Die Forsyte-Saga. John Galsworthy

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Die Forsyte-Saga - John Galsworthy

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begriff nicht, was sie an ihm auszusetzen hatte. Wenn er noch ein Trinker gewesen wäre! Stürzte er sich in Schulden, spielte oder fluchte er, war er gewalttätig oder hatte er leichtsinnige Freunde? Blieb er die Nächte fort? Im Gegenteil.

      Die tiefe, unterdrückte Abneigung, die er seiner Frau anmerkte, war ihm ein Mysterium und eine Quelle der furchtbarsten Aufregung. Daß sie sich getäuscht hatte und ihn nicht liebte, daß sie versucht hatte ihn zu lieben und es nicht vermochte, war doch kein Grund dazu.

      Wer eine so fernliegende Ursache dafür suchte, daß seine Frau nicht gut mit ihm stand, war sicherlich kein Forsyte.

      Soames war darum geneigt, Irene allein alle Schuld zuzuschreiben. Er war nie einer Frau begegnet, die eine so allgemeine Bewunderung erregte. Wo er sich mit ihr zeigte, mußte er sehen, welche Anziehungskraft sie auf die Männer ausübte; ihre Blicke, ihre Mienen und Stimmen verrieten es. Irenens Benehmen war bei diesem Aufsehen über jeden Tadel erhaben. Daß sie eine jener Frauen war – sie sind nicht häufig in der angelsächsischen Rasse – die zum Lieben und Geliebtwerden geboren sind und ohne Liebe nicht leben können, war ihm wahrscheinlich nie in den Sinn gekommen. Ihre Anziehungskraft sah er für einen Teil ihres Wertes als sein Eigentum an; aber sie erweckte allerdings auch die Vermutung in ihm, daß sie ebenso geben könne wie nehmen; und ihm gab sie nichts! »Warum hat sie mich dann geheiratet?« fragte er sich beständig. Er hatte vergessen, wie er um sie geworben; hatte jene anderthalb Jahre vergessen, wo er sie belagert und ihr nachgestellt hatte, wo er Pläne zu ihrem Vergnügen geschmiedet, ihr Geschenke gebracht, immer wieder seinen Antrag wiederholt und durch seine beständige Anwesenheit ihre übrigen Verehrer verscheucht hatte. Er hatte jenen Tag vergessen, an dem er geschickt einen heftigen Ausbruch ihres Widerwillens gegen ihre häusliche Umgebung ausgenutzt hatte und seine Bemühungen von Erfolg gekrönt sah. Wenn noch etwas in seiner Erinnerung haftete, so war es die schnöde Launenhaftigkeit, mit der das goldhaarige, dunkeläugige Mädchen ihn behandelt hatte. Sicherlich erinnerte er sich nicht des Ausdrucks in ihrem Gesicht – jenes seltsamen, duldenden, anklagenden Blickes – als sie sich eines Tages plötzlich ergab und sagte, daß sie ihn heiraten wolle.

      Es war ein Werben voll inniger Hingebung gewesen, wie es in Büchern und von den Menschen gepriesen wird, wo der Liebende nach langem geduldigen Harren schließlich belohnt wird und mit den Hochzeitsglocken ein ewiges Glück beginnt.

      Soames ging, verdrießlich auf der Schattenseite der Straße hinschleichend, dem Osten zu.

      Das Haus mußte neu gestrichen werden, wenn er sich nicht entschloß aufs Land zu ziehen und zu bauen.

      Zum hundertsten Mal in diesem Monat überdachte er diesen Plan. Sich zu überstürzen hatte keinen Zweck! Er lebte in sehr behaglichen Verhältnissen, mit seinem wachsenden Einkommen das fast dreitausend Pfund im Jahr betrug; aber sein angelegtes Vermögen war vielleicht nicht so groß wie sein Vater glaubte – James neigte zu der Annahme, daß es seinen Kindern besser ging, als es der Fall war. »Achttausend kann ich leicht aufbringen,« dachte er, »ohne Robertson oder Nicholl in Anspruch zu nehmen.«

      Er war stehen geblieben, um sich einen Bilderladen anzusehen, denn Soames war ein ›Liebhaber‹ von Bildern und hatte Montpellier Square Nummer 62 ein kleines Zimmer, wo an der Wand aufgestapelt eine Menge Gemälde standen, die aufzuhängen er keinen Platz hatte. Er brachte sie, gewöhnlich in der Dämmerung, auf seinem Wege aus der City mit nach Haus und pflegte sich an Sonntag-Nachmittagen in diesem Zimmer aufzuhalten, wo er Stunden damit zubrachte, die Bilder gegen das Licht zu wenden, die Zeichen auf ihrer Rückseite zu prüfen und sich gelegentlich Notizen zu machen.

      Es waren fast nur Landschaften mit Figuren im Vordergrund, ein Zeichen geheimer Auflehnung gegen London, gegen die großen Häuser, die endlosen Straßen, wo sein Leben und das Leben der Seinen und seiner Klasse sich abspielte. Von Zeit zu Zeit nahm er dann ein oder zwei Bilder in einer Droschke mit und hielt auf dem Wege in die Stadt bei Jobson an.

      Er zeigte sie selten jemand. Irene, auf deren Urteil er im geheimen etwas gab und es vielleicht darum nie forderte, kam nur bei seltenen Gelegenheiten in das Zimmer, um irgend eine Hausfrauenpflicht zu erledigen. Er forderte sie nicht auf, die Bilder anzusehen, und sie tat es auch niemals. Das war für Soames ein neuer Kummer. Er haßte ihren Stolz und fürchtete ihn heimlich.

      Aus der Spiegelscheibe des Bilderladens schaute sein eigenes Bild ihn an.

      Sein schlichtes Haar unter der Krempe des großen Hutes hatte einen Glanz wie der Hut selbst. Seine blassen schmalen Wangen, die Linie seiner glatt rasierten Lippen, das feste Kinn mit dem vom Rasieren grauen Schimmer und die zugeknöpfte Straffheit seines schwarzen Schoßrockes machten einen Eindruck von Zurückhaltung und Verschwiegenheit, von unerschütterlicher, sicherer Gelassenheit; aber seine kalten grauen Augen mit dem gespannten Blick und der Falte zwischen den Brauen, musterten ihn nachdenklich, als wüßten sie von einer geheimen Schwäche.

      Er sah nach dem Gegenstand der Bilder, dem Namen der Maler und berechnete ihren Wert, aber ohne die Befriedigung, die ihm dieses innerliche Taxieren sonst gewährte, und ging weiter.

      Nummer 62 würde für ein weiteres Jahr völlig ausreichen, wenn er sich entschloß zu bauen! Die Zeiten waren günstig zum Bauen, Geld war seit Jahren nicht so teuer gewesen; und die Baustelle, die er bei Robin Hill gesehen hatte, als er im Frühjahr hingefahren war um Nicholls Hypotheken zu prüfen – wo konnte er eine bessere finden! Zwölf Meilen von Hyde Park Corner gelegen, würde der Wert des Bodens sicher steigen und immer mehr einbringen als er dafür zahlte, so daß ein wirklich in gutem Stil gebautes Haus die beste Kapitalanlage war.

      Das Bewußtsein, der einzige in der Familie zu sein, der ein Landhaus besaß, kam bei ihm kaum in Betracht, denn für einen echten Forsyte waren Gefühle, selbst das Gefühl der gesellschaftlichen Stellung, ein Luxus, den man sich erst gestatten durfte, nachdem das Verlangen nach mehr materiellen Freuden gestillt war.

      Irene aus London fortbringen, ihr die Möglichkeit nehmen auszugehen und Leute zu sehen, sie von ihren Freunden trennen und von allen die ihr den Kopf verdrehten! Das war's! Sie war zu dick befreundet mit June! June konnte ihn nicht leiden. Er erwiderte dies Gefühl. Sie waren von gleichem Blut.

      Alles wäre gewonnen, wenn er Irene aus der Stadt herausbekommen konnte. Das Haus würde ihr gefallen, und es machte ihr vielleicht Spaß, sich an der Ausschmückung mit zu beteiligen, sie hatte sehr künstlerische Anlagen!

      Das Haus mußte in gutem Stil gebaut sein, so daß immer ein guter Preis zu erzielen war, mußte etwas Eigenartiges sein, wie das letzte Haus von Parker, das einen Turm hatte. Aber Parker hatte ihm selbst gesagt, sein Baumeister habe ihn ruiniert. Man wisse nie, woran man mit diesen Leuten sei. Hatten sie einen Namen, so veranlaßten sie einen zu Ausgaben ohne Ende und wären noch dünkelhaft obendrein.

      Und einen gewöhnlichen Architekten zu wählen, hatte keinen Sinn – der Gedanke an Parkers Turm schloß die Verwendung eines gewöhnlichen Architekten aus.

      Darum hatte er an Bosinney gedacht. Nach der Gesellschaft bei Swithin hatte er Erkundigungen eingezogen, deren Resultat dürftig aber ermutigend war:

      »Einer von der neuen Richtung.«

      »Tüchtig?«

      »Das wohl – aber ein bißchen – ein bißchen hoch hinaus!«

      Es war ihm nicht gelungen ausfindig zu machen, was für Häuser Bosinney gebaut hatte, noch wie seine Preise waren. Er hatte den Eindruck gewonnen, als würde er selber die Bedingungen stellen können. Je mehr er über die Idee nachdachte, desto besser gefiel sie ihm. Damit würde die Sache in der Familie bleiben, der Gedanke kam den Forsytes förmlich instinktmäßig; und er erhielt es wohl zu Vorzugspreisen, wenn nicht gar unter den billigsten Bedingungen – das war

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