Im Bann der bitteren Blätter. Manfred Eisner
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Читать онлайн книгу Im Bann der bitteren Blätter - Manfred Eisner страница 8
„Sie denken an Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge? Ausschließen möchte ich dies nicht, es kann durchaus sein, dass jener, der diesem Verstorbenen eine derart hoch letal dosierte Droge vermittelt hat, in einer solchen Absicht gehandelt haben könnte.“ Prof. Dr. Klamm zuckt mit den Schultern. „Dürfte allerdings schwer zu beweisen sein, denke ich mal. Aber vielleicht hilft Ihnen dies ein wenig weiter: Uns ist noch etwas Wesentliches an der Kleidung des Toten aufgefallen: Er muss, wenn vielleicht nicht gerade am Tage seines Todes, dann zumindest am Vortage, Geschlechtsverkehr gehabt haben. Wir haben fremde DNA von seiner Kleidung isoliert, diese wird noch untersucht. Schriftlicher Bericht folgt auf dem Amtswege.“
Die drei Oberkommissare danken und verabschieden sich von dem Pathologen. Beim Herausgehen bemerkt Sascha Breiholz: „Und um nochmals auf deine Frage, liebe Nili, zurückzukommen: Wir müssten erst einmal den Übeltäter eindeutig ausmachen.“
„Ich befürchte auch, dass in diesem dubiosen Fall der Staatsanwalt die Akte mit dem Vermerk ‚Versehentliche Selbsttötung durch Drogenkonsum‘ schließen wird.“
Steffi Hink setzt fort: „Aber dies bedeutet keineswegs, dass wir nicht weiterhin mit allen verfügbaren Kräften nach der Pendlerdrogenbande fahnden, die wir auch hierfür verantwortlich halten. Kollege Waldi hat jedenfalls dank deines klugen Hinweises auf Ralph Westphals Fahrrad am Lübecker Bahnhof schon einen Kandidaten ins Visier genommen.“
Während sie zum Wagen gehen, bittet Steffi: „Nili, könntest du deine Freundin, Frau Westphal, fragen, ob ihr Bruder vielleicht eine weibliche Beziehung hatte? Ich meine, wegen der Einordnung der DNA, die Prof. Klamm soeben erwähnte.“
„Ich frage nach und lasse es euch wissen, okay?“ Nili fährt fort: „Ich danke euch. Übrigens, ich würde gern euren berühmten Waldi kennenlernen. Könnt ihr mir bitte seine Handynummer geben?“
***
Wenige Tage später sitzt Walter Mohr alias Waldi an einem Tisch im Restaurant des Lübecker Hauptbahnhofs vor dem halb vollen Glas Latte macchiato und zieht gelegentlich ganz in Gedanken versunken an seiner kalten Pfeife, während er, so scheint es, in die Lektüre der Lübecker Nachrichten vertieft ist. Dem uneingeweihten Beobachter erscheint der in einem edlen Harris Tweedanzug gekleidete stramme Vierziger mit seiner leicht ergrauten lockigen Haarmähne, der altmodischen vernickelten Brille und dem gepflegten Kinnbärtchen wohl eher wie ein Gelehrter als ein Zivilfahnder des Drogendezernats. Unauffällig, jedoch aufmerksam beobachtet er das ungleiche Paar, das in der Ecke des Lokals sitzt und sich angeregt unterhält. Der Mann, offensichtlich ein aus Afrika stammender schwarzer Migrant, redet eindringlich auf sein Gegenüber ein, eine recht hübsche und zierliche weibliche Person mit langem schwarzem Haar und orientalischen Zügen. Den Afrikaner hat er schon vor einigen Tagen am Hauptbahnhof ausgemacht, als dieser sich unbeobachtet glaubte und mit einer Klauenzange die Sicherungskette an Ralph Westphals Fahrrad durchtrennte, um sich danach geschwind auf diesem aus dem Staub zu machen. Anhand der von Waldi heimlich geschossenen Fotos hatte man den Fahrraddieb mit Hilfe der Ausländerbehörde als den dort registrierten Asylantragsteller Mustafa Mbili, 23 Jahre alt, aus Uganda stammend, identifiziert, der sich gelegentlich und meist heimlich, da unerlaubt, als Sonnenbrillen- und Billigschmuckverkäufer in der Stadt herumtrieb und dabei schon einige Male aufgegriffen worden war. Dagegen ist es den Behörden bisher nicht gelungen, die Identität seiner gelegentlich mit ihm beobachteten Begleiterin auszumachen, weil die von ihnen gemachten Fotos zu keinem Ergebnis führten.
Nachdem Mbili gezahlt hat, brechen die beiden auf. Unauffällig werden sie von einem Zivilfahnder, der am Zeitungsstand gewartet hat, bis zu dem Bahnsteig verfolgt, von dem aus in wenigen Minuten der Pendlerzug nach Kiel abfahren wird. Nach einem kurzen Blick auf die Armbanduhr trinkt Waldi seinen Milchkaffee aus und legt ein paar Euromünzen auf den Tisch. Dann steckt er die Pfeife in die Tasche, faltet seine Zeitung zusammen und schlendert gemächlich aus dem Restaurant in die gleiche Richtung wie seine beiden Vorgänger. Zahlreiche jugendliche Gymnasiasten und Studenten warten inzwischen am Bahnsteig auf die Einfahrt des Zuges. Als dieser kurz drauf zum Stillstand kommt, huschen sie eiligst durch die Waggontüren auf der Suche nach ihren bevorzugten Sitzplätzen. Mit Blickkontakt zum Kollegen, der am Zuganfang einsteigt, geht Waldi gemächlich bis zum letzten Waggon, nachdem er sich vergewissert hat, dass sowohl der Afrikaner als auch seine Begleiterin in getrennte Zugabteile eingestiegen sind. Unauffällig setzt er sich in die hinterste Abteilreihe und bemerkt sogleich sehr zufrieden, dass der kahlköpfige und berüchtigte Dealer Drogenmatti soeben an ihm vorbeikommt und in den nächsten Waggon weitergeht. Ihm folgt auf dem Fuß ein Waldi bisher unbekannter dunkelhaariger Mann mittleren Alters, sehr dünn und von kleinerer Statur. Als sich der Zug in Bewegung setzt und aus dem Bahnhof fährt, greift Waldi in die Jackentasche, holt sein Handy heraus und sendet eine vorbereitete SMS. Dann wählt er eine Nummer und spricht rasch einige kurze Worte in den Apparat. Schließlich beobachtet er befriedigt, dass die Antennenanzeige auf seinem Display verschwindet und kein verfügbares Netz mehr angezeigt wird.
„So ’ne Scheiße!“, lässt ein frustrierter Tablet-User verlauten, als nahezu gleichzeitig sein Bild einfriert und dann die Ankündigung „Sie sind mit keinem Netzwerk verbunden“ auf dem Display erscheint. Noch bevor der Zug an der nächsten Haltestelle in Bad Schwartau ankommt, quietschen plötzlich die Bremsen und er hält abrupt auf offener Strecke. Als wären sie vom Himmel herabgefallen, postieren sich schwer bewaffnete Polizisten des Sondereinsatzkommandos an sämtlichen Waggontüren. Eine Stimme ertönt durch die Lautsprecher: „Achtung, Achtung. Hier spricht die Polizei. Dies ist eine Personenkontrolle. Bitte bewahren Sie Ruhe und bleiben Sie unbedingt auf Ihren Plätzen sitzen. Halten Sie Ihre Fahrkarten und Ausweispapiere zur Kontrolle durch unsere Beamten bereit. Ich wiederhole.“ Eine weibliche Stimme wiederholt die Ansage nun auch in englischer und französischer Sprache. Je drei Beamte in schusssicheren Westen mit der weißen Aufschrift „POLIZEI“ kommen in jeden Waggon, der jeweils erste mit einer Maschinenpistole im Anschlag. Die beiden anderen kontrollieren die Ausweise der Reisenden. Ihnen folgt ein Kontrolleur der Deutschen Bahn, der die Fahrkarten überprüft. Diejenigen Personen, die sich nicht ausweisen oder keinen gültigen Fahrausweis vorweisen können – und es sind einige davon betroffen –, werden höflich, aber bestimmt gebeten, zur vorderen Waggonplattform zu gehen. Dort verlassen die Schwarzfahrer den Zug durch die linke Tür und werden in einem improvisierten, auf dem Nebengleis stehenden Bürowaggon registriert. Jene, die sich nicht ausweisen können, verlassen den Zug durch die rechte Waggontür. Letztere, davon einige bereits in Handschellen, steigen in die neben dem Gleis stehenden Polizeibusse und werden unter scharfer Bewachung ins Polizeipräsidium nach Kiel gebracht. Die ganze Operation hat keine zehn Minuten gedauert und der Zug kann schließlich seine Fahrt fortsetzen. Mit Genugtuung beobachtet Waldi von seinem Fenster aus, dass sich alle „seine“ Zielpersonen unter den Abgeführten befinden. Während der Aktion ist er auf seinem Platz sitzen geblieben. Als er sieht, dass sein Handy wieder am Netz ist, wählt er erneut eine Nummer an. „Hat alles wie am Schnürchen geklappt, diesmal haben wir die schrägen Vögel im Käfig!“
Als der Zug im Bad Schwartauer Bahnhof anhält, steigt er aus und schlendert zum Parkplatz, wo sein unauffälliger alter Variant Kombi schon seit einigen Stunden geduldig auf ihn wartet. Belustigt steckt er das Knöllchen, das ihm unter dem Scheibenwischer im Wind entgegenflattert, in die Tasche. „Geht auf Geschäftsspesen“, ulkt er und fährt los.
3. Wochenende
Hauptkommissar Boie Hansen ruft alle Mitarbeiter seiner Dienststelle in Oldenmoor zusammen. Er hat den Lautsprecher seines Telefons auf volle Lautstärke gestellt, denn Waldi Mohr ist gerade an der Strippe und berichtet ausführlich von der gestrigen so erfolgreich abgelaufenen Aktion: „Also, liebe Kollegen, Ihr ahnt ja gar nicht, wer uns da alles ins Netz geraten ist. Aufgrund eures wertvollen Hinweises auf den letzten Standort von Ralph Westphals Fahrrad hatten wir dieses Tag und Nacht observiert. Nachdem es tatsächlich von einem der Bandenmitglieder