Im Bann der bitteren Blätter. Manfred Eisner

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Im Bann der bitteren Blätter - Manfred Eisner

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denn, auch gut, wenn du nicht reden willst! Dein Pech ist allerdings, dass wir es schon längst wissen!“ Nili wirft einen kurzen Blick auf ein Fax, auf dem auch ein Foto ihres Gegenübers zu erkennen ist. „Du bist also Francisco José Villegas, geboren in Cali, Colombia, am 24. Dezember 1982, bei deinen intimen Amigos besser bekannt als Paco-Pepe. Diesmal aber gelang es uns durch einen riesen Zufall, jenen allseitig gesuchten, berüchtigten Transportstrategen und einfallsreichen Organisator für den Versand und Kokainhandel in Europa zu fangen. In deinen Kreisen wirst du nicht zuletzt auch ‚El Genio‘5 genannt, weil du trotz beharrlicher Verfolgung immer wieder wie ein Geist entkommen bist und dich wie in Rauch aufgelöst hast. Du bist also jenes sagenhafte Phantom, das uns endlich ins Netz gegangen ist. Wie in Aladins Märchen geschehen, wird nun dieser Geist in eine Flasche mit dichtem Korken gesteckt, aus der er für sehr, sehr lange Zeit nicht mehr entkommen kann! Wunderst dich wohl, Don Paco-Pepe, woher wir das alles wissen? Nun, die spanischen Kollegen haben in deiner Koje auf der Meguem so viel aufschlussreiches Material, darunter auch deinen richtigen Pass, gefunden. Dies alles reicht bei uns, um dich für mindestens fünfzehn Jahre ins Kittchen zu stecken, vielleicht aber schieben wir dich schon nach drei Jahren in die USA ab, wo dir weitere fünfzig oder sechzig Jahre blühen, weil die Amis ja ganz besonders scharf auf dich sind. Oder vielleicht doch lieber nach Kolumbien? Was dich dort erwarten mag, kannst du dir selbst am besten ausmalen!“

      Villegas gibt sich noch immer ungerührt. Nili steht vom Vernehmungstisch auf und macht eine Geste in Richtung Hauke. „Komm, wir gehen! Ciao, du Genie Paco-Pepe. Süße Träume!“ Bevor Nili dazu kommt, an die Tür zu klopfen, um aus dem verschlossenen Sicherheitsraum herausgelassen zu werden, verlautet es sehr leise: „Un momentito, por favor, Señorita Comisaria!“

       Als hätte er sich plötzlich verwandelt, sprudelte es geradezu aus Villegas heraus, so als wollte er jetzt mit einem Mal seine gesamte Last an Missetaten loswerden. Ich gebot ihm kurz Halt und schaltete den Bandrecorder ein, um seine allumfassende Beichte festzuhalten. Er sprach zweieinhalb Stunden ohne Pause und ich brauchte danach fast zwei ganze Tage, um seine Aussage ins Deutsche zu übersetzen. Er gestand so ziemlich alles, was wir schon, und noch vieles mehr, das wir bisher nicht wussten. Dennoch hatte ich irgendwie so ein Gefühl, er halte eine ganz besonders wichtige Information zurück, die er keineswegs preisgeben wolle. Nachdem wir mit ihm fertig waren und seine Aussage fein säuberlich in beiden Sprachen nebeneinander protokolliert war, unterschrieb er sie, wobei er mich zum ersten Mal sonderbar anlächelte. Am nächsten Tag nahmen wir uns dann das Mädchen vor.

      „Wie wollen wir uns unterhalten, Frau Massud? Auf Deutsch? Do you speak English? At medaberet Iwrith? Oder wollen Sie lieber eine arabische Dolmetscherin?“ Mit einiger Sympathie betrachtet Nili die verschüchterte junge Frau, die ihr am Vernehmungstisch in einem Jogginganzug gegenübersitzt. Die Kieler Kollegin Steffi Hink hält sich unauffällig im Hintergrund. „Deutsch is okay, so weit ich kann“, antwortet Habiba kleinlaut. Dann fragt sie plötzlich auf Iwrith: „Wieso sprichst du Iwrith? Bist du Jüdin?“

      „Ja, ich bin in einem Kibutz in Israel geboren, ich heiße Nili. Und du, wo kommst du her?“

      Nach einer kurzen Pause antwortet Habiba mit sehr lauter Stimme: „Ich komme ursprünglich aus Ramallah. Ich habe dort bis zur Intifada gewohnt, bis deine Polizisten meine beiden Eltern erschossen haben!“ Ihre Stimme ist voller Hass.

      Mit leiser Stimme antwortet Nili: „Und ich habe am Fuße der Golanhöhen gelebt, bis deine PLO-Banditen zuerst meinen kleinen Bruder ermordet – er war erst ein Jahr alt – und später auch meinen Vater im Jom-Kippur-Krieg getötet haben. Sind wir also quitt?“

      Für eine Weile herrscht Stille im Raum.

      „Was kannst du mir über Ralph Westphal erzählen, den hast du doch gut gekannt?“

      Bei der Erwähnung von Ralphs Namen zuckt Habiba Massud zusammen und fängt an zu schluchzen. „Ich habe ihn geliebt, habe ihn wirklich so sehr gern gehabt, das musst du mir glauben!“

      Nili schiebt ihr eine Packung Papiertaschentücher hin. „Wo hast du ihn kennengelernt?“

      „Im Zug, auf der Fahrt von Lübeck nach Kiel. Da hat uns, also dem Mustafa und mir, der Matti angedeutet, an wen wir uns heranmachen sollten, um erst einmal Kontakt aufzunehmen. Dann habe ich mich mit Ralph ab und zu getroffen und wir sind uns nähergekommen.“

      Ein erneuter Weinkrampf schüttelt sie. „Ich wollte doch nicht, dass er stirbt, ich habe wirklich nicht gewusst, dass der Matti mir das Briefchen mit reinem Kokain untergeschoben hat, das schwöre ich bei allen Heiligen! Ich habe ihn sehr gemocht, wir hatten so schöne Stunden miteinander. Er war für mich der erste Mensch seit dem Tod meiner Familie, dem ich so nah war. Er war sehr gut zu mir, ich hätte so etwas niemals getan!“

      „Du bist also keine Muslima, Habiba?“

      „Nein, wir sind maronitische Christen, aber ich mache mir gar nicht viel aus der Religion. Schau doch, Nili, was bei uns zu Hause los ist! Moslems morden Juden und Christen, diese wiederum erschießen Juden und Moslems, und ihr Juden tötet Christliche und muslimische Palästinenser! Das alles im sogenannten Heiligen Land und im ehrwürdigen Namen Allahs, Jesus und weiß der Teufel, wie euer jüdischer Gott sich nennt!“

      „Du hast wohl in diesem Punkt nicht ganz unrecht, Habiba, auch ich bin deswegen seit jeher konfessionslos.“ Nach einer Pause setzt Nili nach: „Was glaubst du, warum hat Matti dir eine tödliche Dosis Kokain für Ralph zugesteckt? Kann es ein Irrtum gewesen sein oder glaubst du, er hat es mit Absicht getan?“

      Habiba antwortet nicht gleich. „Er darf niemals erfahren, dass ich das überhaupt gesagt habe, er würde mich von dem Russen erschießen lassen!“

      „Du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen, Habiba, die gesamte Bande verschwindet mit Sicherheit für viele Jahre hinter Gittern.“

      „Ach, Nili, du ahnst ja nicht, wie dieses ganze Spinnenwerk organsiert ist. Da sind noch so viele andere, die ich auch nicht kenne, aber ich weiß ganz genau, dass es sie gibt!“

      Es ist wohl wie die Hydra der griechischen Mythologie, denkt Nili im Stillen. Schlägst du dem Ungeheuer einen Kopf ab, wachsen ihm drei neue nach! Da schafft es heute auch kein Herakles mehr, sie zu besiegen.

      „Also Irrtum oder Absicht?“

      „Von Anfang an, als ich zur Bande stieß, war der Matti scharf auf mich. Er versuchte einige Male, mir an die Wäsche zu gehen. Ich möchte diesen widerlichen Kerl nicht, habe mich auch dagegen gewehrt, aber er war nun mal der Boss und ich hatte keine andere Möglichkeit, als mich in seiner Gang einzuordnen, weil ich doch hier illegal war. Er hat vielleicht mitgekriegt, dass ich etwas mit Ralph angefangen hatte, und war eifersüchtig, kann sein. Als ich dann Nachschub holte, gab er mir jenes Briefchen mit dem ausdrücklichen Hinweis, er sei nur für Ralph bestimmt. ‚Für niemand anderen, verstehst du, Habiba?‘, hat er betont. Also ja, ich muss deshalb glauben, dass er es mit Absicht getan hat!“

      „Wärst du bereit, dies auch vor Gericht auszusagen?“, fragt Nili mit einem vielsagenden Blick in die Kamera in der Ecke des Verhörraumes, die diese Vernehmung unauffällig in den Monitorraum überträgt, wo sie aufgezeichnet wird.

      Habiba ist unsicher und fragt: „Wie könnt ihr mich denn schützen und was passiert jetzt mit mir? Werde ich angeklagt und verurteilt und muss ins Gefängnis? Ich bin doch unschuldig an Ralphs Tod! Oder werde ich einfach abgeschoben – was wird aus mir?“

      „Ich werde für dich bei unserem Oberstaatsanwalt ein gutes Wort einlegen, Habiba. Wenn du bereit bist, all dies, was du mir jetzt erzählt hast, bei der Gerichtsverhandlung gegenüber dem Richter zu wiederholen, bin ich

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