Loverboy. Astrid Seehaus
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Ärgerlich stellte sie fest, dass sie sich von ihren Gedanken hatte mitreißen lassen. Was hatte Kevin gesagt? Ihre Unachtsamkeit konnte sie in dieser Auseinandersetzung die Oberhand kosten.
Sie riss sich zusammen und konzentrierte sich wieder auf das, was Kevin ihr zu erklären versuchte.
„Zuerst hört sich das nach einem attraktiven Angebot an, und später übertreffen die Rückzahlungen in Form von Miete oder Pacht bei Weitem die Investitionen, die man aufgewandt hätte, hätte man das Ding ohne Privatinvestor gebaut“, belehrte er.
„Wir brauchen das Geld, Kevin!“, beharrte Katrin. „Und weißt du immer, was dein Geschäftspartner macht? Vielleicht bescheißt er dich ja und verhandelt gerade selbst mit B.“
„Uli?“, fragte Kevin konsterniert. „Er ist der Kopf von Barkel & Stolze Real Estate. Er hat die Firma gegründet. Sie ist sein Baby. Mich hat er später ins Boot geholt. Warum sollte er jetzt alles, wofür er gearbeitet hat, für ein paar Mäuse mehr wegwerfen?“
„Ach, das weiß ich doch nicht“, entgegnete sie genervt.
Manchmal hatte sie das Gefühl, Kevin wäre mit seinem Partner verheiratet. Uli war das Maß aller Dinge, Kevin folgte ihm wie ein Schatten. Das war schon seit Schulzeiten so.
„Ich weiß nur, dass es niemandem schaden kann, wenn du das Haus verkaufst und wir dafür extra kassieren. Und wenn schon?! Interessiert es jemanden?“
„Ja, das Finanzamt zum Beispiel. Und nein, ich werde nicht an einen Geschäftsmann verkaufen, von dem ich nicht einmal weiß, welche dubiosen Geschäfte er macht, und der einem Schwarzgeld anbietet.“
In diesem Fall sagte er nicht ganz die Wahrheit. Er hatte zumindest eine Ahnung, womit B. sein Geld verdiente. Deshalb graute ihm auch davor, dass er mit diesem „sauberen“ Geschäftsmann in Verbindung gebracht werden könnte. Und sowieso musste seine Frau nicht alles wissen.
Er täuschte sich. Sie wusste bereits eine Menge: Kevin betrog sie mit seiner Sekretärin. Und was er sonst noch anstellte, wollte sie gar nicht wissen. Ihre Ehe war in den letzten Jahren zu einer Farce geworden, und sie war es leid, alles hinzunehmen. Sie wollte einfach mal nur an sich denken. Sie wollte reisen, Ausstellungen besuchen, Neues erkunden, sich ausprobieren. Ganz einfach: Sie wollte das Leben, das er ihr versprochen hatte. War das so schwer zu verstehen? Als Ärztin mit vielen Überstunden würde sie sich ihre Träume niemals erfüllen können. Zu allem Überfluss hatte sie diesen Beruf auf sein Drängen hin ergriffen. Ein Rechtsanwalt und eine Ärztin, das sei die Eintrittskarte zur High Society, so hatte er ihr damals den Studiengang schmackhaft gemacht. Dass sie nicht lachte.
Sie hatte angefangen, ihn im Bett maßlos zu verwöhnen. Was hatte sie sich von dieser Elena für Tipps geben lassen. Tipps, die ihr, wenn sie nur daran dachte, die Schamesröte ins Gesicht trieben. Nachdem sie Elena kennengelernt hatte, war ihr bewusst geworden, dass sie einiges dafür tun würde, um an sein Geld zu kommen, denn Geld war der entscheidende Faktor für Freiheit. Ihre Freiheit, erkauft mit seinem Geld. Viel Geld.
Elena war so alt wie sie, verdiente ihr Geld als Prostituierte in einer Bar in Erfurt und war eines Tages zu ihr ins Krankenhaus gekommen, um sich untersuchen zu lassen. Dass sie dafür extra nach Weimar gefahren war, hatte sie damit begründet, dass ihr Chef nicht alles wissen müsse. In ihrem Job könne man sich nie sicher sein, ob man sich nicht etwas eingefangen habe. Aber Elena hatte nichts, sie war gesund.
Obwohl Katrin nicht gerade prüde war, war sie doch ziemlich verlegen gewesen, als sich Elena ihr im Untersuchungszimmer in der Erotik-Wäsche präsentiert hatte. Und dann hatte sich die rumänische Hexe auch noch über sie lustig gemacht.
Das sei es, was man brauche, um einen Mann scharf zu machen, hatte Elena erklärt.
Nun waren Spitzendessous nichts, was Katrin ablehnte, aber bei dem Schnitt dieser speziellen Reizwäsche war ihr nur eines in den Sinn gekommen: dass es sie viel Überwindung kosten würde, sich vor Kevin derart darzubieten. Im Gegensatz zur großen und schlanken Elena war sie klein und mollig.
Kevin waren fast die Augen aus den Höhlen gesprungen, als sie am gleichen Abend mit geschlitztem Lack-Slip und nippelfreiem BH aus dem Badezimmer gekommen war. Reizwäsche, so subtil wie ein Holzhammer. Sie war sich sicher gewesen, dass er sie auslachen und Klein Kevin vor Unlust in der Hose bleiben würde. Doch das Glühen in seinen Augen hatte sie weitermachen lassen. Und als sie in Ermangelung einer Dominapeitsche Alinas Reitgerte hervorgezogen und ihm den Hintern versohlt hatte, war sie schockiert über seine Reaktion gewesen. Er hatte sich doch tatsächlich eine Wiederholung gewünscht.
In der Zwischenzeit erkannte Katrin, dass ihre Worte nichts bei Kevin ausrichten konnten. Den verbalen Schlagabtausch hatte sie verloren, aber sie nahm sich vor, im Bett weiterhin die Oberhand zu behalten.
Als Alina früher als sonst von der Schule nach Hause kam, war von der Auseinandersetzung zwischen ihren Eltern nichts mehr zu spüren. Befriedigt von dem, was seine Frau mit ihm angestellt hatte, hatte es sich Stolze anders überlegt und erledigte seine Arbeit, statt im Büro, zu Hause. Ihre Mutter Katrin lag in der Badewanne und machte Zukunftspläne. Das alles interessierte Alina nicht. Ihr wäre nicht einmal aufgefallen, wenn ihre Eltern sich im Wohnzimmer geprügelt hätten. Sie war in ihren Gedanken mit ihrem Traummann beschäftigt. Er würde sie im Filmgeschäft ganz groß rausbringen. Er liebte sie. Sie war sein sexy Partygirl.
Im Zimmer warf sie sich aufs Bett und wählte Lydias Nummer. Sie hatten sich gerade erst voneinander getrennt, aber Alina spürte schon wieder dieses Bedürfnis, mit ihr zu reden. Ihr alles von Zascha zu erzählen. Alina konnte sich endlos über ihn auslassen, und Lydia hörte immer zu, ohne sie jemals zu unterbrechen. Sie mochte Lydia wirklich gern, obwohl sie anders war. Oder vielleicht sogar, weil sie anders war. Ruhig und besonnen, fast schon schüchtern, nicht so impulsiv wie sie, die einfach im Mittelpunkt stehen musste. Lydia war die ideale Freundin.
Alina trat vor den großen Wandspiegel und arbeitete an einem verführerischen Lächeln und einem kessen Augenaufschlag. Sie war die geborene Schauspielerin. Und Zascha würde dafür sorgen, dass es bald die ganze Welt erführe.
„Ich liebe dich, Zascha“, murmelte sie.
Sie lauschte ihren Worten nach und lachte zufrieden auf, als sich Lydia in der Leitung meldete, der sie sogleich die Ohren vollquatschte.
Erfurt - zwölf Stunden früher - nachts
Das Arschloch war ihm doch tatsächlich entwischt. Carel konnte nicht fassen, dass ihm das passiert war. So ein Fehler! Seit dem ersten Kontakt mit Zascha versuchte er, an ihm dranzubleiben. Er begleitete ihn zum Abkassieren in die Zimmerbordelle, lungerte mit ihm in diversen Cafés und Bars herum, besuchte Vorstellungen von irgendwelchen Schauspielgruppen, ließ sich sogar zu Schulveranstaltungen mitschleppen, bis er an akutem Schlafmangel litt. Und dennoch schaffte es Zascha immer wieder zu entwischen, und niemand wusste, wo er sich aufhielt.
Auch wenn Zascha die Veranstaltungen nutzte, um Mädchen kennenzulernen – je jünger, desto besser –, nahm Carel ihm das Interesse am Theater ab. Irgendwie blieb Zascha undurchschaubar. Auf der einen Seite teilte er die Mädchen in „verführbar“ und „nicht verführbar“ ein. Er bewertete sie als „gute“ und „schlechte“ Ware, und bewies damit seine abgrundtiefe Bösartigkeit. Auf der anderen Seite hatte er einen Sinn für Kultur, kannte die aufgeführten Stücke, die sie sich gemeinsam ansahen, bis ins kleinste Detail. Anspruchsvolle Bühnenfassungen.