2136. Tino Hemmann

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2136 - Tino Hemmann

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ebenso wenn ein Chip zur Wiederverwendung entfernt wurde oder wenn seine Energie erschöpft war. Praescius übermittelte sein Feedback an das GMG der Führerin und an den Chip des Trägers. Allerdings wandelte Praescius alle Informationen in ein leicht verständliches Prozentsystem um, welches die Demokraten »Güte« nannten. So war Güte 100 die höchste erreichbare Stufe. Bei 0 Prozent war der Träger tot, unter Güte 10 unbrauchbar, wobei auch hier Unterschiede zwischen Räudigern und Educares gemacht wurden. Erkrankte ein Räudiger schwer und sank dadurch seine Güte unter einen Wert von 10, dann wurde er fast immer geglättet, damit medizinische Versorgungskosten gespart wurden. Die Educares weinten ihm meist keine Träne nach. Geschah selbiges mit einem erkrankten Educares, so wurde er zunächst in die kleine Medizinische Überwachungsstation (MÜS) im Zentrum des Rottenkomplexes gebracht, in der es einen medizinischen Apparat gab. Educares ließ man seltener sterben.

      Simo sagte eines Tages zu Paul: »Erschwingliche Energiezellen der Demokraten wir sind.«

      Und Paul flüsterte zustimmend: »Yäh. Wenn leer, dann sich vom Hals schaffen sie uns.«

      Einen Moment lang überlegte Simo. »Weißt, 34, auseinanderstromern müssen Chip und Spund«, sagte er schließlich.

      Die Spunde redeten sich innerhalb der Rotte meist mit der laufenden Nummer der Gruppe und nur selten mit dem Vierletter an. Nummer, Rang und Vierletter waren die Bestandteile der Namen in der EDR, hinzu kam ein genetischer Code, den der Chip automatisch er- und mit jeder Information übermittelte, sodass Verwechslungen ausgeschlossen waren. Die Vierletter waren einst aus vor dem Dritten Weltkrieg tatsächlich genutzten Vornamen gebildet worden. Da sie allzeit aus vier Buchstaben bestanden, passten sie gut in das schlichte System. Räudiger konnten mitunter einen Teil ihres alten Namens behalten, so er bekannt war, die Educares erhielten ihren Vierletter über ein Zufallsprinzip.

      »Meinst ernst auseinanderstromern?« Paul, dessen Haut deutlich dunkler war als die aller anderen und der wie ein Morgenländer ausschaute, schüttelte heftig den Kopf. »Geht nur im Tod, 17. Nur im Tod. Yäh. Verdrusseln du wohl 31? Zutrauen mir. Auseinanderstromern Chip und Spund nur im Tod. Ist Nötigung von denen der EDR.«

      Pauls Name war erhalten geblieben. Paul erklärte Simo, er heiße seit seiner Geburt Paul, schon damals, in der Abtrünnigen-Stadt, deren Namen er vergessen habe, weit im Osten des Kontinents. Der dunkle Junge kannte sogar noch den Namen seines Vaters, nur den der Mutter hatte er vergessen. Pauls Vater hieß Jonathan. Und manchmal erzählte Paul, dass Jonathan lebte und nach Paul suchte.

      Simo wünschte sich, er würde seines Vaters Namen noch wissen.

      *

      Der Kleine erinnerte sich an Vergangenes. Zwar hatte Simo längst den Vierletter der einstigen Nummer 31 der Elia-Gruppe vergessen, doch 31, ein Räudiger wie er, war an die zwölf Jahre alt geworden und hätte es fast geschafft, die Pythonrotte endlich verlassen zu können. Dann aber hatte 31 das Skalpell ertauscht und einen Räudigerfreund gebeten, ihm den Rücken aufzuschneiden, um den Chip zu finden und zu entfernen. Der tat ihm den Gefallen, denn wäre die Operation gelungen, wäre 31 unsichtbar gewesen und hätte problemlos fliehen können – Zäune oder Fallen gab es nirgends. Über Montgolfière erfolgte jedoch ohne Zeitverzug die Meldung an Praescius, ein Chip verlasse den Sektor der Pythonrotte.

      Es kam schlimm – sehr schlimm! –, denn Nummer 31 war durch den unautorisierten Eingriff ins Rückenmark ganz plötzlich komplett gelähmt, der Chip zudem mit ihm verwachsen. 01-Spundgruppenführer-Elia erhielt Botschaft von Praescius, dass die Güte von 31 unter 5 gesunken sei und dass er 31 somit glätten dürfe. Also ging Elia zu dem auf dem Boden Liegenden, der mit schmerzerfüllten Augen zum Gruppenführer aufsah und flehte: »Bring um! Hilf, Elia, sei einz’ges Mal gnädig!«

      Der Spundgruppenführer hielt das GMG in der Hand, stellte die Strafe ein, den Daumen auf Knopf 31, verzog dabei spitzbübisch den Mund und zeigte schließlich ein breites Grinsen. »Ich hätte wahrhaft nie gedacht, dass ich mal einem verpissten Räudiger einen Gefallen tun werde. Nie hätte ich das gedacht. Ich glaub fast, ich lass mir Zeit für dich, viel Zeit. Was ist, 31, wolltest wohl abhauen und deine liebe Rotte verlassen? Wolltest der EDR Gemeines tun oder was?« Er änderte die Einstellung am linken oberen Knopf auf »starke Schmerzen« und drückte Knopf 31. »Yäh! Nimm das hier! Tut’s gut, 31?«, fragte Elia mit bösartig ernstem Gesicht.

      Andere Spunde waren hinzugekommen, starrten Elia an, doch kein einziger wagte einen Spruch.

      Nur Simo flehte unter Tränen: »Lass bitte sein, 01!« Elia hörte Simos Worte nicht. Oder er wollte sie nicht hören.

      Elia war wohlgewachsen, muskulös, reinlich und schön, wurde von der Rottenführerin geliebt, schien ein loyaler Verbündeter der Demokraten zu sein, war bösartig und die Räudiger bezeichneten ihn als »Ungut« – das ärgste Schimpfwort und die absolute Steigerung von »Bosheit«.

      Immer wieder drückte Elia den Knopf. Doch 31 ließ nur die splitternden Zähne im blassen Gesicht sehen, das nicht schmerzverzerrter hätte sein können. Blut kroch ihm aus Mund und Nase, als würde sich sein Innerstes nach außen kehren. Der Eingriff ins Rückenmark hatte jegliches Kommunikationsvermögen des Jungen zerstört, nicht aber sein Schmerzempfinden. Er litt unter der Starre, der Lähmung seines gesamten Körpers, litt unter der völligen Wehrlosigkeit. 31 hasste den Spundgruppenführer so sehr! Mehr noch als die anderen Räudiger ihn hassten.

      Dass 31 sich nicht beschweren konnte, das passte Elia aber so gar nicht. Mit zuckenden Mundwinkeln drückte er oben den mittleren Knopf und dann Knopf 31. Er schaute ganz genau hin, als wollte er es genießen, dass schon durch eine leichte Berührung des Knopfes das Leben von 31 gelöscht wurde. Zu Elias Enttäuschung änderte sich die Mimik von 31 jedoch nicht.

      Aber Simo, dem verhasstes Tränenwasser über die Wangen floss, hatte längst erkannt, dass der Glanz in den Augen des Geglätteten zunächst matter wurde und dann völlig verschwand, dass sein Lebenslicht erlosch und die Pupillen bald regungslos waren.

      »17! Yäh, du Heulkotz! Peinlicher Rattenschiss. Bring mir seinen Chip!«, brüllte der Spundgruppenführer eilig, als käme ihm die aufkeimende Stille unheimlich vor. Elias befehlende blaue Augen funkelten Simo an.

      Simo starrte den blutigen, aufgeschlitzten Rücken von 31 an. Wie angewurzelt stand der Kleine da, zu keiner einzigen Bewegung fähig. Zwar hätte sich Simo in diesem Augenblick gern geregt, denn nichts wünschte er sich mehr, als dem 01 an den Hals zu springen und ihm die Gurgel zu zerquetschen, ihm jeden Knochen einzeln zu brechen, ihm mit den Fingern die Augenhöhlen zu entkernen und mit dem Skalpell, das neben 31 lag, seinen Stummel von einem Pisspimmel rauszuschneiden! Um diese Gedanken jedoch in die Tat umzusetzen, war Simo zu klein, zu schmächtig.

      »Yäh! 17-Spund-Simo! Rattenschiss verfurzter, bring mir den Chip, sonst glätte ich dich auch noch, du peinlicher Räudiger!«, rief Elia in diesem Moment.

      34-Spund-Paul stand unmittelbar hinter Simo und schien dessen hassende Gedanken zu hören. »Lass den Ungut«, hauchte er leise, sodass es nur Simos Ohren hören konnten. Er kniete sich neben 31, griff mit der bloßen Hand in dessen offenen Rücken und riss Chip, Fleisch und Gewebe heraus, als wüsste er, dass es 31 nicht mehr wehtun konnte. Rasch erhob sich Paul und drückte dem Spundgruppenführer überraschend heftig eine Handvoll blutigen Fleisches des Geglätteten gegen die Brust, sodass dieser einen Schritt rückwärts taumelte. »Geb dir Chip von 31, Runzelloser!«, fluchte Paul so laut, dass es alle mit anhören mussten. »Hast begehrt danach? So nimm’s g’fälligst! Bist eben mein g’feierter Führer, drum spend ich dir gern.«

      Alle erkannten den abgrundtief hassenden Hohn in Pauls Worten.

      Simos rechte Wange zuckte. Es war kein Lachen. Simo lachte nie. Das Shortshirt seines Gruppenführers war

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