Mit dem Fahrrad vom Atlantik bis ans Schwarze Meer. Mady Host
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Читать онлайн книгу Mit dem Fahrrad vom Atlantik bis ans Schwarze Meer - Mady Host страница 9
„Oui, bien sûr!“, erwidert mein Gesprächspartner überzeugt. Schon seit dreißig Jahren verkauft der Gastronom Wein, die meiste Zeit davon hatte er eine Bar im noch stärker touristisch erschlossenen Bereich dieser Stadt, erst seit einigen Jahren arbeitet er an diesem Standort. Hier gefällt es ihm besser, weil es familiärer zugeht. Immer wieder grüßen ihn die Vorbeikommenden oder bleiben auf einen Schwatz stehen. Ich sehe mir meinen Gesprächspartner genauer an und stelle mir eine Frage, die mich in diesen Tagen schon öfters beschäftigt hat: Wie nur schaffen es die Franzosen, so oft ausgesprochen adrett zu wirken? Der Wirt trägt eine schlichte braune Hose zu schwarzen Turnschuhen und ein dunkles Langarmshirt mit zarten hellen Streifen. Obwohl seine Frisur nicht außergewöhnlich ist, so wirkt dieser Mann chic. Ja, viele Franzosen haben etwas an sich, was ihnen Eleganz verleiht, vielleicht tut die nobel klingende Sprache ihr Übriges. Von den sorgsam geschminkten anmutigen Frauen ganz zu schweigen …
Der Weinkenner setzt sich mit einem Glas Rebensaft vor sein Lokal und lächelt sanft in meine Kamera. „Ja, die Arbeit macht mich glücklich“, bestätigt er, was ich bereits vermutete. Es sei vor allem der Kontakt zu Menschen in Freizeitstimmung, der ihn erfülle. „Es ist schön, sie lachen zu hören“, ergänzt er. Als würde er seinen Aussagen Nachdruck verleihen wollen, spendiert er mir einen zweiten Wein, nicht ohne sich vorher zu erkundigen, ob er mir auch geschmeckt habe.
Bekannte des Wirtes, die uns beobachteten, fragen nach meiner Reise und zeigen sich äußerst interessiert. Ich berichte, erhalte Anerkennung und noch die ein- oder andere Nachfrage. Ein wenig weinselig halte ich heute fest: Ja, jedes freundlich gewechselte Wort, jeder kleine Dialog zwischen Menschen, die einander interessant finden, hat das Potenzial für einen Glücksmoment.
Mit roten Wangen radele ich zum Campingplatz zurück.
Der glückliche Weinlokalbetreiber
Auf meinem Weg in das gut einhundert Kilometer entfernte Dole fliege ich förmlich, obwohl ich an feuerrot leuchtenden Mohnfeldern vorbeikomme, dessen Samen ja bekanntlich müde macht. Mein straffes Tempo steigert sich sogar noch, als ich zu sieben jungen Radlern, die sich die „Green Riders“ nennen, aufschließe. Insgesamt ist die Gruppe mehr als 20 Radler stark und unternimmt die Reise ans Schwarze Meer in Form eines öffentlichen Trips. Das heißt jeder, der möchte, kann sich ihnen anschließen. An ihren Ruhetagen leisten sie ehrenamtliche Arbeit auf Farmen, helfen bei Reparaturen oder der Ernte. Die Idee des ökologischen Reisens geht auf Rob Greenfield zurück, der einst von New York City nach Seattle, auf der anderen Seite der Staaten, radelte. Der amerikanische Abenteurer, Umweltaktivist und Unternehmer hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, für eine gesunde Erde einzutreten. Verschiedene öffentlichkeitswirksame Projekte, mit denen er auf Lebensmittel-, Strom- und Wasserverschwendung aufmerksam macht, kennzeichnen seine Arbeit. Um zum Beispiel für den Wert von Wasser zu sensibilisieren, verzichtete er ein Jahr lang aufs Duschen und nutzte für die Körperpflege lediglich natürliche Wasserquellen wie Flüsse, Seen, Wasserfälle, sogar den Regen. Der 1986 geborene Mann ist für die Menschen, denen ich mich angeschlossen habe, großes Vorbild. Organisiert hat sich die Gruppe vor der Abreise via soziale Medien, und der Transport ihrer Fahrräder über den großen Teich schlug lediglich mit einhundert Dollar Aufpreis aufs Flugticket zu Buche. Tagsüber teilen sie sich in Dreier- oder Vierergruppen auf – je nach Fitnesslevel. Eine Gruppengröße von sieben Sportlern ist schon eine Ausnahme. Nur für die Nacht sind die Crews größer: Die aktuell 20 Radler splitten sich zur Hälfte, sodass sie in Zehnergruppen zelten können, überwiegend wild. Bei Arbeit und Unterschlupf auf Höfen und ähnlichem kommen dann alle zusammen und verbringen die Nächte in großen Räumen. Ihr Zeitplan ist straffer als meiner, bereits Ende Juli wollen sie am Schwarzen Meer sein, eine knappe Woche vor mir, was ihr Tempo erklärt. Meine Wohlfühlgeschwindigkeit ist etwas langsamer als ihre, außerdem suche ich stets nach dem schönsten beschilderten Radweg, während meine Gesprächspartner sich von Google Maps auch mal direkt über eine Landstraße von Dorf zu Dorf schicken lassen. Da sie genau das gerade vorhaben und ich mir nach 50 Kilometern eine erste Pause verdient habe, klinke ich mich aus.
Mohnpracht
Mit meinem neuen Grundnahrungsmittel, Keksen, sitze ich am Fluss Saône und beobachte einen – vorsichtig ausgedrückt – fülligen Angler, welcher einen dicken Karpfen aus dem Wasser zieht. Ein paar Stücke frisches Baguette und zart schmelzender Camembert bereichern meine Rast. Hier in der Heimat des Käses schmeckt selbst die simple Supermarktvariante cremig und würzig. Die Backwaren, egal, ob süß oder eben in länglicher Form, sind ausnahmslos schmackhaft. Gern halte ich in kleinen Dörfern an winzigen Bäckereien und versorge mich mit Energie, erfreue Bäckersmann und -frau mit meinem deutschen Akzent, der sich unverkennbar in mein Französisch mischt. Ich lasse es ganz sicher entspannter angehen als die Green Riders, auch wenn ich täglich Notizen anfertige, Fotos sichte und ein paar anderen Dingen nachgehe, die mich als Reisejournalistin auf dieser Tour begleiten. Meine Bewunderung gilt diesen engagierten jungen Menschen, die ihre „Ruhetage“ dazu nutzen, ehrenamtlich aktiv zu sein und körperlich zu arbeiten. Ich wünsche ihnen, dass sie mit ihrer Tour die gewünschte Aufmerksamkeit erzielen und pünktlich am Schwarzen Meer ankommen.
Auf dem Weg nach Besançon
An einem Kanal entlang trägt mich Fidibus durch das nasse Frankreich, wobei ich mir hin und wieder kurze Abschnitte mit Gleichgesinnten teile. Meistens folge ich beim Treten und Pausieren jedoch lieber meinem eigenen Rhythmus. Ich mag es, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Oft drehen sich diese beim Treten nicht selten um die nächste Mahlzeit. Das ist zwar wenig spektakulär, aber als Kontrast zum vielseitigen und mitunter aufregenden heimischen Arbeitsalltag ganz angenehm.
Verregnete graue Stadt Besançon
An Orten, deren Namen wohlklingen, Rochefort-sur-Nenon und Orchamps, folge ich dem Rhein-Rhône-Kanal, bis der Fluss Le Doubs mein Begleiter nach Besançon wird. Der Ort hat es sich in einer Schleife des Gewässers bequem gemacht und gilt als grünste Stadt Frankreichs. Ich erreiche sie bei strömendem Regen. Das Flusstal, welches ich zuvor passiert habe, hat vom Wetter ja noch profitiert, sah es während einer kleinen Wolkenlücke doch sehr ansehnlich aus, mit weiten saftigen Rasenflächen zwischen dicht bewaldeten Hügeln … Aber hier in der Stadt, in der ich mir nur zitternd schiebend ein, zwei Gässchen anschaue, wird lediglich eine Erinnerung bleiben: grau. Vom natürlichen Wachstum, was der Regen zu verursachen vermag, sehe ich in den Straßen, über denen triefende Wolken hängen, nämlich nichts.
Plötzlich mache ich vor meiner Nase zwei gelbe Westen mit Unterschriften aus. Ich gebe sofort Gas und schließe jubelnd zu Didier und Claudine auf. Ja, ich habe sie wieder – und das trotz meiner kurzen Etappe nach Chalon-sur-Saône! Sie freuen sich genauso wie ich und wir erzählen einander von den geleisteten Etappen und den in der Zwischenzeit gemachten Erfahrungen und Menschen, die wir trafen. Die beiden haben eine Handvoll Reisende kennenlernt, was sie mir kurz berichten, bevor Claudine schnell anfügt: „Aber mit niemandem von denen war es wie mit dir.“ Wir lachen und ich gebe das Kompliment überschwänglich zurück. Mit ihnen teile ich auch gern einmal länger meinen Weg.
Wegen des nassen Wetters versuchen wir uns nicht zu ärgern, können wir es doch sowieso nicht ändern, übrigens auch ein Grund, weshalb sie und ich nie die Wettervorhersage checken. Uns ist klar, dass auf einer solch langen Reise Regentage dabei sein müssen. Vor der Tour hatte ich gedacht, es würde mich mehr stören, im Nassen zu fahren, aber ich weiß um die Qualität meiner Kleidung und meines Hilleberg-Zeltes, sodass es mir alles in allem wenig ausmacht, wenn sich die Wolken ausweinen.