Mit dem Fahrrad vom Atlantik bis ans Schwarze Meer. Mady Host
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Glücklicher Eisverkäufer
„Gestern war ich zwölf Stunden auf dem Wasser“, erklärt sie mir, während ich die Kamera startklar mache.
„Das klingt toll“, freue ich mich.
Der Eisverkäufer hat gerade Leerlauf und gesellt sich zu uns. Ich erzähle ein wenig von mir und meiner Reise. Meine Gesprächspartnerin und der Eisverkäufer kennen sich und wechseln plötzlich einige rapide gesprochene Worte in ihrer Landessprache. Dabei werfen sie einen Seitenblick auf mich und zwinkern einander zu. Dann lotst mich Henricus, wie sich der Eismann vorgestellt hat, zu seinem Wagen, öffnet das mit einer goldenen Abdeckung geschützte Eisfach. Er taucht seinen Portionierer in die kalte Masse, während sich die ehemalige Pariserin Patricia meine Kamera schnappt. Ich weiß, dass sie damit etwas Gutes vorhat, will aber dennoch nachhaken, was. Per Fingerzeig auf ihren geschlossenen Mund bringt sie mich allerdings zum Schweigen. Henricus tritt hinter seinem Wagen hervor, holt mich an seine Seite und drückt mir eine gefüllte Eiswaffel in die Hand. Patricia, die einige Meter vor uns Stellung bezogen hat, betätigt den Auslöser. Ich lache. Henricus freut sich: „Siehst du, du lächelst, weil ich dir ein Eis geschenkt habe. Und da ich dir eine Freude machen konnte, bin nun auch ich glücklich.“
„Schön, dass die Überraschung gelungen ist“, schaltet sich Patricia ein und gibt mir die Kamera zurück.
„Natürlich verschenke ich mein Eis nicht immer an die Leute, aber die Reaktion der Menschen ähnelt deiner. Mein Job ist positiv besetzt, und Passanten, die sich an einem sonnigen Tag ein Eis kaufen, sind in den meisten Fällen glücklich, spätestens, wenn die kalte Köstlichkeit auf ihren Zungen schmilzt“, grinst mich der Mann mit dem Glücksjob zufrieden an.
„Das glaube ich Ihnen“, erwidere ich, „Ihr freundliches Lächeln strahlt über die ganz Uferpromenade“, füge ich auf Englisch an.
„Zeit für einen Abstecher zum Wasser“, entführt mich Patricia auf eines der traditionellen Loire-Holzschiffe, an deren Mast sich ein Segel spannen lässt. Zusammen mit ihrem Kollegen bietet sie mehrstündige Touren an. Gern fährt sie mit den Gästen flussaufwärts und lässt sich dann mit ihnen still zurücktreiben. Die daraus entstehende Ruhe, in die sich nur die Geräusche der Natur mischen, führt sie ganz bewusst herbei.
„Das ist meine Meditation“, erklärt sie, während sie sich ans Steuerrad stellt und mir sanftmütig zulächelt, die Krempe ihres Hutes wirft einen leichten Schatten auf Gesicht, Hals und Dekolleté.
Der Loire-Radweg stattet charmanten Orten wie Saumur, dessen Schloss aus dem 14. Jahrhundert hoch über dem Fluss thront, genauso einen Besuch ab wie Souzay-Champigny, einer Gemeinde sechs Kilometer östlich von Saumur. Souzay verfügt über ein Netz von unterirdischen Straßen, die bereits im 11. Jahrhundert in den Stein geschlagen worden sind, die Einkaufsstraße mit Geschäften in den einzelnen Höhlen wurde sogar noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts genutzt. Die Wegführung beeindruckt mich so sehr, dass ich meinen Fidibus schiebe, was zudem meine Beinmuskeln schont. Der recht steile Radweg geleitet mich zunächst durch eine Öffnung direkt in den Felsen, der sich in einem Bogen über mich spannt. Das Gestein, was an arglos zerknülltes Papier erinnert, erstreckt sich nicht durchgängig über den Weg, sodass das Tageslicht noch immer eine Chance hat, sich zu zeigen. Ich gehe an zugemauerten Eingängen vorbei und kann die einstmals hier ansässigen Geschäfte erahnen. Dann, entlang einer mit Efeu bewachsenen Mauer, verläuft der schmale Weg wieder ganz unter freiem Himmel. Wenig später wird es dann aber doch noch einmal recht dunkel, und einige in den Boden eingelassene Strahler müssen für Helligkeit sorgen. Es sind nicht nur die schattigen, teils recht finsteren Wegstücke, die mich begeistern, sondern auch das Flair des Ortes. Ich begegne hier niemandem, fühle mich aber dennoch gut aufgehoben, vor allem zwischen hellen Steinhäusern, von deren Mauern üppiges Grün mit roten Blüten fällt.
Radweg in der Nähe von Saumur
Ich rolle weiter und komme in Turquant mit einem Künstler ins Gespräch, der sein Atelier mitten im Felsen hat. Als wir seinen Arbeitsort betreten, fahre ich mir über die Gänsehaut auf meinen Armen. Er teilt mir mit, dass er sich nach eineinhalb Jahren an die Kälte gewöhnt hat und dass das Glück darüber, etwas zu erschaffen und dies dann sogar zu verkaufen, die Sorge um kalte Finger deutlich übertrifft. Seine Augen lächeln, während er sich über eine Werkbank beugt. Der Franzose, der noch keine Dreißig sein kann, trägt sein langes gewelltes Haar zum Zopf gebunden und erklärt mir, dass diese Region für ihre „troglos“ bekannt sei – so finden sich Restaurants, Galerien, ja sogar Hotels in Höhlen. Er empfindet es als großes Glück, auf diesem Fleckchen Erde kreativ arbeiten zu können. Ich verstehe, wovon er spricht, sehe mich noch einmal um, als ich Fidibus aus dem Eingangsbereich schiebe.
An diesem Ort entsteht nicht nur Kunst, sondern der Bau selbst ist ein Kunstwerk. Dichter Efeu fällt vom Felsen, in den Fenster und Türen, Räume und Flure geschlagen wurden. Etwas Neues, Besonderes kennenzulernen, macht mich heute glücklich. Ich bin mir meines Privilegs, diese Reise machen zu können, bewusst und empfinde es als großes Glück, interessanten Menschen wie dem Künstler begegnen zu dürfen. Neben der Spontaneität, die ich auf Reisen ohne vorgebuchte Übernachtungsorte so sehr schätze, ist es vor allem der Zugang zur Bevölkerung, weshalb ich gern per Fahrrad oder auch als Rucksackreisende umherziehe. Wenn ich mit meinem bepackten Fidibus vorfahre, öffnet sich manche Tür. Auch mein kreativer Gesprächspartner hatte mich gleich neugierig angelächelt, als ich mich dem Eingangsbereich näherte. Allein die Tatsache, dass ich mein Gepäck und auch mich selbst auf einem unmotorisierten Zweirad befördere, scheint die Botschaft „Ich komme in Frieden“ auszusenden.
Mein Finger fährt über das glatte Material meines Tourenbuches und bleibt an einem wohlklingenden Namen hängen: Chambord. Als ich mich vor meiner Reise mit der Loire-Region befasst habe, bin ich einem Schloss nämlich immer wieder begegnet: dem „Château de Chambord“, welches das größte und wohl auch prächtigste aller Schlösser an der Loire ist. Der Renaissancebau wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt.
Ich freue mich sehr darauf, diese Meisterleistung menschlicher Baukunst zu besuchen, und versuche mir das nasse Wetter schönzureden, als ich bei kaum mehr als zehn Grad Celsius mein klitschnasses Zelt verstaue. Den Beschilderungen nach Chambord folgend, gelange ich an eine Stelle, welche auf einmal in die entgegengesetzte Richtung verweist. So bitte ich einen Passanten, mir auf meiner Karte zu zeigen, wo ich mich gerade befinde. Als er blättern will, weil ich offensichtlich nicht einmal annähernd da bin, wo ich hoffe zu sein, lasse ich die Schultern dann doch ziemlich enttäuscht hängen. Ich triefe vor Nässe, mir ist kalt und meine Finger erinnern an ungekochten Spargel, so steif fühlen sie sich an. Ich dachte eigentlich, Halbfingerhandschuhe im Juni seien ausreichend … Ich weiche auf eine mäßig befahrene Landstraße aus, die mir aufgrund des Regens und der schlechten Sicht nicht gerade als sicherster Weg für eine Radfahrerin erscheint, und bemühe dann noch mal Google Maps. Ein wenig irre ich noch umher, auch weil die Internetverbindung mir in einem waldreichen Abschnitt verloren geht, und werde für meine Mühen entlohnt, als sich das Schloss dann recht