Die freundliche Revolution. Philippe Narval
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Die Politik muss der Bürgerschaft die Möglichkeit zugestehen, abseits von Wahlen und Abstimmungen Zukunftslösungen mitzugestalten und anerkennen, dass diese Lösungen dadurch auch tragfähiger und nachhaltiger werden. Wir Bürger müssen wiederum einsehen, dass Beteiligung nicht heißt, dass automatisch unser Wille geschieht, sondern die Kunst der Kompromissfindung Zeit braucht.
Die Qualität des guten Dialogs — das einander Zuhören und das aufeinander Zugehen — und das Vertrauen darauf, dass ein guter Weg erst entsteht, wenn wir ihn gemeinsam gehen, auch wenn wir damit anfänglich langsamer sind, stehen am Beginn des Wandels hin zu einer qualitätsvollen Beteiligungskultur. Dieser Wandel hat längst begonnen und die freundliche Revolution schreitet dort voran, wo Bürgerschaft und Politik gemeinsam bessere Lösungen suchen.
Die digitale Herausforderung
Das Abkapseln von der jeweils anderen Seite des Meinungsspektrums wird uns nicht weiterbringen. Dass die virtuellen Netzwerke unsere gesellschaftlichen Abschottungstendenzen durch ihre inneren Steuerungsmechanismen noch befördern, ist fatal. „Ändert sich das Medium, ändert sich auch die Gesellschaft“, hat der Philosoph und Kulturhistoriker Walter Benjamin (1892–1940) einmal gesagt. Gerade erleben wir die brutale Realität hinter diesem einfachen Satz. Vor mehr als 500 Jahren war es die Erfindung des Buchdrucks, die enorme, gesellschaftliche Umwälzungen auslöste. Diese technische Innovation brachte die Vorherrschaft der katholischen Kirche ins Wanken und befeuerte Religionskriege, genauso wie sie den Zugang zu Bildung und Wissen enorm verbreiterte und damit die Grundlage für die Aufklärung schuf.
Digitalisierung und das Internet wurden anfänglich auch als Aufbruch in eine neue Epoche der Aufklärung interpretiert. Allein der Zugang zu mehr und jederzeit verfügbarem und indexiertem Wissen würde die Menschheit vor Radikalisierung und Ideologien schützen, so die Annahme. Aber diktatorische Regime wie der Iran, Ägypten oder China begannen bald darauf, die Werkzeuge der Digitalisierung gezielt zur Manipulation und Überwachung ihrer Bürger einzusetzen. Wir brauchen jedoch heute gar nicht dorthin zu blicken, um zu erkennen, dass die digitale Vernetzung nicht automatisch zu mehr Kooperation und Wissensaustausch führt. Hass im Netz, Cybermobbing und Echokammern sind der Beweis dafür. In Europa haben wir uns freiwillig digitalen Plattformen ausgeliefert, die in der Art, wie sie funktionieren, unsere Demokratie und den sozialen Zusammenhalt gefährden. Auf der einen Ebene fördern die Algorithmen der sozialen Medien, also die mathematische Logik, nach der Nachrichten jeglicher Art geteilt und hervorgehoben werden, ganz gezielt die Bildung von Echokammern. Das Kalkül dahinter ist einfach, denn die Plattformen finanzieren sich durch Werbeeinnahmen und wollen Nutzer so lange wie möglich halten und idealerweise dazu bringen, viel Werbung zu konsumieren. Dabei geht es für die Konzerne um viel Geld und alleine Facebook und Alphabet, das Mutterschiff von Google und YouTube, kontrollieren mehr als die Hälfte des digitalen Werbebudgets der Welt, wie eine Studie der GroupM herausfand.
Der Mensch hat die Tendenz, sich grundsätzlich lieber mit Meinungen auseinanderzusetzen, die sein eigenes Weltbild bestätigen, als mit jenen, die es infrage stellen. 1,7 Milliarden Menschen besuchen zum Beispiel täglich Facebook. Um zu erreichen, dass sie immer wiederkommen, füttert die Plattform sie mit Inhalten, die sie gerne sehen und dann mit anderen teilen. Wir bleiben dabei unter Gleichgesinnten und wenn wir in den digitalen Raum hineinrufen, bekommen wir unser Echo in Form von ähnlichen Meinungen und Ansichten zurückgespielt. Dabei können sich gewisse Segmente auch radikalisieren, ganz egal zu welcher weltanschaulichen Richtung sie gehören.
→ Wir befinden uns im permanenten digitalen Selbstbestätigungsmodus und der für ein umfassenderes Weltbild notwendige Widerspruch kommt uns abhanden.
Wenn wir vorwiegend in digitalen Räumen kommunizieren, die unsere eigenen Sichtweisen bestätigen oder verstärken, fällt es uns schwerer, Kompromisse einzugehen und anderen Haltungen Gehör zu schenken. Wir bauen ein digitales Gefängnis für unsere Gedanken und Meinungen und merken nicht, dass wir verlernen, miteinander in Dialog zu treten. Die gesellschaftliche Segregation wird digital verstärkt und unserem Diskurs kommt die Vielfalt abhanden, die er braucht, um zu guten Entscheidungen zu kommen.
Facebook und Konsorten haben die Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit zu bannen wie kein anderes Medium, verfügen aber bewusst über wenige Mechanismen, um Lüge von Wahrheit zu trennen. Was zählt, ist alleine die Währung Aufmerksamkeit.
Am Meinungskrieg beteiligen sich mittlerweile nicht nur Randgruppen und Extremisten. Auch Staaten machen sich die neuen Möglichkeiten, mit Falschnachrichten im Netz psychologische Kriegsführung zu betreiben, zunutze. Es ist ein Krieg ohne Kampf. Ob es Falschmeldungen über nie stattgefundene Vergewaltigungen durch deutsche Soldaten in Litauen sind, die im Zuge einer NATO-Mission dort stationiert waren, oder die Verbreitung einer manipulierten Meldung auf der gehackten Regierungsseite des Golfstaates Katar – beides Ereignisse des Jahres 2017: Die Drahtzieher zielen immer darauf ab, die Souveränität, Legitimität oder Funktionalität ihres Gegners zu schwächen. Wir müssen im digitalen Zeitalter aber auch zur Kenntnis nehmen, dass fremde Mächte aus der Ferne auf demokratische Wahlen Einfluss nehmen können. So hat Facebook zum Beispiel selbst zugegeben, dass in Russland generierte Inhalte und aus Russland bezahlte Anzeigen während der US-Präsidentenwahl 2016 über 126 Millionen US-Amerikaner und damit 40 Prozent der Wähler erreicht haben.
→ Während „Fake News“ und „Echokammern“ als Begriffe mittlerweile in unseren Sprachgebrauch Eingang gefunden haben, fehlen uns die Strategien, wie wir ihrem gezielten Einsatz zur Manipulation Einhalt gebieten können.
Dabei geht die Entwicklung aber weiter und wir sind heute mit ganz neuen Methoden konfrontiert, die Menschen aufgrund ihres Verhaltens im Netz präzise einordnen können und darauf aufbauend gezielt mit individualisierten Botschaften bespielen. Wie der Schweizer Journalist Hannes Grassegger und sein Kollege Mikael Krogerus im Dezember 2016 aufdeckten, wurden diese Methoden erstmals von der Pro-Brexit-Kampagnenorganisation Vote Leave vor der Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft des UK im Juni 2016 und danach von Donald Trump eingesetzt.
Die Technologie der Firma Cambridge Analytica legt zuerst auf Basis von unterschiedlichsten Quellen sehr verlässliche, aussagekräftige Persönlichkeitsprofile von Bürgern an — in den USA alleine von 220 Millionen Menschen — und beschickte diese über Facebook dann mit individualisierten Botschaften, auf die ihr Persönlichkeitstypus am ehesten ansprechen würde. Die Trump-Kampagne konnte so 50.000 bis 60.000 leicht unterschiedliche, auf das jeweilige Persönlichkeitsprofil ausgerichtete Werbeeinschaltungen pro Tag an die Nutzer senden. Wie das funktioniert, erklärte der englische Direktor von Cambridge Analytica, Alexander Nix, in einem Vortrag im September 2016 in New York anhand des in den USA umstrittenen Themas Waffenbesitz. Eine Person, deren Persönlichkeitsprofil einen Hang zu Ängstlichkeit und Unsicherheit aufwies, bekam zum Beispiel ein Bild eines Wohnungseinbruchs in die Nachrichtenleiste gestellt und eine Botschaft dazu, die das Recht auf Waffenbesitz als „Versicherungsschutz“ darstellte. Jemand mit einer traditionellen, bewahrenden Weltsicht erhielt hingegen ein romantisiertes Bild eines Vaters mit seinem Sohn beim Jagen.
Nun ist die Psychometrie, der Versuch, die Persönlichkeit des Menschen zu vermessen, nichts Neues. Doch erstmals konnten durch das gezielte Zusammenführen aller digitalen Spuren, die Menschen im Netz hinterlassen, verlässliche Psychogramme von Millionen Individuen erstellt werden. Nicht nur Republikaner wurden so Ziel der Kampagne, auch eher den Demokraten zugeneigte Afroamerikaner bekamen in wahlentscheidenden Bezirken individualisierte Botschaften mit negativen Statements, die viele davon abhielten, zur Wahl zu gehen. Solche Methoden vergrößern nicht nur die Kluft zwischen den politischen Lagern, sondern öffnen Möglichkeiten der Manipulation und Beeinflussung abseits jeglicher Kontrolle. Für eine faire und gerechte Wahlauseinandersetzung, die Grundlage unserer repräsentativen Demokratie ist, können sie den Todesstoß bedeuten. Es ist nebensächlich, dass sich bis dato nur das konservative Lager dieser