Im Bann der bitteren Blätter. Manfred Eisner

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Im Bann der bitteren Blätter - Manfred Eisner страница 4

Im Bann der bitteren Blätter - Manfred Eisner

Скачать книгу

Tages bemerkte Ralph das attraktive Mädchen, das ihm anscheinend zufällig, aber zunehmend öfter hier und dort begegnete, manches Mal auf seinem Radweg zum und zurück vom Unterricht, gelegentlich am Lübecker Bahnhof oder auch in der Mensa. Irgendwann begannen sie sich im Vorbeigehen zu grüßen. Eines Tages, beim Mittagessen, trat Habiba an Ralphs Tisch und fragte mit einem verführerischen Lächeln: „Ist hier noch frei?“ Sie kamen ins Gespräch, trafen sich bald häufiger, gingen zusammen aus, wurden vertrauter im Umgang miteinander. Und schließlich verführte Habiba den ahnungslosen Ralph zunächst sexuell, aber kurz darauf auch zum erneuten Kokainkonsum.

       ***

      Vollkommen entnervt und geschockt, weil der Bruder weder auf ihre verzweifelten Rufe noch auf das laute Trommeln an der Toilettentür reagiert, versucht Melanie zunächst, den Hausmeister herbeizurufen. Dieser ist aber offensichtlich nicht in seiner Wohnung. Dann wählt sie hektisch die 112 und alarmiert die Feuerwehr.

      „Hier Melanie Westphal. Ich benötige dringend Hilfe. Mein Bruder hat sich im Büro in der Toilette eingeschlossen und antwortet nicht. Ich habe Angst, dass er sich etwas angetan hat. Bitte kommen Sie sofort, bitte, bitte!“ Auf Rückfrage der Stimme am Nottelefon nennt sie die Anschrift. Keine fünf Minuten später kündigt sich mit lautem Martinshorn der Rettungsdienst an. Melanie blickt aus dem Fenster und beobachtet mit Erleichterung die Feuerwehrleute und das Notarztteam, die jetzt zum Gebäudeeingang eilen. Als sie ihnen die Tür zum Büroraum öffnet, kommen sie bereits die Treppe hoch. Wortlos deutet sie dem ersten Feuerwehrmann die Richtung zur Herrentoilette. Da das erneute Rufen und Klopfen ebenfalls wirkungslos ist, setzt einer der Männer eine kleine Ramme an das Türschloss und stößt zu. Mit lautem Krachen spaltet sich das Holz. Als man danach versucht, die Tür zu öffnen, hindert sie ein schwerer Gegenstand, der nur mit vereintem Kräfteaufwand beiseitegeschoben werden kann.

      Einer der Sanitäter stützt die verzweifelt schluchzende Melanie und führt sie weg, um ihr den Anblick des leblosen Körpers ihres Bruders zu ersparen. Langsam bringt er sie zu einem der entfernteren Schreibtische und schiebt ihr gerade noch rechtzeitig einen Stuhl unter, bevor sie kraftlos zusammensackt. Die sofort eingeleiteten Reanimierungsversuche sind vergebens. Traurig schüttelt der Notarzt nach einigen Minuten den Kopf. „Exitus. Wir sind leider zu spät gekommen!“ Einsatzleiter Meno Hansen telefoniert mit der Kriminalpolizei und berichtet kurz über das Vorgefallene.

      „Wir haben einen Toten!“, verkündet Kriminalhauptkommissar Harald Sierck, leitender Beamter der Kieler Bezirkskriminalinspektion Blumenstraße, seinen beiden Mitarbeitern, Oberkommissar Sascha Breiholz und Oberkommissarin Steffi Hink. Er überreicht ihnen einen Zettel mit der Anschrift des Tatorts. „Seht euch dort bitte um. Oberbrandmeister Meno Hansen rief soeben an und meldete den Fall. Es scheint sich um einen ‚goldenen Schuss‘ zu handeln, aber man weiß ja nie …“

      „Wer fährt?“, fragt Oberkommissar Breiholz seine Kollegin.

      „Darf ich?“, erwidert Oberkommissarin Hink mit einem Lächeln. Geschickt fängt sie den Autoschlüssel, den Oberkommissar Breiholz ihr über das Dach des VW Passat Kombi zuwirft, auf und setzt sich ans Steuer. „Ich weiß, wo es ist“, sagt sie, während sie den Motor startet und das Blaulicht einschaltet. Gelegentlich lässt sie auch kurz das Martinshorn ertönen, denn es ist schon fast Mittag und der Wochenendverkehr ist dichter geworden.

      Als sie wenig später die Treppe des Bürogebäudes emporsteigen, begegnen ihnen die Sargträger, die Ralphs Leichnam hinunterbringen. Oben empfängt sie der Chef des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Kiel, Prof. Dr. Christoff Klamm. Da der Pathologe gerade an einer Studie für die Landesregierung über den Drogenkonsum und seine Folgen arbeitet, hat er es sich nicht nehmen lassen, persönlich am Tatort zu erscheinen, um den Fall zu untersuchen.

      „Guten Tag, Herr Professor. Können Sie uns schon etwas sagen?“

      „Hallo, Frau Oberkommissarin, lange nicht gesehen, und auch Ihnen guten Tag, Breiholz. Ja, offensichtlicher Tod durch eine Überdosis Kokain. Allerdings ziemlich unübliche Umstände, behauptet doch die Schwester des Toten, dieser sei nach einer längeren Entwöhnungskur in der Schweiz clean gewesen und habe sich anschließend, so auch während der ganzen letzten Zeit, absolut unauffällig verhalten. Sie kann sich dieses Malheur überhaupt nicht erklären. Ich werde also den Fall näher untersuchen. Sobald ich den Leichnam seziert habe, gebe ich Ihnen Bescheid.“

      Sascha Breiholz unterhält sich zunächst mit Feuerwehr-Einsatzleiter Hansen und lässt sich alles genau berichten. Steffi Hink geht an den Schreibtisch zu Melanie Westphal, die vollkommen apathisch ins Leere blickt. Der Notarzt hat ihr eine Beruhigungstablette verabreicht. „Guten Tag, Frau Westphal, ich bin Oberkommissarin Steffi Hink, Bezirkskriminalinspektion Kiel. Das da vorn ist mein Kollege, Oberkommissar Breiholz.“ Sie deutet auf Sascha, der inzwischen hinzugekommen ist. „Gemeinsam ermitteln wir im Todesfall Ihres Bruders – Ralph, nicht wahr? Zunächst unser allerherzlichstes Beileid zu diesem tragischen Vorfall.“

      Professor Klamm, die Feuerwehr und der Notarztwagen sind inzwischen abgefahren. Stattdessen sind die hinzugerufenen Mitarbeiter der Spurensicherung und zwei Streifenpolizisten anwesend.

      Sascha fragt: „Ich weiß, es muss furchtbar für Sie sein, aber wären Sie dennoch in der Lage, uns einige Fragen zu beantworten?“

      Melanie nickt.

      „Würden Sie uns bitte erzählen, was geschehen ist?“, sagt Steffi.

      Melanie berichtet ausführlich über die Vorgeschichte. „Ich kann mir einfach nicht erklären, wie es plötzlich zu diesem bösen Rückfall gekommen ist. Ralph hat sich doch absolut unauffällig verhalten, und ich bin sicher, ich hätte es bemerkt.“

      Lars Kruse, ein Mitarbeiter der Spurensicherungsmannschaft, erscheint in seiner weißen Montur mit einem kleinen Plastikbeutel in der Hand. „Kokain, kein Zweifel, anscheinend sehr rein. Geht ins Labor, okay?“

      Sascha nickt. „Haben Sie eine Ahnung, wo Ihr Bruder sich das Kokain beschafft haben könnte?“, fragt er Melanie.

      „Ich weiß es nicht, aber ich vermute, es kann nur in Lübeck gewesen sein, und zwar an der Fachhochschule. Dorthin ist Ralph täglich gefahren. Wer weiß, wem er dort alles begegnet ist.“

      Die beiden Oberkommissare sehen sich vielsagend an. „Wir müssen Waldi informieren“, sagt Steffi. Dann klärt sie Melanie auf: „Kommissar Walter Mohr ist unser Spezialist von der Drogenfahndung. Er wird sich um alles Weitere kümmern. Dürfen wir Sie jetzt nach Hause bringen?“

      „Vielen Dank, aber ich habe meinen Wagen in der Tiefgarage stehen.“

      „Sie sollten jetzt nicht selbst fahren, da Sie die Beruhigungstabletten genommen haben. Kommen Sie bitte mit.“ Saschas Tonfall lässt keine Widerrede zu. „Ach, mein Gott, ich muss ja noch die Eltern anrufen. Wie soll ich ihnen nur das Furchtbare erklären?“ Melanie verfällt wieder in Panik.

      Steffi versucht sie zu beruhigen: „Wann wollten sie denn zurückreisen?“

      „Am Mittwoch gegen Mittag. Ich soll sie am Hamburger Flughafen abholen. Oh Gott, oh Gott, was mache ich nur?“

      „Also, wenn Sie meine Meinung hören möchten“, sagt Sascha, „ist es wenig sinnvoll, Ihre Eltern schon jetzt mit der Todesnachricht Ihres Bruders in Aufruhr und Trauer zu versetzen. Es sind ja nur vier Tage bis zu ihrer geplanten Rückkehr. Viel früher könnten sie sowieso nicht zurückkommen, und damit wäre auch nichts gewonnen. Haben Sie eine gute Freundin oder einen Freund, der Sie zum Flughafen begleiten könnte? Allein sollten Sie keineswegs dorthin fahren.“

      Melanie

Скачать книгу