Das Lied der Eibe. Duke Meyer

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Das Lied der Eibe - Duke Meyer

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sprechen. Musik folgt Regeln (Ausnahmen bestätigen das). Meine Töne und Klangfolgen muss niemand nachspielen oder gutheißen – ich zeige nur auf, wie sie funktionieren, welchen Regeln sie folgen. Es ist ein Unterschied, ob du sie nachvollziehst und anwendest, um deine eigene Musik (oder Magie) zu entwickeln – oder meine Ergebnisse imitierst und übernimmst. Letzteres kann einen Zwischenschritt darstellen, niemals aber taugliches Endergebnis.

      Das kann nicht oft genug betont werden. Die Unsitte, andere für sich denken zu lassen, anderen mehr oder minder kritiklos und selbstvergessen zu „folgen“, ist in der Menschheitsgeschichte allzu verbreitet und gerade in unserer Gesellschaft eingeschliffen wie kaum etwas anderes. Die Subszene esoterisch Sinnsuchender spiegelt dieses gesellschaftstypische Phänomen nochmal in ungewollt karikierender Form scharf wieder, lebt es gewissermaßen übertrieben nach: in ihren offenen wie versteckten Hierarchien, in ihren Werten, Zielen, Methoden und deren Resultaten. Das muss nicht erst über offenkundige Kommerzinteressen sichtbar werden oder vorwiegend in seelische Ausbeutung und innere Verelendung münden, tut es aber meistens und typischerweise. Autoritätshörigkeit wird in allen Möglichkeiten des Spektrums gefördert, Selbständigkeit selten gelehrt. Es gibt jedoch Erfahrungen, die sind nur individuell zu machen. Dazu gehören Essen und Trinken, das Darmentleeren, das Sterben – und das Lernen. Und damit auch das Erleben spiritueller Wahrhaftigkeiten. Bei solchen, als einem kulturellen Phänomen, lässt sich natürlich mogeln. Wir können jederzeit spirituelle Erfahrungen anderer Leute für unsere eigenen halten – dabei wird dann ziemlich egal, ob die Erfahrungen jener anderen, von denen wir sie übernehmen, „echt“ sind oder nur vorgegaukelt: Sie kommen in jedem Fall vitaminarm und substanzlos an. Ihr möglicher Wohlgeschmack ist künstlich und meist oberfaul herbeigetrickst. Im schlechtesten Fall machen sie süchtig. Wie schlechte Nahrung sind sie meistens voller Ballaststoffe, ungesunder Zusätze ungewisser Herkunft – und allzu oft zuckersüß. (Das allein sollte schon misstrauisch machen. Es ist ein sicheres Erkennungsmerkmal, dass die Weisheit dahinter nicht das Glanzpapier – oder auch nur den salbungsvollen Ton – wert ist, auf dem sie uns entgegensäuselt.)

      Süchtig nach solchem Zeug, laufen wir Gefahr, andere von derselben Sache überzeugen zu wollen. Notfalls um jeden Preis. Denn das mulmige Defizit der ausgebliebenen Erfüllung isoliert unsere Seelen. Die unreflektierte Einsamkeit schreit bald nach Bestätigung durch Äußerlichkeiten: am besten durch gleichartige Gemeinschaft. Ab da werden Gewandung und Gepränge und das Bestätigen verbaler Formeln oberwichtig: als Kennzeichen von Gleichartigkeit, von Miteinander. Das bedingungslose Mitmachen und – vor allem auch äußere – Gleichziehen der anderen wird oft zum einzigen Trost in der zu Recht gefühlten – und umso manischer geleugneten – persönlichen Leere.

      Genau darum sind die meisten Offenbarungsreligionen (wie auch ihre marodierenden Ableger, die oft sektiererischen Einzelkulte) so vehement um Missionierung bemüht – und darin so erfolgreich: An die Stelle persönlicher Erfüllung tritt die Not, äußere Merkmale anzugleichen und ans idealisierte Vorbild angeglichen zu sehen. Die Gleichschaltung nennbarer Kennzeichen dient als Ersatz für innere und eigene Entwicklung und Erfahrung. Nur wer im eigenen „Glauben“ keinen echten Halt findet, ist darauf angewiesen, dass möglichst alle anderen dasselbe glauben – und fühlt sich von allen bedroht, die davon irgendwie abweichen. Das sind die üblichen Kennzeichen vieler heutiger Religionen und Kulte… Und so sehr sie individuell durchaus für Halt und Orientierung zu sorgen vermögen, gleichen sie in ihrer Struktur und Grundhaltung doch eher einer gefährlichen Geisteskrankheit. Ungeachtet ihrer Gebetsmühleninhalte tendieren sie zu Heuchelei, Ungerechtigkeit, Willkürherrschaft, Verblendung, Gewalt und Krieg. Es ist ihnen inhärent. Statt die Seele zu befreien, knechten sie die Massen. Noch perfider: Sie haben beides verwoben. Wohlgemerkt: Diese Kritik gilt nicht Menschen und ihrem persönlichen Glauben, sondern den gesellschaftlichen und politischen Organisationsformen ihrer Religionen.

      Spiritualität ist entweder eine persönliche Erfahrung oder wertlos. Daraus folgt, dass Missionierung – jegliche! – Gift ist für jedwessen persönliche spirituelle Entwicklung. Missionierung ist das (meist systematische) Übertragen festgelegter Glaubensinhalte von einer Person zur anderen. Das braucht nicht nur so genannte Religionen zu betreffen, ist aber kennzeichnend für sie. Religionen, die missionierend verbreitet werden, verwandeln – wie alle Ideologien – Menschen in Schafe und Bluthunde. Die Verwandlung zum Schaf wie auch zum Bluthund zu vermeiden, ist der erste Schritt zum sozial kompetenten Menschenwesen.

      Letzteres wollte ich werden. Wie mir ausgerechnet die Runen des Älteren Futhark dabei helfen sollten – und warum sie dafür taugen – zeige ich in den folgenden Kapiteln.

      Bildstein mit Runen, Århus, Dänemark

       KAPITEL II

       Vorstellung der drei Ættir, Einblick in ihre Zusammenhangsverläufe

       VOM WERDEN, ERKENNEN UND HANDELN

      Das Ältere Futhark ist aufgeteilt in drei Achterreihen. Die erste beschreibt Prozesse des Erschaffens und Entstehens, die zweite einen exemplarischen Erkenntnis- und Einweihungsweg, die dritte zeigt, worum sich menschliches Handeln dreht und unter welchen Bedingungen es stattfindet.

      Während die ersten beiden Reihen konkrete Verläufe in klar aufeinanderfolgenden Ereignisfeldern markieren, erschließen sich die Runen der dritten Acht eher paarweise. Diese letzte Reihe zeichnet keinen bestimmten Weg mehr vor, nur noch das Wie und Womit – und verweist damit umso mehr auf die Macht unserer Verantwortung.

      Die drei Runenreihen werden (altnordisch) Ættir genannt. Ætt heißt „Acht“, „Sippe“ oder „Familie“. Über die Ættir des Älteren Futhark wachen drei Gottheiten: Freyr, der sinnliche Herr der Fruchtbarkeit, Hel, die fahle Herrin des Totenreiches, und Tyr, der streitbare Hüter der Gerichtsbarkeit.

      Über Freyrs Ætt, die erste Acht, lernen wir, wie Schöpfungsprozesse funktionieren – ihre Voraussetzung, die gleichbleibenden Grundlagen ihrer vielfältigen Entwicklungen, ihr Werdegang und ihre Vollendung – samt möglicher Gefahren: was dabei alles schiefgehen kann, wie dem gegebenenfalls zu begegnen ist und was das jeweils für Konsequenzen hat. Die Abfolge dieser Reihe lässt sich auf zahllose Entstehungsprozesse übertragen – auf kleine und große Menschenwerke bis hin zum Wunder der Schöpfung selbst.

      Hels Ætt, die zweite Acht, ermöglicht uns Erkenntnisse darüber, was das alles soll und wer wir überhaupt sind. Sie bietet einen Weg zu möglicher Charakterreife, der auf unterschiedliche Art erlebt und gegangen werden kann. Es ist kein Zufall, dass sich ein Drittel des ganzen Runensystems den Sinnfragen des „wer bin ich“ und „was soll das“ widmet. Der Helsweg, wie ich ihn nenne, ist kein Ponyhof: Er führt uns schnurstracks in unsere persönlichen Abgründe hinein, in die oft verschütteten Untiefen des eigenen Seelen- und Herzensgrundes, die wir im Alltag so gern scheuen (wofür wir ja auch Gründe haben). Doch am Ende wartet ein Schatz. So dunkel der Abstieg beginnt und so viel er fordert, so strahlend und selbstbewusst baden wir am Schluss im Licht der Sonne. „Erleuchtung auf Germanisch“ ließe sich das nennen – wäre der eine Begriff nicht so abgeschmackt und der andere nicht so missverständlich belastet. Aber ich will nicht vorgreifen.

      Tyrs Ætt, die dritte Acht, beschäftigt sich mit unserem Tun und Lassen und bringt uns in persönliche Verantwortung – die wir mit den Erkenntnissen und Erfahrungen aus den vorangegangenen Reihen tragen können. Erst wenn wir wissen, wie etwas erschaffen wird, und zudem erfahren haben, wer wir selber sind und aus welchen Motiven wir handeln, können wir zu erwachsenen

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