Im Bann der bitteren Blätter. Manfred Eisner
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Boie Hansen legt auf. „’ne ganze Menge auf einmal!“, meint er trocken.
Dann herrscht für eine kurze Weile betretene Stille im Raum, alle denken erst einmal über die Informationsflut nach, die soeben über sie hereingebrochen ist.
Das schrille Läuten des Telefons lässt sie aufhorchen. Auf ein Kopfzeichen Boie Hansens geht Hauke an den Apparat. „Polizeikommissariat Oldenmoor, Oberkommissar Steffens, wie kann ich Ihnen helfen?“
„Moin! Hier spricht Oberbrandmeister Per Petersen von der Feuerwehr Leitstelle Elmshorn. Wie ihr ja wisst, hatten wir in der vorigen Woche im Kreis Steinburg, ganz in der Nähe von Oldenmoor, einen Feuereinsatz. Ein Autofahrer entdeckte von der B5 aus eine große Rauchfahne und alarmierte uns. Es handelte sich um einen ziemlich abseits und allein stehenden Bauernhof in einer Abzweigung von eurer Kommunalstraße 17. Der Brand wurde zwar gelöscht, aber die Kate und der angrenzende Stall brannten total nieder und stürzten ein. Die zwei Kühe und ein Kalb waren glücklicherweise auf der Weide, aber die beiden Bewohnerinnen waren wohl nicht anwesend, wenigstens dachten dies die sich im Einsatz befindlichen Feuerwehrkollegen. Man vermutete zwar Brandstiftung, aber Kripo und Spusi waren mit anderen wichtigen Einsätzen beschäftigt und kamen deswegen erst heute hinzu, gerade als wir dabei waren, die Ruinenreste mit Hilfe eines Baggers abzuräumen. Dabei wurden in den Trümmern des Kellers zwei völlig verkohlte Leichen gefunden. Da die ganze Bude durch das Feuer zusammengebrochen war, konnten wir nicht schon früher herankommen. Macht euch mal schön auf die Socken, liebe Kollegen. Die Kripo in Itzehoe habe ich auch schon informiert. Schönen Tag noch!“
„Ich weiß, wo das ist!“ Willi Seifert greift nach seinem Motorradhelm und eilt hinaus, gefolgt von Hauke und Nili. Nach kurzer Fahrt erreichen sie den Tatort. Dort tummeln sich bereits die Itzehoer Kollegen und die Mannschaft der Spurensicherung. Einsatzleiter vor Ort ist Kriminaloberrat Heinrich Stöver, ein etwas korpulenter Endfünfziger, in Wintermantel, Schal und Pudelmütze eingehüllt. Der offensichtlich recht erkältete Kripochef treibt mit heiserer Stimme und äußerst missgelaunt seine Mannschaft an. „Macht hinne, Leute, ich muss mir hier in dieser feuchten Kälte doch nicht noch die Beine erfrieren und den Tod holen! Habt ihr wenigstens schon was Brauchbares?“
Als sie sich dem Trümmerhaufen nähern, begrüßt sie Staatsanwalt Uwe Pepperkorn mit einem breiten Grinsen. „Hein Gröhl ist stark verschnupft und heute wieder in Hochform“, bemerkt er, während er ihnen freundlich die Hand schüttelt. „Wir können erst an den Fundort der Leichen heran, wenn die Spusi und der Doktor damit durch sind. Warten wir also lieber im Einsatzwagen, bis es so weit ist. Hier draußen ist es zu ungemütlich.“ Pepperkorn ist, anders als viele seiner Kollegen, ein jovialer und netter Jurist, der den Mitarbeitern der Polizei eher freundliche Achtung als Geringschätzung und harsche Kritik für ihre doch nicht allzu leichte Arbeit entgegenbringt, auch wenn diese nicht immer so erfolgreich verläuft, wie er es sich erhofft. Nachsichtig sieht er über so manchen Fehler hinweg, toleriert es jedoch keineswegs, sollte dessen Wiederholung aus Nachlässigkeit oder Schlampigkeit erfolgen. „Fehler erkannt, Wiederholung gebannt!“, ist seine Devise, gegen die man besser nicht verstoßen sollte, denn dann kommt ein ganz anderer Pepperkorn zum Vorschein.
Laut keuchend öffnet Kriminaloberrat Stöver die Schiebetür des Einsatzwagens und steigt ein. „Gemütlich macht man es sich hier beim Tee, während wir uns draußen in der Kälte mit den Leichen herumschlagen müssen!“
„Mensch, Stöver, hören Sie auf zu rüffeln! Wir hier können ja nichts für Ihren Schnupfen. Also, was gibt’s?“ Kriminaloberrat Stöver ist pikiert und muss erst einmal seine angelaufene Brille putzen, um sich wieder Durchblick zu verschaffen. Pepperkorn gießt ihm inzwischen versöhnlich aus seiner Thermoskanne Tee in einen Plastikbecher. „Hier, nehmen Sie erst einmal einen heißen Trunk.“
Stöver nimmt einen Schluck. „Also, die Spusi ist durch, jetzt sind die Pathologen dran. Ihr könnt in den Keller, wenn ihr wollt. Viel ist da allerdings nicht zu sehen, meine ich. Natürlich außer den beiden vollkommen verkohlten Frauen. Wie bereits vermutet, handelt es sich wohl um die Bewohnerinnen des Hauses, die Mutter Karin Vogt, achtzig Jahre alt, und ihre dreiundfünfzigjährige Tochter Regina. Was von denen noch übrig ist, wird nach Kiel zur Obduktion gebracht, damit die Identifizierung auch amtlich ist. Wie wir von den ziemlich entfernt wohnenden Hofnachbarn erfahren konnten, sind die beiden Frauen vor etwa acht Jahren aus Wilster in diesen Resthof eingezogen, nachdem Bauer Andreas Kruse seine Landwirtschaft aufgab und die Ländereien an die angrenzenden Kollegen verpachtete. Viel mehr konnte man nicht erfahren. Nur ab und zu sah man die Jüngere mit ihrem Fahrrad ins Dorf fahren, wo sie im kleinen Supermarkt einkaufte. Ansonsten lebten die beiden Frauen vollkommen zurückgezogen.“ Er trinkt den Teebecher leer und schnäuzt sich geräuschvoll in ein Papiertaschentuch.
„Danke, Herr Kriminaloberrat Stöver“, meint Nili mit einem freundlichen Blick zu dem gestressten Beamten. Sie nickt Pepperkorn zu. „Wir gehen jetzt wohl erst einmal selbst in den Keller, um uns umzusehen, wenn Sie nichts dagegen haben.“
„Ist schon okay, gehen Sie nur.“
Nili, Willi und Hauke trotten hinüber zur Bauernhofruine, von der nur noch zwei halbhohe Ziegelmauerreste stehen. Willi bemerkt trocken: „Den Anblick der beiden verbrutzelten Damen muss ich mir doch nicht antun, oder? Ich sehe gerade, eine Spusigestalt geht just in Richtung der dort hinten gelegenen Scheune. Wenn ihr nichts dagegen habt, schaue ich mich mal lieber dort um, okay?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, spurtet Willi in die angekündigte Richtung.
Hauke