Die Forsyte-Saga. John Galsworthy

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Die Forsyte-Saga - John Galsworthy

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täglich wachsenden Gier. Wenn das Leben ihr auch entglitt, das wollte sie bis zum Ende behalten.

      Sie dachte an den jungen Jolyon, Junes Vater, der mit der Ausländerin durchgegangen war. Das war ein Schlag für seinen Vater und sie alle. Solch ein vielversprechender Junge! Ein harter Schlag, wenn es auch glücklicherweise zu keinem öffentlichen Skandal gekommen war, da Jo's Frau keine Scheidung gewollt hatte! Es war lange her! Und als Junes Mutter vor acht Jahren starb, hatte Jo jene Person geheiratet, und sie hatten jetzt zwei Kinder, wie sie gehört. Dennoch hatte er sein Recht verwirkt hier zu sein, hatte sie um die höchsten Erwartungen betrogen, die der Familienstolz in ihr erweckt, und sie der Freude beraubt, ihren Liebling, solch einen vielversprechenden Jungen, auf den sie so stolz gewesen, zu sehen und zu küssen! Dieser Gedanke zehrte mit der Bitterkeit lang erlittenen Unrechts an ihrem zähen alten Herzen. Ihre Augen wurden feucht und sie trocknete sie verstohlen mit einem Taschentuch aus feinstem Batist.

      »Na, Tante Ann?« sagte eine Stimme hinter ihr.

      Soames Forsyte, flachschultrig, glattrasiert, schmalwangig und engbrüstig, aber doch etwas geschlossen Vornehmes über seiner ganzen Erscheinung, sah schräg auf Tante Ann herab, als versuche er durch seine eigene Nase zu sehen.

      »Und was sagst du zu dieser Verlobung?« fragte er.

      Tante Anns Augen ruhten mit Stolz auf ihm. Als der Älteste ihrer Neffen seit dem Verschwinden des jungen Jolyon aus dem Familienkreise, war er jetzt ihr Liebling, denn in ihm erkannte sie einen treuen Heger der Familienseele, die ihrer Obhut so bald entrissen werden sollte.

      »Sehr erfreulich für den jungen Mann,« sagte sie, »er sieht übrigens gut aus. Aber ich weiß nicht, ob er so ganz der Rechte ist für unsere June.«

      Soames befühlte den Rand eines vergoldeten Kronleuchters.

      »Sie wird ihn zähmen,« sagte er, indem er seinen Finger heimlich naß machte und an den höckrigen Buckeln rieb. »Das ist echte alte Vergoldung, so was gibt es heute gar nicht mehr. Der brächte einen guten Preis bei Jobson.« Er sprach mit Behagen, als fühle er, daß er die alte Tante aufheitere. Er war selten so mitteilsam. »Ich wollte, er gehörte mir,« fügte er hinzu, »alte echte Sachen wird man jederzeit gut los.«

      »Du verstehst dich so gut auf solche Dinge,« sagte Tante Ann. »Und wie geht es Irene?«

      Soames' Lächeln erstarb.

      »O, ganz gut,« sagte er. »Sie klagt über schlechten Schlaf, dabei schläft sie viel besser als ich,« und er blickte zu seiner Frau hinüber, die an der Tür mit Bosinney sprach.

      Tante Ann seufzte.

      »Vielleicht wäre es besser,« sagte sie, »wenn sie nicht so viel mit June zusammensteckte. Sie ist ein so ausgesprochener Charakter, die liebe June!«

      Soames stieg die Röte ins Gesicht; sie flog über seine schmalen Wangen und setzte sich als Merkmal quälender Gedanken zwischen den Augen fest.

      »Ich weiß nicht, was sie an dem kleinen Irrwisch findet,« entfuhr es ihm, doch als er merkte, daß sie nicht länger allein waren, drehte er sich um und fing wieder an, den Kronleuchter zu untersuchen.

      »Ich höre, Jolyon hat ein neues Haus gekauft,« sagte seines Vaters Stimme dicht neben ihm; »er muß einen Haufen Geld haben – mehr, als er zu gebrauchen weiß! Am Montpellier Square, sagen sie, dicht neben Soames! Mir hat keiner was davon gesagt – Irene sagt mir nie was!«

      »Ausgezeichnete Lage, keine zwei Minuten von mir,« ließ sich Swithins Stimme vernehmen, »und von meiner Wohnung fahre ich in acht Minuten bis zum Klub.«

      Die Lage ihrer Häuser war für die Forsytes eine Lebensfrage, kein Wunder übrigens, denn die ganze Seele ihres Erfolges war darin verkörpert.

      Ihr Vater, der einem Bauerngeschlecht entstammte, war im Anfang des Jahrhunderts von Dorsetshire gekommen.

      Von Beruf Steinmetz, hatte er sich zum Baumeister emporgearbeitet. Gegen Ende seines Lebens war er nach London gezogen, wo er in Highgate begraben wurde, nachdem er bis an seinen Tod gebaut hatte. Er hinterließ seinen zehn Kindern über dreißigtausend Pfund. Wenn der alte Jolyon ihn überhaupt einmal erwähnte, beschrieb er ihn als einen ›Mann von kräftig derbem Schlag – nicht sonderlich fein‹. Die zweite Generation hatte allerdings das Gefühl, daß nicht viel Staat mit ihm zu machen war. Der einzige aristokratische Zug, den sie in seinem Wesen entdecken konnten, war seine Gewohnheit Madeira zu trinken.

      Tante Hester, eine Autorität auf dem Gebiet der Familiengeschichte, schilderte ihn in folgender Weise:

      »Ich erinnere mich nicht, daß er je etwas tat, wenigstens nicht zu meiner Zeit. Er war eben – Hausbesitzer, weißt du. Sein Haar war etwa von der Farbe wie das von Onkel Swithin; ziemlich vierschrötig war er. Groß? N–nicht sehr (er war fünf einen halben Fuß hoch gewesen, mit roten Flecken im Gesicht), er hatte frische Farben. Trank sehr gern Madeira, das weiß ich noch, fragt nur Tante Ann. Was sein Vater war? Der, hm – der hatte mit dem Land da unten in Dorsetshire, an der See, zu tun.«

      James war einmal hingefahren um selbst zu sehen, aus was für einer Gegend sie eigentlich stammten. Er fand zwei alte Pachthöfe vor, von wo aus eine Wagenspur, die die rote Erde durchfurchte, zu einer Mühle unten am Strande führte, eine kleine graue Kirche innerhalb einer Pfeilermauer und eine noch kleinere und grauere Kapelle. Der Strom, der die Mühle trieb, kam in einem Dutzend kleiner Bäche plätschernd herab, und an der Bucht trieben sich Schweine umher. Ein leichter Nebel verhüllte die Aussicht. Die Vorfahren der Forsytes waren es augenscheinlich zufrieden gewesen, hunderte von Jahren Sonntag für Sonntag, die Füße tief im Morast und den Blick aufs Meer gerichtet, durch diesen Hohlweg zu wandern.

      Ob James im stillen auf ein Erbe gerechnet, oder sonst etwas ganz Außergewöhnliches zu finden gehofft hatte oder nicht, er kam jedenfalls ganz kleinlaut nach der Stadt zurück und war aufs äußerste bemüht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

      »Da ist nicht viel zu holen,« sagte er, »ein richtiges kleines Landnest, und uralt.«

      Das Alter war noch ein Trost. Der alte Jolyon, bei dem mitunter eine unverfrorene Offenherzigkeit hervorsprudelte, sprach von seinen Vorfahren zuweilen als von »Freisassen – kleine Verhältnisse vermutlich.« Doch wiederholte er das Wort »Freisassen«, als gewähre es ihm eine besondere Genugtuung.

      Die Forsytes hatten es alle so weit gebracht, daß sie nun als »gutsituierte Leute«, wie man es nennt, eine gewisse Stellung einnahmen. Sie hatten ihr Vermögen in allen möglichen Aktien angelegt, nur – Timothy ausgenommen – nicht in Konsols, denn sie fürchteten nichts auf der Welt so sehr, wie drei Prozent für ihr Geld. Sie sammelten Bilder und unterstützten Wohltätigkeitsanstalten, die ihren kranken Dienstboten einmal zugute kommen konnten. Von ihrem Vater, dem Steinmetz, hatten sie Verständnis für Ziegel und Mörtel geerbt. Wenn sie ursprünglich vielleicht auch einer schlichten Sekte angehört hatten, waren sie nach dem natürlichen Lauf der Dinge jetzt Mitglieder der Staatskirche und hielten darauf, daß ihre Frauen und Kinder ziemlich regelmäßig die vornehmeren Kirchen der Hauptstadt besuchten. Zweifel an ihrer Christlichkeit hätten sie überrascht und verletzt. Einige von ihnen bezahlten sogar ihre Kirchenstühle und brachten so in der praktischsten Weise ihre Sympathie für die Lehren Christi zum Ausdruck.

      Ihre Häuser lagen in bestimmten Abständen rings um den Park und paßten wie die Schildwachen auf, daß das reiche Herz Londons, an dem ihre Wünsche hingen, nicht ihren Händen entschlüpfte und sie dadurch in der eigenen Achtung sinken ließ.

      Der

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