Die Forsyte-Saga. John Galsworthy
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Читать онлайн книгу Die Forsyte-Saga - John Galsworthy страница 8
Das düstere kleine Arbeitszimmer mit Fenstern aus buntem Glas, die den Ausblick verhinderten, war mit dunkelgrünen Sammet- und reichgeschnitzten Mahagonimöbeln angefüllt – eine Einrichtung, von der der alte Jolyon zu sagen pflegte: »Sollte mich nicht wundern, wenn einst ein hoher Preis dafür geboten würde!«
Es war ihm ein angenehmer Gedanke, daß die Sachen nach seinem Tode einen höheren Preis erreichen würden, als er dafür gegeben hatte.
In der Atmosphäre von reichem Braun, die den Hinterzimmern im Hause Forsyte eigentümlich war, wurde der Rembrandteske Eindruck seines großen Kopfes mit dem weißen Haar gegen das Kissen seines hochlehnigen Stuhles durch den Schnurrbart beeinträchtigt, der seinem Gesicht einen etwas martialischen Ausdruck gab. Eine alte Uhr, die schon seit fünfzig Jahren, noch vor seiner Hochzeit, in seinem Besitz war, verzeichnete mit ihrem Ticken eifersüchtig die Sekunden, die ihrem Herrn für immer entwichen.
Ihm lag nichts an diesem Zimmer und er betrat es kaum jemals im ganzen Jahre, außer um Zigarren aus dem japanischen Wandschränkchen in der Ecke zu holen, und nun rächte sich das Zimmer.
Seine Schläfen, die sich wie ein Dach über den Höhlungen darunter wölbten, seine Backenknochen und das Kinn traten im Schlafe schärfer hervor und sein Gesicht verriet, daß er ein alter Mann war.
Er erwachte. June war fort! James hatte gesagt, er würde einsam sein. Aber er, James, war immer ein armseliger Tropf. Mit Genugtuung dachte er an seinen Hauskauf über James' Kopf hinweg. Geschah ihm recht für seine Knauserei, das einzige, woran der Mensch dachte, war Geld. Oder hatte er doch zuviel gegeben? Es mußte noch eine Menge hineingesteckt werden – wahrscheinlich würde er sein ganzes Geld brauchen, bevor die Sache mit June in Ordnung war. Er hätte diese Verlobung doch nie zugeben sollen. Sie hatte diesen Bosinney im Hause von Baynes – Baynes und Bildeboy, den Architekten – kennen gelernt. Er glaubte Baynes, den er kannte – er hatte etwas von einem alten Weibe – war ein angeheirateter Onkel des jungen Mannes. Seitdem war sie ihm beständig nachgelaufen, und wenn sie sich etwas in den Kopf setzte, war sie nicht davon abzubringen. Sie hatte immer irgend solche armen ›Hungerleider‹ an der Hand. Dieser Bursche besaß keinen Pfennig, aber sie mußte sich durchaus mit ihm verloben – mit diesem unpraktischen Windbeutel, der aus den Schwierigkeiten nicht herauskommen würde.
Sie war eines Tages in ihrer unverfrorenen Art zu ihm gekommen und hatte es ihm gesagt; und wie zum Trost hatte sie hinzugefügt:
»Er ist prachtvoll, er hat oft schon eine Woche lang nur von Kakao gelebt!«
»Und er möchte, daß auch du nur von Kakao lebst?«
»O nein; jetzt kommt er schon ins rechte Fahrwasser hinein.«
Der alte Jolyon hatte seine Zigarre unter dem weißen, an den Enden mit Kaffee gefärbten Schnurrbart hervorgenommen und das kleinwinzige Ding angeschaut, das eine solche Macht über sein Herz gewonnen hatte. Er wußte besser Bescheid mit diesem Fahrwasser als seine Enkelin. Aber sie hatte sich mit den Händen auf seine Kniee gestützt, ihr Kinn an ihm gerieben und einen Laut von sich gegeben wie eine schnurrende Katze. Und er hatte, die Asche von seiner Zigarre klopfend, in ungeduldiger Heftigkeit ausgerufen:
»Ihr seid alle gleich: ihr gebt euch nicht zufrieden, bis ihr erreicht habt was ihr wollt. Wenn du durchaus ins Unglück kommen mußt, so tu's. Ich wasche meine Hände...«
Er hatte also alle Verantwortung von sich geschoben und zur Bedingung gemacht, daß sie nicht heiraten durften, bis Bosinney wenigstens vierhundert Pfund im Jahr verdiente.
»Ich werde euch nicht viel geben können,« hatte er gesagt, eine Redewendung, die June nicht ungewohnt war. »Vielleicht wird dieser, Wie-heißt-er-doch, für den Kakao sorgen.«
Er hatte sie kaum noch zu Gesicht bekommen, seitdem die Sache anfing. Eine böse Geschichte! Es fiel ihm nicht ein, ihr einen Haufen Geld zu geben, um diesem Menschen, von dem er nichts wußte, zu einem Faulenzerleben zu verhelfen. Er kannte das, es kam nie Gutes dabei heraus. Das Schlimmste aber war, daß er keine Hoffnung hatte, sie in ihrem Entschluß wankend zu machen; sie war halsstarrig wie ein Maulesel, war es von Kind an gewesen. Es war kein Ende abzusehen. Sie mußten sich nach ihrer Decke strecken. Er würde nicht nachgeben, bis er sah, daß der junge Bosinney ein festes Einkommen hatte. Daß June ihre Not mit ihm haben würde, war sonnenklar; er hatte ja nicht mehr Ahnung was Geld war, als eine Kuh. Und jetzt wieder diese überstürzte Fahrt nach Wales, um die Tanten des jungen Mannes zu besuchen, die sicherlich alte Drachen waren.
Ohne sich zu rühren, starrte der alte Jolyon auf die Wand, nur die offenen Augen verrieten, daß er nicht schlief ... Diese Idee anzunehmen, daß Soames, dieser junge Laffe, ihm einen Rat geben könne! Er war immer ein hochnäsiger Laffe gewesen! Nächstens würde er sich wohl gar als der reiche Mann aufspielen, mit einem Haus auf dem Lande! Der reiche Mann! Pah! Wie sein Vater war er unaufhörlich nur auf Gewinn bedacht, der kaltherzige Narr!
Er erhob sich, ging an das Schränkchen und fing an seine Zigarrentasche methodisch mit frischem Vorrat zu versehen. Sie waren nicht schlecht für den Preis, aber eine gute Zigarre war heutzutage gar nicht mehr zu haben, nichts im Vergleich zu den alten Superfinos von Hansom und Bridger. Das war eine Zigarre!
Der Gedanke trug ihn wie ein leiser Duft zu jenen wundervollen Abenden in Richmond zurück, wo er mit Nicholas Treffry und Traquair und Jack Herring und Anthony Thornworthy nach dem Essen rauchend auf der Terrasse von ›Krone und Szepter‹ gesessen. Wie gut seine Zigarren damals waren! Armer alter Nick! – tot, und Jack Herring – tot, und Traquair – tot, durch seine Frau ins Grab gebracht, und Thornworthy – der war ja furchtbar klapprig (kein Wunder, bei seinem Appetit).
Von der ganzen Gesellschaft jener Tage schien er allein übrig geblieben zu sein, außer Swithin natürlich, aber der war so maßlos dick, es war gar nichts mit ihm anzufangen.
Schwer zu glauben, daß es solange her war; er fühlte sich noch jung! Von allen Gedanken, die ihm beim Zählen seiner Zigarren durch den Kopf gingen, war dies der stechendste und bitterste. Mit seinem weißen Haar und seiner Einsamkeit war er im Herzen jung und frisch geblieben. Und die Sonntagnachmittage in Hampstead Heath, wenn er mit seinem Jungen einen Ausflug machte und hernach in Jack Straws Castle zum Essen einkehrte – wie köstlich waren seine Zigarren dann! Und das Wetter! Jetzt gab es gar kein Wetter mehr.
Als June ein kleiner Tolpatsch von fünf Jahren war und er sie jeden zweiten Sonntag von den beiden guten Frauen, ihrer Mutter und Großmutter holte, um sie in den Zoo mitzunehmen, wo er oben vom Bärenzwinger ihre Lieblingsbären mit Weißbrot fütterte, das er an seinen Schirm steckte, wie herrlich waren seine Zigarren da!
Zigarren! Er hatte nicht einmal mehr Gelegenheit von seiner feinen Zunge Gebrauch zu machen – dieser berühmt feinen Zunge, auf die alle Leute in den fünfziger Jahren schworen und ihn, wenn sie von ihm sprachen, »die feinste Zunge in London« nannten! Dieser feinen Zunge hatte er übrigens in gewissem Sinne sein Glück zu verdanken – das Glück der berühmten Teefirma Forsyte und Treffry, deren Tee, wie kein anderer, ein romantisches Aroma und den Reiz einer ganz besonderen Echtheit hatte. Über dem Hause Forsyte und Treffry in der City hatte eine geheimnisvolle Atmosphäre von Unternehmungslust gelegen, von besondern Handelsbeziehungen auf besondern Schiffen in besondern Häfen mit besondern Firmen des Orients.
Und wie hatte er in diesem Geschäft gearbeitet! Damals arbeitete man noch! Diese jungen Grünschnäbel kannten kaum die Bedeutung des Wortes.