Im Bann der bitteren Blätter. Manfred Eisner
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Читать онлайн книгу Im Bann der bitteren Blätter - Manfred Eisner страница 15
„Ich hätte da eine Idee, Herr Oberstaatsanwalt: Meine Mutter bewirtschaftet in Oldenmoor einen größeren Geflügelhof und könnte sehr gut eine Helferin gebrauchen. Auch sie spricht perfekt Iwrith. Wir könnten sie als Bewährungshelferin gewinnen. Und meine Oma, obwohl schon 96 Jahre alt, war Lehrerin und würde Habiba sicherlich gern die deutsche Sprache beibringen, wenn ich sie darum bitte.“
Er könne mir jetzt nichts versprechen, man müsse zunächst einmal das Ergebnis der Gerichtsverhandlung abwarten. Jedenfalls hielt er meine Vorschläge für akzeptabel, man werde sehen. Auch er habe noch ein besonderes Anliegen an mich, er käme aber erst in Kürze darauf zurück, sobald es spruchreif sei. Um was es sich dabei genau handelt, wollte er mir jetzt noch nicht verraten. Danach fuhr ich nicht mit meinen Kollegen zurück nach Oldenmoor, sondern ließ mich vor Melanie Westphals Haus absetzen und konnte ihr und ihren Eltern alles umfassend berichten.
Tage später findet in aller Stille die Beisetzung von Ralph Westphals sterblichen Resten auf dem Urnenfriedhof am Eichhof statt. Außer den engsten Familienmitgliedern sind nur Nili und Walter Mohr anwesend. Nachdem die Urne in der Erde versenkt wurde und die Trauernden den Eltern und der Schwester noch einmal die Hände gedrückt haben, gehen sie gemächlich auseinander. Auf ein Trauermahl hat man absichtlich verzichtet.
Als Nili gedankenversunken neben Waldi zum Auto geht, fasst er sie plötzlich an der Hand und zeigt mit dem Kopf in Richtung einer nahe gelegenen, dichten Hecke. Schemenhaft dahinter verborgen kann sie Habiba Massud ausmachen, die zwischen zwei Justizbeamten in Zivil schluchzend das verweinte Gesicht mit ihren Händen bedeckt, die beidseitig an ihre Bewacher gefesselt sind.
5. Strukturreform
Nach den vorangegangenen sehr turbulenten und ereignisreichen Wochen ist im meist verträumten Idyll Oldenmoors wieder jene an Langeweile grenzende Ruhe eingekehrt, die den kleineren Städten im norddeutschen Flachland so eigen ist, diese aber deswegen nicht weniger liebenswert und charmant macht. Die braven Leute gehen ihrem gemütlichen, gewohnten Alltag nach. Auch die kriminellen Handlungen befinden sich wieder auf einem niedrigen Niveau. Hier mal ein gestohlenes Fahrrad, dort der Einbruch im Casino des Sportvereins, bei dem einem der Täter das Portmonee mit seinem Führerschein aus der Tasche fiel, sodass beide Ganoven schon am nächsten Tag dingfest gemacht werden konnten. Hüben eine Prügelei zwischen zwei angetrunkenen Zechern in einer der Dorfkneipen, drüben ein Verkehrsunfall mit Fahrerflucht, bei dem der drogensüchtige Verursacher noch am selben Abend in seinem Bett verhaftet werden konnte. Viel Schwerwiegenderes jedoch verursacht seit zwei Monaten Unruhe und böse Ahnungen beim Dienststellenleiter Kriminaloberkommissar Boie Hansen. Aufgeschreckt von den vom Bundestag und der Bundesregierung in Berlin ausgesprochenen Mahnungen zum Sparen und zur Schuldenminderung in der Haushaltsführung, machen nun auch das Landesparlament und der Rechnungshof gemeinsam Druck auf die Regierenden in Kiel, ihren Haushalt endlich auszugleichen, also so bald wie möglich das zu tun, was übrigens ebenso für jeden braven Bürger gilt, nämlich nicht mehr auszugeben, als sie voraussichtlich einnehmen werden. Also müssen alle Mitglieder des Kabinetts – so auch der Innenminister – sich darauf einstellen, in den nächsten Jahren mit erheblichen Etatkürzungen zu leben, aber trotzdem funktionieren zu müssen. Dies betrifft schmerzlich alle öffentlichen Einrichtungen und Dienststellen, so auch die Landespolizei, die jetzt vom Innenminister eine Strukturreform verordnet bekommen hat.
„So’n Shiet aber ock! Bedüht toon End, mannig mehr Arbeit för weniger Lüüt!“, stöhnt Hansen laut vor sich hin beim Lesen dessen, was ihm heute die interne Post aus dem Ministerium auf dem Dienstwege beschert. Polizeimeister Willi Seifert sitzt am Schreibtisch der Telefonzentrale. Im Hintergrund ist ganz leise gelegentlich der monotone Wortwechsel des Polizeifunks zu hören. „Wat is’n los, Chef?“
„Mannomannomann! Is tom rammdösig warn, all dat, wat heer unser Dienstherr mit sien pupsigen Strukturreform uns da verklamüstern deit!“
„Ach so, Chef, ich habe auch schon etwas darüber in der Zeitung gelesen, aber ist es denn so schlimm?“
Wortlos reicht Hansen seinem Mitarbeiter den zehn Seiten langen Text. Dieser liest ihn sehr aufmerksam durch. „Is ja wirklich ein Katalog der Grausamkeiten, wie soll da noch ordentliche Polizeiarbeit nah am Bürger geleistet werden?“
Boie Hansen mokiert sich: „Wie heit dat noch bi uns so schoin? ‚Wer Dag för Dag sien Arbeit deit un jümmers op’n Posten steiht, un deit dat goot un deit dat geern, de dröfft sik ok mal amüseern!‘7 Wer shall sick mit soon Shiet aber ok amüseern? Ick nich!“
Nach einer Weile meint Willi Seifert: „Nun, aber viel Genaues steht nun wieder nicht in dem ganzen Palaver! Zum Beispiel, was genau passiert jetzt mit uns hier in Oldenmoor?“
„Da kann ich dir etwas verraten, Kumpel!“ Oberkommissar Hauke Steffens betritt soeben den Raum. „Ich habe mich gerade mit den Itzehoer Kollegen Steenfatt und Wildemann unterhalten. Die wurden von ihrem Chef Hein Gröhl – Verzeihung, ich meine natürlich Oberkriminalrat Stöver – beauftragt, im Kreis Steinburg herumzufahren und in sämtlichen Dienststellen – wie heißt es noch mal“, er blickt rasch auf einen Zettel, den er aus der Tasche herausfischt, „hab ich mir notiert. Hier steht’s: den genauen gegenwärtigen Personal- und Ausrüstungsbestand aufzunehmen. Die sollen bei uns alles durchwühlen, damit es dann von gehobener Stelle irgendwie neu zusammengewürfelt beziehungsweise entsorgt wird.“
„Ja, so steht’s auch sinngemäß in diesem Memo des Innenministeriums“, kolportiert seufzend Boie Hansen. „Heißt auf gut Deutsch, Dienststellen auseinanderreißen oder zusammenfügen, einige schließen. Die jüngeren Mitarbeiter werden hier- und dorthin verteilt, offene Planstellen werden nicht mehr besetzt, und wir, die Alten, dürfen in den wohlverdienten Ruhestand. Amen!“
„Was anderes“, sagt Steffens. „Wo ist eigentlich unsere Nili?“
Oberstaatsanwalt Hinrich Harmsen begrüßt die Besucherin am Eingang seines Amtszimmers betont höflich und bittet sie einzutreten. „Danke, dass Sie so schnell meiner Einladung folgen konnten, Frau Kriminaloberkommissarin. Nehmen Sie doch bitte dort drüben Platz. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, einen Kaffee oder ein Wasser?“
Nili folgt Harmsens Andeutung und setzt sich an den länglichen Besprechungstisch, an dessen Stirnseite sich ebenso der Oberstaatsanwalt an seinem Arbeitsplatz niederlässt. „Sehr freundlich, Herr Oberstaatsanwalt, ich nehme gern einen Milchkaffee und ein Glas Wasser, wenn es keine Umstände macht.“
Harmsen bestellt die Getränke am Telefon. „Ich habe Sie aus zwei Gründen hergebeten, verehrte Frau Masal“, lässt Harmsen verlauten, nachdem seine Vorzimmerdame die Bestellung hereingebracht hat. „Zunächst wäre da zu besprechen, wie es mit Ihrer persönlichen Karriere weitergehen soll, da ja in Kürze größere Strukturveränderungen des gesamten Landespolizeiapparates bevorstehen.“
„Ja,