. Also, ab auf den Fahrradsattel und los geht es …

      Als ich am letzten Maitag an der französischen Atlantikküste in Richtung der westfranzösischen Großstadt Nantes losrolle und meiner Familie zum Abschied winke, habe ich bereits meine erste Antwort: Diese Menschen, die sich liebevoll um mich kümmern, machen mich glücklich. Sie sind bei mir. Ganz gleich, ob wir uns sehen können oder aus der Ferne aneinander denken. Ich kehre ihretwegen immer wieder gern nach Hause zurück.

      Aber bis dahin wird es noch dauern und ich freue mich auf eine Reise, die vor mir liegt, inklusive aller Ungewissheiten, die das individuelle Unterwegssein mit sich bringt. Morgens nicht zu wissen, wo ich abends schlafe und keine Idee davon zu haben, welchen Menschen ich begegnen werde, liebe ich. Diese Art des Reisens steht im Kontrast zu meinem ansonsten recht durchstrukturierten Alltag mit terminlichen Verbindlichkeiten, die teilweise sogar schon ein, zwei Jahre im Voraus feststehen. Wenn ich in den nächsten Wochen allmorgendlich mein Fahrrad in Bewegung bringe, indem ich die Füße auf die Pedale setze und losfahre, rolle ich also nicht nur in die Welt, sondern lasse die Welt auch auf mich zukommen.

      Wie heißt es so schön? Aller Anfang ist leicht. Auch wenn ich ganz allein auf mich und meine mangelnde Orientierungsfähigkeit gestellt bin, so fällt mir der Start in mein Radlerabenteuer überhaupt nicht schwer. Der Radweg ist grundsätzlich gut beschildert, und wenn ich mich doch einmal verfahre, so kann ich dieses Defizit mit meiner Kommunikationsstärke ausgleichen: Ich spreche die Landessprache ausreichend gut, dass es genügt, durchzukommen und mich sogar etwas zu unterhalten. Auf Navigationstechnik möchte ich weitestgehend verzichten, meine wasserabweisenden bikeline-Radkarten sowie mein gesunder Mund, der gerne fragt, sollen mir für die Orientierung genügen. Ich hoffe, das geht gut und ich lande nicht plötzlich in Norwegen statt an der Schwarzmeerküste …

      Zelten in Frankreich – mein Zuhause

      Der Loire-Radweg selbst macht es mir auch leicht, ihn zu mögen, denn er ist vor allem aufgrund seiner ursprünglichen Landschaft, die ihn umgibt, reizvoll. Die Loire gilt als einer der letzten ungezähmten Flüsse Europas. Sie ist für größere Schiffe überwiegend zu seicht, so darf sie fließen, wie es die Natur ihr vorgibt. Hin und wieder verlässt der Weg den Fluss und gräbt sich in die Weinberge, was mich nicht selten in den ersten Gang herunterschalten lässt, manchmal sogar – ich gebe es nur ungern zu – auch ein Stück keuchend zum Schieben zwingt, mit 25 bis 30 Kilogramm Gepäck aber eigentlich auch kein Wunder. Alles in allem macht Fidibus, so habe ich mein Trekkingrad während meiner heimischen Trainingsfahrten getauft, vom ersten Kilometer an einen guten Job. Ich sitze vor dem Zelt und wünsche mir, dass es weiter so gut laufen wird, wie es das gerade tut. Ich bin schnell im Hier und Jetzt meines Radlerabenteuers angekommen: Wenn ich nicht gerade fahre, pausiere ich, wechsele hier und da ein paar Worte, als würde ich es schon lange so tun. Ja, meinen Reiserhythmus habe ich gefunden. „Einfach machen“ wird schnell zu meinem Motto. Ich spüre keine Einsamkeit, weder auf der Strecke noch beim Kochen am Zelt. Die Dinge sind, wie sie sind, und sie sind gut. Ja, darüber bin ich glücklich.

      Und damit bin ich augenscheinlich nicht allein. In Le Thoureil, einer winzigen Ortschaft mit

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