Im Bann der bitteren Blätter. Manfred Eisner
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Читать онлайн книгу Im Bann der bitteren Blätter - Manfred Eisner страница 14
„Beseder – in Ordnung, Nili, ich vertraue dir, werde aber nur dann etwas erzählen, wenn du dabei bist und dem Richter alles genau übersetzt. Kannst du mir das versprechen?“
„Ich gebe dir mein Wort, sei beruhigt. Aber noch etwas möchte ich gern von dir erfahren: Wie bist du überhaupt hierhergekommen?“
„Nach dem Tod meiner Eltern wohnte ich zunächst bei meiner Tante, die ist Libanesin. Dann zogen wir nach Beirut und blieben einige Wochen bei ihren Angehörigen. Plötzlich ging der Krieg auch dort wieder los. Wie ich schon sagte, Christen schießen auf Moslems und diese zurück auf die Christen. Einer meiner Cousins schlug vor, nach Europa zu fliehen, damit wir endlich aus dieser Scheiße herauskommen. Er bezahlte achttausend Euro an eine Schlepperbande, die uns in einem verrosteten Kahn über das Mittelmeer in fast drei Wochen Fahrt bei Sturm, Hunger und Durst hinüber nach Spanien brachte. Es grenzt an ein Wunder, dass das marode Schiff nicht untergegangen ist. Als die spanische Guardia Civil unser Boot aufbrachte, sprangen einige Flüchtlinge über Bord, darunter auch mein Vetter, der dabei ertrank. Als wir an Land kamen, wurden wir eingesperrt. Im Camp lernte ich einen algerischen Typen namens Jussuf kennen. Der hatte wohl Verbindung zu Mattis Bande, denn er organsierte meine Flucht aus dem Lager sowie meine Weiterreise in einem Früchtetransport-Lastzug von Murcia bis nach Hamburg. Ich war zusammen mit einer Kokainsendung hinter einigen Apfelsinenkisten versteckt. Der eine Russe, Jiri, holte mich am Hamburger Großmarkt ab und brachte mich nach Kiel. Matti nahm mir sofort meinen Dschawatz safar – meinen palästinensischen Reisepass – weg. Man brachte mir einige Worte auf Deutsch bei, dann wurde ich mit Mustafa losgeschickt und musste Drogenkunden unter den Jugendlichen an den Schulen suchen und sie – wie auch immer – zum Kauf animieren. Später begann Matti mit der gezielten Suche nach potenziellen Opfern in den Regionalzügen, in denen man gleichzeitig Schüler und Studenten traf. Den Rest kennt ihr ja bereits.“
„Ja, Habiba. Auch deinen Pass haben wir bei der Razzia sichergestellt, daraus erfuhren wir deinen Namen.“
***
Es war eine sehr erschütternde Geschichte, die wir von Habiba zu hören bekamen. Sie hat mich tief berührt.
Auch ihre Aussage habe ich wörtlich ins Deutsche übersetzt, dann konnte sie diese unterzeichnen. Viele Menschen hier beklagen, dass immer mehr Flüchtlinge zu uns nach Europa kommen, wider alle Hindernisse, die man ihnen in den Weg stellt. Wenn diese missbilligenden Wesen nur ein paar Tage lang am eigenen Leib all das fühlen würden, was diese vom Schicksal schwer geschlagenen Menschen in ihrer Heimat erdulden und durchmachen mussten, hätten sie vielleicht ein Quäntchen mehr Verständnis und Mitgefühl für deren hoffnungslose Lage. Uns hier geht es so verdammt gut, aber ich weiß ja, wir können nicht die ganze arme Welt bei uns aufnehmen! Dennoch, eine immer stärker zunehmende Anzahl dieser Verzweifelten und Verfolgten rollt unaufhaltsam auf uns zu! Zu verlieren haben die unglücklichen Habenichtse ja nicht viel mehr als nur noch ihr nacktes Leben!
Wie gelobt, bat ich um ein Gespräch mit Oberstaatsanwalt Harmsen, um für Habiba Massud ein gutes Wort einzulegen. Er versprach, mir einen kurzfristigen Termin anzuberaumen. Schon am folgenden Montag wurde die gesamte Mannschaft unserer Dienststelle zur Staatsanwaltschaft nach Kiel beordert. Kollegen aus den umliegenden Revieren übernahmen während unserer Abwesenheit den Bereitschaftsdienst.
Oberstaatsanwalt Hinrich Harmsen begrüßt alle Anwesenden aus Kiel, darunter Oberkriminalrat Bruno Westermann vom LKA und den Einsatzleiter der 5. Abteilung des SEK – dessen Name stets offiziell verschwiegen und der deshalb unter Kollegen „Kommando-Heini“ genannt wird –, Drogen-Dezernatsleiter Kriminalhauptkommissar Walter Mohr, die Kollegen der Bezirkskriminalinspektion Blumenstraße, Kriminalhauptkommissar Harald Sierck und seine beiden Mitarbeiter, die Oberkommissare Steffi Hink und Hauke Steffens. Aus Oldenmoor hinzugekommen sind Boie Hansen, Nili Masal, Sascha Breiholz und Willi Seifert.
„Herzlich willkommen, liebe Leute!“ Harms gibt sich jovial. „Zunächst herzlichen Dank an Sie alle und Glückwunsch für die hervorragende Arbeit! Durch die Verzahnung und Koordinierung unserer Einsatzkräfte mit denen von Interpol und der spanischen Guardia Civil gelang ein entscheidender Erfolg in der Bekämpfung des illegalen Drogenschmuggels und Drogenhandels, nicht nur bei uns, sondern in ganz Westeuropa. Nicht zuletzt konnten wir zudem gleichzeitig einen Dealerring hier, unmittelbar vor unserer Tür, zerschlagen! Jeder von Ihnen hat einen erheblichen Anteil an diesem Erfolg, gratuliere! Ich fasse jetzt also die wichtigsten Ergebnisse dieses Einsatzes unserer Soko zusammen:
1 Aufklärung des Einbruchs und Fahrzeugdiebstahls im Autohaus Scholz in Oldenmoor. Überführt werden durch eindeutige Indizien konnten die beiden russischen Staatsbürger Juri Wolkow und Alexei Shirjajev, wobei gegen den Zweitgenannten sogleich ein Verfahren wegen Körperverletzung anhängig ist. Besonderen Dank an Polizeimeister Breiholz, gut gemacht!
2 Aufklärung des zweifachen, heimtückischen und in Gemeinschaft ausgeführten Mordes an der achtzigjährigen Frau Karin Vogt und ihrer dreiundfünfzigjährigen Tochter Regina sowie der Brandlegung an deren Bauernhof. Auch hierfür zeichnen die beiden oben genannten Täter Juri Wolkow und Alexei Shirjajev gemäß den sie eindeutig belastenden Indizien als voll verantwortlich. Gegen die beiden genannten Personen erhebe ich, sobald die Anklageschrift vervollständigt ist, Anklage wegen der erwähnten Untaten vor dem Schwurgericht. An diesem Erfolg war die gesamte Mannschaft samt den Kollegen aus Itzehoe beteiligt.
3 Die Kieler Drogenhändlerbande um Mathias Lohse, alias Drogenmatti, wurde observiert und konnte letztendlich – dank Ihres gemeinsamen Einsatzes – mit einem Schlag dingfest gemacht werden. Auch gemessen am beachtlichen Drogen-, Geld und Waffenfund war es ein riesiger Erfolg, für den ich Ihnen allen auch im Namen unseres Innenministers sowie des Polizeipräsidenten verbindlichen Dank und Anerkennung aussprechen darf. Besonderen Dank an unseren geschätzten Leiter des Drogendezernats, Hauptkommissar Dr. Walter Mohr. Vorbildliche Arbeit, Waldi!
4 Dabei ging uns zufällig einer der meistgesuchten kolumbianischen Logistiker und Spiritus Rektor des europäischen Kokainhandels ins Netz, der Interpol bis dato immer wieder entwischen konnte: Francisco José Villegas, alias Paco-Pepe oder auch El Genio. Dieses spukende Phantom weigerte sich zunächst eisern, uns seinen echten Namen zu nennen, den wir schließlich mit Hilfe der spanischen Kollegen erfuhren. Zudem aber gebührt unserem Sprachgenie, Frau Masal, ein besonderes Lob, diesen Kerl mit viel Geschick letztendlich zum ausführlichen Geständnis in seiner eigenen spanischen Sprache gebracht zu haben. Sehr gute Arbeit, Frau Kriminaloberkommissarin!
5 Schließlich, aber dennoch besonders bedeutend: Der tragische Tod durch eine Überdosis reinen Kokains, welcher der junge Ralph Westphal zum Opfer fiel, konnte ebenfalls rein zufällig in Zusammenhang mit einer der bereits oben geschilderten Festnahmen geklärt werden. Wir standen vor dem Dilemma: War dieser Tod durch Eigenverschulden des Verstorbenen eingetreten oder hatte jemand im Hintergrund daran ‚gedreht‘? Durch ein umfassendes Geständnis der festgenommenen und noch jugendlichen Illegalen Habiba Massud aus Ramallah, das wir ebenfalls sowohl dem sprachlichen Geschick als auch dem Einfühlungsvermögen unserer geschätzten Kollegin Frau Masal zu verdanken haben, erfuhren wir die wahren Gründe dieser Tragödie. Ich habe mich beim hiesigen Rabbiner Dr. Mendel informiert und erfuhr von ihm den hierfür angebrachten Satz: ‚Kol Hakavot, giveret Masal.‘6 Als Auftraggeber des Mordes konnte durch die Aussage der unwissenden und unfreiwilligen Täterin Habiba eindeutig Mathias Lohse ausgemacht werden, der sich nun zusätzlich vor dem Schwurgericht wegen heimtückischen Mordes aus niederen Motiven zu verantworten hat. Für ihn bedeutet das sehr wahrscheinlich lebenslänglich mit einer besonderen Schwere der Schuld.“
Nachdem Hinrich Harmsen die Versammlung beendet hatte, lud er uns noch zu einem Glas Sekt ein und zu einigen Appetithäppchen, die – wie konnte es hier auch anders sein – mit Kieler Sprotten belegt waren. Bevor wir uns auf den Nachhauseweg machten, bat er mich kurz