Maritime Erzählungen - Wahrheit und Dichtung (Band 2). Detlev Sakautzky
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So verging Woche für Woche der schönen Sommerferien, bis sich etwas Unvorstellbares ereignete. Der Opa bekam hohes Fieber. Der herangeholte Arzt stellte Typhus fest. Opa wurde in das Krankenhaus nach Grevesmühlen gebracht. Dort verstarb er. Der Tod von Opa machte Hans kopflos. Alle seine Träume waren nicht mehr erfüllbar. Den Weg nach Ostpreußen gab es nicht mehr. Er blieb immer in der Nähe der Mutter und half dort, wo er gebraucht wurde. Er war in dieser schweren Zeit eine Stütze für sie. Zusammen mit dem Pastor bereitete sie die Trauerfeierlichkeiten vor. Der Opa wurde in einem schlichten Sarg auf dem Kirchfriedhof beerdigt.
In der folgenden Woche erledigte Frau Solltau die Haushaltsauflösung. Der Bauer fuhr mit dem kleinen Pferdewagen die Haushaltsgegenstände der Großeltern zum Bahnhof. Dort vereinbarte die Mutter den Weitertransport nach Gutshof. Die Pferde und den Leiterwagen verkaufte sie an einen Neubauern im Ort. Er brachte die drei später zum Bahnhof.
Am Tag der Abreise verabschiedete sich die kleine Familie ein letztes Mal von Opa und Oma auf dem Kirchfriedhof. Der Personenzug fuhr pünktlich ab. Nach einer langen Bahnfahrt, mehrmaligem Umsteigen und zweistündigem Fußmarsch kamen sie wieder völlig erschöpft in Gutshof an.
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Die Lebensbedingungen der kleinen Familie verbesserten sich in der Folgezeit nicht wesentlich. Frau Solltau arbeitete Tag aus, Tag ein bei den Bauern, wie sie gebraucht wurde. Hans besuchte weiter mit Erfolg die Grundschule und Robert wurde eingeschult. Kein Weg führte mehr nach Ostpreußen zurück.
Die Grundschulzeit ging für Hans zu Ende. Er wollte einen Beruf erlernen.
Bernd, der Sohn des Melkers, erlernte den Beruf des Hochseefischers in einer Reederei in Rostock. Die Geschwister seines Opas hatten am Frischen Haff einen Familienbetrieb. Der gefangene Fisch wurde selbst bearbeitet und in Königsberg auf dem Wochenmarkt verkauft. Fische fangen, dass interessierte Hans auch.
„Hier im Dorf und in der Gegend möchte ich nicht bleiben“, sagte Hans zu Bernd.
„Du musst dich rechtzeitig bewerben. Du bist nicht der Einzige“, sagte Bernd und schrieb Hans die Anschrift der Reederei mit einem Bleistiftstummel auf einen kleinen Zettel.
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„Ich möchte Fischer werden, wie Bernd, der Sohn vom Melker. Er fährt auf einem Logger“, sagte Hans nach dem Kirchgang zu seiner Mutter.
Die Mutter war sprachlos. Über die Berufswahl hatte sie mit ihm noch nicht gesprochen.
„Deine Berufswahl gefällt mir nicht. Dann bin ich mit Robert alleine. Seeleute sind monatelang weg. Unser Pastor möchte, dass du weiter zur Schule gehst und auch Pastor wirst“, bekam Hans zur Antwort.
„Kinder taufen, Verstorbene beerdigen, Mann und Frau vermählen, Krankenbesuche durchführen, Kinder auf die Konfirmation vorbereiten, Jugendliche konfirmieren und sonntags predigen, dafür interessiere ich mich nicht“, antwortete Hans wütend.
„Landwirt ist auch ein schöner Beruf. Pflügen, eggen, sähen und Tiere füttern. Keiner der Bauern hat bis jetzt gehungert“, meinte die Mutter.
„Die Bauern haben nicht gehungert, aber die Knechte. Ein Landwirt braucht eigenes Land. Unser Land ist in Ostpreußen“, antwortete Hans. „Oder möchtest du, dass ich als Knecht bei unserem Bauern arbeite?“
„Lothar, der Sohn von der Frau Meißner lernt Maurer“, war ein weiterer Vorschlag der Mutter. „Die Maurer haben Beschäftigung. Die Städte sind zerstört und müssen aufgebaut werden. Später kannst du dir selbst ein Haus bauen“, argumentierte die Mutter.
„In Gutshof gefällt es mir nicht. Ich habe mit Bernd gesprochen. Er ist sehr zufrieden mit seinem Beruf. Viele Fischer vom Frischen Haff fahren auf Kuttern, Loggern und Trawlern in Saßnitz, Rostock, Kiel, Hamburg, Cuxhaven, Bremerhaven und Emden in die Ost- und Nordsee. In der Hochseefischerei verdienen die Leute sehr viel Geld. Keiner hungert“, versicherte Hans seiner Mutter.
„Junge! Du bist vierzehn Jahre alt. Dort musst du schwer arbeiten. Hochseefischer ist kein Beruf fürs Leben. Die Fischer im Frischen Haff waren Familienunternehmen, die früh mit den Kuttern auf See rausfuhren und abends wiederkamen“, bekam Hans zur Antwort.
„Ich werde mich bewerben. Bernd hilft mir beim Aufsetzen des Bewerbungsschreibens“, sagte Hans zur Mutter. Abends setzte er sich an den kleinen Tisch. Er formulierte die Bewerbung, wie sie Bernd vorgeschlagen hatte, und legte das Schreiben in einen Briefumschlag mit der Anschrift der Reederei. Am anderen Tag klebte er eine Briefmarke auf den Umschlag und brachte den Brief mit der Zustimmung der Mutter zur Post. Nach geraumer Zeit kam die Antwort. Abends sagte die Mutter zu Hans: „Heute ist die Antwort von der Reederei gekommen. Man hat dich abgelehnt, weil du zu klein bist.“
„Zeige mir bitte den Brief“, erwiderte Hans wütend.
„Ohne meine Zustimmung darfst du den Beruf nicht erlernen“, antwortete die Mutter schroff.
Hans verstand seine Mutter nicht mehr. Er sprach kein Wort mehr mit ihr, nahm das Lehrbuch für Erdkunde aus der Schultasche und begann leise zu lesen. Auf die Fragen der Mutter antwortete er nicht mehr. Später ging er still zu Bett.
Am anderen Tag zeigte die Mutter Hans das Antwortschreiben der Reederei. Sie waren grundsätzlich bereit, Hans als Auszubildenden einzustellen. Nachreichen musste er das Zeugnis des letzten Jahres und die amtlich bestätigte Seetauglichkeit. Hierfür hatte die Reederei einen Vordruck mitgeschickt. Des Weiteren einen Lebenslauf und die Einverständniserklärung der Mutter. Sie hatte sich ihre Entscheidung noch einmal überlegt und war mit Hans’ Bewerbung einverstanden. Die noch fehlendenden Einstellungspapiere der Reederei übersandte er fast zeitgleich. Das amtliche Gesundheitszeugnis bestätigte seine Seetauglichkeit, die Abschrift des Jahreszeugnisses wurde durch den Direktor der Schule bestätigt. Den Lebenslauf hatte Hans kurzgefasst und sein Interesse an einen seemännischen Beruf besonders betont. Die Mutter hatte in einem kleinen Schreiben ihr Einverständnis für die Berufswahl bestätigt.
Nach einigen Wochen kamen zwei Exemplare des Ausbildungsvertrages per Post. Hans und die Mutter unterschrieben den Vertrag und ein Exemplar wurde an die Reederei zurückgesandt. Hans war sehr zufrieden. Er selbst konnte erstmalig über seinen weiteren Lebensabschnitt entscheiden.
Anfang September begann Hans mit der Ausbildung in der Reederei. Er war nicht der Einzige, über dreißig männliche Jugendliche hatte die Reederei eingestellt. Viele der Eingestellten waren älter. Wöchentlich wechselte die theoretische Ausbildung in der Berufsschule mit der berufspraktischen Ausbildung auf dem Lehrnetzboden, einer Werkstatt für die Herstellung von Fangnetzen. Die Werkstatt befand sich über den Fischhallen im Fischereihafen. Hier lernte Hans die Fertigung von Knoten, das Stricken von Netzteilen, die Reparatur von Netzen und das Spleißen von Tauwerk. Ein älterer Kapitän, der noch auf Segelschiffen gefahren war, vermittelte die seemännischen Handarbeiten. Ein Ausbilder aus Cuxhaven zeigte Hans das Stricken von Netzmaschen, die Herstellung und die Reparatur von Netzen. Unter der Anleitung erfahrener Praktiker lernten die Auszubildenden rudern und segeln. Im ersten Ausbildungsjahr wohnten die Auszubildenden im Internat. Hier nahmen sie die Mahlzeiten ein und wurden durch Erzieher betreut.
Vor seiner ersten Fahrt erhielt Hans den Jahresurlaub. Er besuchte seine Mutter. Sie hatte einen Mann ihres Alters kennengelernt, geheiratet