Im Bann der bitteren Blätter. Manfred Eisner
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Читать онлайн книгу Im Bann der bitteren Blätter - Manfred Eisner страница 16
„Mit anderen Worten, unsere Oldenmoorer Polizeistation wird wohl verschwinden, oder?“
Harmsen wirft einen Blick auf den Monitor seines Computers. „Nicht ganz, nicht ganz.“ Er dreht den Bildschirm herum, sodass auch Nili einen Blick darauf werfen kann. „Diese Dienststelle wird aber verkleinert. KHK Boie Hansen bleibt noch bis zu seiner Pensionierung Ende des nächsten Jahres zusammen mit zwei Polizeimeistern mit einem Streifenwagen sowie einem Beamtenanwärter vor Ort. Kriminaloberkommissar Willi Seifert und Sie sollen gemäß der Planung zur Kripo nach Itzehoe versetzt werden.“
Nili fühlt eine plötzliche Leere im Leib. Darfst also deinem geliebten Motorrad Adieu sagen, Kollege Willi, sinniert sie nebenbei. Der Gedanke, ihren lieb gewonnenen und wohnungsnahen Arbeitsplatz auf einmal von Oldenmoor nach Itzehoe verlagern zu müssen, bereitet ihr ein unwohles Gefühl. Zudem ist ihr – und nicht nur ihr – der dortige Leiter, Kriminaloberrat Heinrich Stöver, außerordentlich unsympathisch. Nicht umsonst nennen ihn seine Untergebenen wegen seiner stets üblen Laune und der cholerischen Ausbrüche hinterrücks „Hein Gröhl“.
Harmsen hat sie während der kurzen Denkpause aufmerksam beobachtet. Ihm ist Nilis offensichtliche Missstimmung als Reaktion auf seine Ausführungen nicht entgangen. „Also, Frau Masal, Sie brauchen keine Trübsal zu blasen. Was Sie persönlich betrifft, haben wir Ihnen einen besonderen Vorschlag für Ihre zukünftige Tätigkeit zu machen. Ihre wertvolle Mitarbeit bei der Aufklärung des Falles Westphal und vor allem Ihr besonderes Geschick beim Verhör der beiden Schlüsselverdächtigen, natürlich verbunden mit Ihren vortrefflichen Sprachfähigkeiten, sind bis in die obersten Kreise mit besonderer Anerkennung zur Kenntnis genommen worden. Soweit uns bekannt“, er blickt wieder auf seinen Bildschirm und betätigt die Tastatur, „sprechen Sie, natürlich neben Deutsch, auch fließend Spanisch, Neuhebräisch und Englisch, nicht wahr?“
Nili nickt.
„Deswegen wollen wir Ihre diesbezüglichen Begabungen nicht einfach im Dunklen verblühen lassen, sondern effektiver nutzen. Wir schlagen Ihnen deshalb vor, eine offene Planstelle als Hauptkommissarin in unserem Kieler Landeskriminalamt zu übernehmen. Wegen der zunehmenden Globalisierung brauchen wir dringend tüchtige Mitarbeiter, die in allen Richtungen kommunizieren und ermitteln können. Was meinen Sie dazu?“
Nili blickt ihn überrascht an. „Das kommt wirklich total unverhofft, Herr Oberstaatsanwalt. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Ja, selbstverständlich ist es für mich sehr schmeichelhaft, solch ein Angebot zu erhalten und dazu sogar noch eine Beförderung in Aussicht gestellt zu bekommen. Bedeutet es aber wohl auch, dass ich hier nach Kiel umziehen müsste?“
Harmsen schmunzelt. „Natürlich ist mir schon klar, dass dies eine große Überraschung für Sie ist. Wenn Sie grundsätzlich interessiert sein sollten – und ich hoffe dies sehr –, würde Ihr zuständiger Vorgesetzter, Kriminaldirektor Rüdiger Voss, als Leiter der Abteilung ‚Ermittlung und Auswertung‘ im Landeskriminalamt und auch stellvertretender LKA-Direktor, gern mit Ihnen weitere Einzelheiten besprechen. Wie ich hieraus ersehe, wäre für Sie eine Planstelle im Dezernat 2, SG212 – Organisierte und Rauschgiftkriminalität – vorgesehen. Das beinhaltet gleichzeitig Ihre Beförderung in absehbarer Zeit.“
Nili kann nur noch nicken, denn sie ist sprachlos.
„Machen Sie sich jetzt keinen Kopf, fahren Sie erst einmal nach Hause und überlegen Sie sich alles in Ruhe. Es werden sowieso noch einige Monate ins Land gehen, bevor diese Strukturreform greift.“
Nili will aufstehen und sich verabschieden, jedoch unterbricht sie Harmsen mit einer Geste. „Dürfte ich Sie noch um ein wenig Geduld bitten? Da ist noch etwas Wichtiges, das ich mit Ihnen besprechen wollte, liebe Frau Masal. Einen Augenblick, bitte.“ Harmsen telefoniert kurz, legt dann den Hörer auf und geht zur Tür, um eine junge Dame hereinzulassen. „Darf ich vorstellen? Meine Tochter Kathja, frisch gebackene Juristin. Frau Kriminaloberkommissarin Masal, von der ich dir bereits erzählt habe.“
Die beiden jungen Frauen geben sich freundlich lächelnd die Hand. Die Ende zwanzigjährige Kathja Harmsen ist eine äußerst sympathisch wirkende, schlanke und brünette Erscheinung mit einem jugendlichen und erfrischenden Ausdruck im Gesicht.
„Auch etwas zu trinken, Kitt? Und darf es noch etwas für Sie sein, Frau Masal?“
Nili verneint dankend, Kathja bekommt ein Glas Orangensaft.
„Also, in medias res!“ Harmsen blickt von der einen zur anderen Dame, die links und rechts an seinem Arbeitstisch sitzen. „Meine Tochter hat vor Kurzem ihr erstes Staatsexamen an der hiesigen Rechtswissenschaftlichen Fakultät sehr erfolgreich abgelegt. Sie möchte gern gleich anschließend ihre Promotion in Angriff nehmen. Ihr Doktorvater, der renommierte Jurist Professor Doktor Traube, schlug ihr als Thema für ihre Dissertation – berichtige mich bitte, Kitt, wenn ich etwas Falsches sage – Folgendes vor: ‚Der Schmugglerweg des Kokains bis in die EU‘. Stimmt’s?“
„Na ja, Papi, so in etwa“, bestätigt seine Tochter. „Darf ich weiter erzählen?“
Harmsen nickt ihr zu.
Kann seinen Vaterstolz nicht verhehlen, denkt sich Nili amüsiert.
„Also, es ist so“, führt Kathja fort. „Mein Prof ist seit etwa einem Monat der erste Vorsitzende einer neu gegründeten NGO8, die tatkräftig den Kampf gegen Drogenmissbrauch unterstützen will. Er hat diese unter anderem gemeinsam mit dem Steuerberater Heinz Westphal ins Leben gerufen. Die tragische Geschichte von dessen Sohn Ralph haben Sie ja persönlich aus nächster Nähe erlebt, nicht wahr, Frau Masal? Auch andere private und offizielle Persönlichkeiten unterstützen dieses Vorhaben und haben sich der Bewegung angeschlossen. Professor Traube möchte deswegen, dass ich meine Doktorarbeit zielgerecht auf die Art und Weise ausrichte, wie das Kokain nach der Gewinnung der Cocablätter und deren Verarbeitung in Kolumbien, Bolivien und Perú seinen unsäglichen Weg bis zu uns nimmt. Natürlich gibt es zahlreiche Literaturquellen, die ich zur Recherche heranziehen könnte, aber – und da sind wir uns mit meinem Vater einig – ich möchte keineswegs eine Dissertationsarbeit vorlegen, die lediglich aus Zitaten von Arbeiten anderer Leute besteht und keinerlei eigene Forschungsergebnisse enthält. Ich muss deshalb persönlich und vor Ort Näheres erkunden.“
Nili hat verstanden. „Also werden Sie wohl eine längere Reise unternehmen müssen, um bis an die Quelle des Bösen heranzukommen. Meine Mutter ist in Bolivien aufgewachsen und hat mir einiges darüber erzählt. Aber ich denke, für eine alleinreisende junge Dame dürfte es ziemlich waghalsig sein, sich auf diesen ihr nicht im Geringsten geläufigen und noch dazu sehr obskuren Pfaden zu bewegen. Zudem sind die Leute, die sich in diesem Metier herumtreiben, ganz rüde Machos und nicht gerade zimperlich. Glauben Sie ja nicht daran, dass diese Kerle so einfach begeistert oder bereit sein werden, ihre intimsten Geschäftsgeheimnisse der ersten Person, die sie danach befragt, preiszugeben, auch wenn diese eine so charmante Erscheinung wie die Ihre ist.“
„Darf ich unterbrechen?“, lässt der Oberstaatsanwalt verlauten. „Eben dies ist, was meiner Frau und auch mir die größte Sorge an Kitts Vorhaben bereitet. Deswegen hatte ich gerade an Sie gedacht. Wie wäre es, wenn Sie meine Tochter auf dieser Reise begleiten?“
Nili