Mit dem Fahrrad vom Atlantik bis ans Schwarze Meer. Mady Host
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Der glückliche Jean an seinem Morgan
Während ich Fidibus nehme, um ihn rückwärts aus dem Schuppen zu schieben, knackt es plötzlich und mein Fahrradständer, der schon erste Spuren eines Defekts gezeigt hatte, bricht vollends ab und liegt traurig zwischen meinem Rad und mir. Jean und ich nehmen es mit Humor, mein Gastgeber hebt das kaputte Teil auf und ich entgegne lachend: „Nun haben Sie noch ein Souvenir von mir.“
Als ich wieder auf der Straße bin und der Route folge, die mir Jean aufgezeichnet hat, freue ich mich über meinen Makel in puncto Orientierung, denn was entginge mir nur, wenn ich mich nicht verfahren würde … Manchmal haben eben auch Schwächen ihre Stärken.
Die selbstgemalte Karte ist jedenfalls großartig und ich erreiche schnell die Stelle, an der laut meiner Fahrradkarte der Zeltplatz sein müsste. Ich rolle am Loire-Ufer vor und zurück, einmal, zweimal, dreimal, kann jedoch partout keinen Campingplatz ausmachen. Das gibt es doch nicht! Ich frage Jogger, Fußgänger, biege sogar zur nächsten Straße ab, um mich bei einem Autofahrer zu erkundigen. Ich weiß nicht, wie lange ich schon umherirre, als eine junge Frau, die Englisch mit mir spricht, ausführlich auf ihrem Smartphone recherchiert und dann eine Nummer anruft, von der wir beide der Meinung sind, sie gehöre zum Campingplatz, der nahezu vor unserer Nase sein müsste. Wir erfahren, dass er erst ab dem 22. Juni geöffnet hat, was erklärt, warum wir ihn nicht sehen, da das Areal noch komplett abgeriegelt und winterfest gemacht und damit nahezu versteckt ist. „Was mache ich denn jetzt?“, frage ich mich und fahre langsam Richtung Innenstadt, denn an eine Weiterreise bis zum nächsten Platz ist gar nicht zu denken, angesichts der abendlichen Tageszeit.
So viel zum Thema „Heute steht das Zelt mal zeitig“. Momentan fühlt sich der Grund, weshalb ich so gern individuell reise, also weil ich mich gern überraschen lasse, eher negativ als positiv an. Die Kehrseite der Medaille, die Seite, die mich mehr fordert als fördert, liegt oben. Allein unterwegs zu sein, ist aufregend, macht mir Spaß und hat bisher ja auch gut funktioniert, aber wenn es eben mal nicht so läuft, kippt die Stimmung doch ein wenig. Meine
Optionen sind zudem weniger, als sie es in Zweisamkeit wären, denn dann würde ich Wildniscamping in Erwägung ziehen. Aber allein begebe ich mich auf gar keinen Fall in ein nasses Gebüsch am Stadtrand, dafür fehlt mir der Schneid. Es bleibt also nur, irgendeine Form von touristischer Unterkunft zu finden.
Glücklicherweise entdecke ich bald ein Hotel, sehe aber keinen geeigneten Ort, an dem ich mein Rad, das ohne Ständer nun nicht mehr überall ausharren kann, sicher zu parken. So schiebe ich Fidibus in die Lobby, tropfe erst den Boden, dann den Tresen mit meinen Jackenärmeln voll, als ich mich zur Rezeptionistin hinüberbeuge und nach einem Zimmer frage. Nicht nur dieses Hotel ist restlos ausgebucht, sondern auch eine Handvoll anderer, welche die freundliche Frau für mich abtelefoniert. Ich schraube mein Maximalbudget zwangsläufig nach oben und sie findet ein freies Zimmer in der Nähe, was sie noch von 85 auf 80 Euro heruntergehandelt bekommt. Dank ihrer Wegbeschreibung finde ich es schnell und werde von einer jungen, perfekt geschminkten Mitarbeiterin freundlich begrüßt. Fidibus darf in den Haushaltsraum, in dem die Rezeptionistin ihn geduldig festhält, während ich alle Taschen entferne. Ich hinterlasse eine dicke Spur aus nassem Dreck, als ich am Fahrstuhl zum Stehen komme und den Knopf drücke. Zusammen mit all meinen Taschen, die ich mir an jedes erdenkliche Körperteil gehängt habe, quetsche ich mich hinein und fahre nach oben.
Es ist 20 Uhr, als ich die Taschenriemen, die sich trotz des nur kurzen Weges tief in meine Schultern geschnitten haben, von mir streifen kann. Ich lasse mich auf das Bett fallen, atme einige Male erleichtert durch und schäle mich dann aus den Klamotten, um mich auf den Weg unter die heiße Dusche zu machen. Anschließend möchte ich wenigstens einen meiner Pläne in die Tat umsetzen, erhitze Wasser und bereite mir den ersehnten Tassenpudding zu. Na bitte, geht doch!
Am nächsten Morgen bin ich schon um 7 Uhr wach, obwohl ich erst zur Geis-terstunde das Licht ausgeschaltet habe. Ich fühle mich noch müde, kann aber auch nicht mehr einschlafen. So schaut mir aus dem Badezimmerspiegel ein recht zerknautschtes Gesicht entgegen. „Dann wasche ich dich eben, wenn du nicht mehr schlafen willst“, grummele ich mein Abbild an und beschließe, die Zeit gut zu nutzen und mir Orléans anzuschauen.
Fidibus und mein Gepäck dürfen nach dem Auschecken im Hotel lagern, sodass ich unbeschwert und zu Fuß losziehen kann.
Die Stadt liegt am nördlichsten Punkt des Laufs der Loire und ist mir vor allem wegen Jeanne d`Arc, der Jungfrau von Orléans, bekannt. Unter Karl dem Großen erblühte die Stadt zu einem geistigen Zentrum, in dem im Jahr 1305 die erste Universität gegründet wurde. Im Laufe der Zeit erlangte Orléans so große Bekanntheit, dass man diesen Ort sogar als Hauptstadt Frankreichs betrachtete. Die Jungfrau von Orléans kam ins Spiel, als die Engländer die Stadt in den Jahren 1428/29 für fünf Monate belagert hatten, denn Jeanne d`Arc bekämpfte mit ihren Mannen die Eindringlinge erfolgreich und zog am 8. Mai 1429 als Nationalheldin in die befreite Stadt ein.
Nahe ihrer Statue, die sie auf einem hohen Sockel zu Pferd zeigt, lerne ich einen jungen Mann kennen, der hochkonzentriert über eine Sandskulptur gebeugt kniet und sorgfältig mit Küchenmesser und Pinsel ein Kunstwerk schafft, das ich jetzt schon als zwei schlafende Hunde erkennen kann. Offensichtlich sitzt er hier bereits seit einigen Stunden.
Besuch bei Jeanne d`Arc
Die wilde Loire
Neugierig zu erfahren, wer er ist, spreche ich ihn auf Französisch an, woraufhin er nur mit wenigen Worten gebrochen reagiert. Mit Englisch geht es auch nicht besser, wohl aber auf Spanisch, das sei seine beste Fremdsprache, erfahre ich von dem Rumänen. Er arbeite in seinem Heimatland als Lkw-Fahrer und mache gern Urlaub in Frankreich, um jeweils fünf Stunden pro Tag Sandfiguren zu erschaffen – etwas, was ihn erfülle. Dass hinter dem Mann, der hier so vertieft in seine Kunst am Boden hockt, ein rumänischer Brummifahrer steckt, welcher seine Ferien als Hobbykünstler in einem Land Tausende Kilometer entfernt verbringt, hätte ich wohl kaum vermuten können. Längst hat er sich wieder seiner Arbeit gewidmet und besprüht den Sand mit Wasser, um präziser modellieren zu können.
Mal zu Fuß unterwegs zu sein, noch langsamer als mit Fidibus, empfinde ich, auch angesichts dieser unerwarteten Begegnung, als sehr wertvoll. Außerdem macht mich die pure Leichtigkeit glücklich, die ich beim Flanieren ohne Gepäck fühle. Ich verliere mich in kleinen Gassen mit alten Fachwerkhäusern, sitze in der Sonne am Loire-Ufer, werfe einen Blick in die Kathedrale Sainte-Croix d’Orléans, religiöses Zentrum des Bistums Orléans. Der fünfschiffige Bau wurde vielfach zerstört und im Jahr 1601 im gotischen Stil wiederaufgebaut. Mein Blick schweift besonders gern über die Buntglasfenster, die das Tageslicht zum Leuchten bringen.
Überraschenderweise darf ich ein weiteres Treffen mit meinem Vater und Franka erleben. Die beiden haben die Gelegenheit genutzt, noch einige Tage Urlaub zu machen. Dieser neigt sich nun aber so langsam seinem Ende zu – allerdings nicht ohne ein Wiedersehen, wie sie mir per WhatsApp vorschlagen. Ihre Rückfahrtroute haben sie nämlich extra so gelegt, dass wir uns heute auf dem Campingplatz in Sully, gut 50 Kilometer von Orléans entfernt, sehen können. Ich freue mich auf einen finalen Abend im familiären Nest, in dem es für mich ganz sicher bestes Essen