Das Virus in uns. Kurt Langbein

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Das Virus in uns - Kurt Langbein

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Menschen, vorangetrieben. Ohne sie gäbe es wohl heute keine Sexualität, würden dem Menschen manche Gene fehlen und sein Abwehrsystem wäre weniger leistungsfähig.

      »Viren gehören zu unserem Ökosystem, zu unserem Leben, zu unserer Umwelt, zu unserer Verdauung. Rund 50 Prozent des menschlichen Erbguts stammt von Viren«, sagt die deutsche Virologin Karin Mölling. »Viren sind die Treiber der Evolution, nicht primär Krankmacher«, erklärt die Grande Dame der Virenforschung vom Berliner Max-Planck-Institut, die seit ihrer Forschung an HIV weltweiten Ruf genießt.59 Für sie deutet alles darauf hin, dass Viren am Anfang des Lebens standen und eigentlich lebendig sind, auch wenn ihnen die Fähigkeit zur Fortpflanzung und zum Stoffwechsel fehlt und sie von den meisten Forschern für leblose Partikel gehalten werden. Für eine Zuordnung zum Lebendigen sprechen einige immer stärker werdende Argumente. Immerhin können Viren sich genetisch verändern – durch Mutationen. Und wenn sie ihren Bauplan in eine Biozelle eingebaut haben, dann sind sie auch Bestandteil eines lebenden Systems.60

       War am Anfang das Virus?

      Viren bestehen hauptsächlich aus Erbgut – DNA, viel öfter noch RNA. Die Nukleinsäure, für deren englisches Wort das Kürzel NA steht, ist die materielle Basis der Gene. Im Gegensatz zu den doppelsträngigen DNA-Molekülen kommen die RNA-Moleküle für gewöhnlich einzelsträngig vor. Das ermöglicht mehr dreidimensionale Strukturen und chemische Reaktionen, die es bei der DNA nicht gibt. Bei Schäden oder Mutationen kann sich allerdings die DNA durch den zweiten Strang viel eher selbst reparieren, deshalb mutieren Viren mit RNA-Strukturen auch viel schneller.

      Im Labor lässt sich RNA relativ einfach herstellen. Das gelang 2009 erstmals Wissenschaftlern der Universität Manchester aus Substanzen, wie sie wahrscheinlich auch in der Urerde vorhanden waren. Sie nahmen dazu ein einfaches Molekül, das als Gerüst zum Aufbau von Nukleinsäure-Bausteinen diente.61 Ein solcher chemischer Vorgang könnte auch in der Urerde möglich gewesen sein, meinen Forscher, die der Virus-first-Hypothese anhängen, also davon ausgehen, dass Viren am Anfang des Lebens standen. Die Idee dahinter: Bei der Entstehung des Lebens sind zuerst nicht Biozellen, sondern Virus-Vorläufer aus RNA entstanden, die als chemische Schnipsel in die Umwelt freigegeben wurden und sozusagen als Informationsträger umherschwirrten. Beweise dafür gibt es nicht, weil fossile Viren aus der Zeit vor vier Milliarden Jahren fehlen. Die Suche danach auf anderen Planeten könnte helfen, eine Bestätigung für die These zu finden, etwa auf dem Mars, weil es dort noch sehr altes Gestein gibt, wesentlich älter als auf der Erde. Würden dort Überreste von Virenpartikeln isoliert, aber keine Zellen, dann wäre das ein Hinweis darauf, dass in der Evolution zuerst RNA-Systeme entstehen und erst dann biologische Zellen. Doch das ist alles noch Gegenstand von Experimenten und Annahmen.

      Viel weiter sind die Forschungen, die sich auf die Entstehung und Entwicklung des Menschen beziehen. Die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts und die Genomanalysen anderer Lebewesen haben gezeigt: Alles, ob Nahrungsmittel, Raubtiere oder potenziell krankmachende Mikroben, hatte einen Einfluss auf die Evolution des Menschen.62 Dieser sogenannte horizontale Gentransfer – die Übertragung von Genen zwischen zwei Organismen, die nicht miteinander verwandt sind – hat zu vielgestaltigen Genomen geführt. Und Viren haben dabei eine nicht unbedeutende Rolle gespielt. »Viren haben sich gemeinsam mit ihren Wirten weiterentwickelt, und ihre Verwandtschaftslinien können als Lianen betrachtet werden, die sich um den Stamm, die Äste und die Zweige des Lebensbaums schlingen«, sagt Patrick Forterre, vor der Pensionierung Direktor der Abteilung für Mikrobiologie des Pariser Pasteur-Instituts.63

      »Jede einzelne Spezies hat zahlreiche auf sie spezialisierte Viren«, erklärt Forterre. Der Mikrobiologe, auch er überzeugter Verfechter der Virus-first-Theorie, bezweifelt die Lehrbuch-Hypothese von Viren als »Taschendieben«, die sich aus den Zellen Erbgut klauen und damit selbstständig machen. Die umgekehrte Variante sei biologisch wesentlich plausibler. Im Lauf der Evolution hätte es einen gewaltigen Nachteil bedeutet, parasitäre Mikroben, die nur ihren eigenen Vorteil bedienen, in lebendige Systeme einzubinden. Stattdessen wurde die Bildung von Symbiosen, also kooperativen Systemen, klar bevorzugt. Organismen, die es nicht schafften, sich mit ihren Mikroben abzustimmen, starben aus. Mittlerweile gibt es schon etliche Funde, die Forterres These untermauern sowie gleichzeitig zeigen, welche Überlebenskünstler Viren sind und wie sehr sie zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts im globalen Ökosystem beitragen. So wurden im Erbgut eines zwölf Millionen Jahre alten Kaninchens Viren gefunden, die jenen des Aids-Verursachers HIV ähnlich sind; Ähnliches fand sich in 13 Millionen Jahre alten Lemuren auf Madagaskar.64 Und Forscher im Berliner Naturkundemuseum konnten vor Kurzem nachweisen, dass ein eidechsenähnliches Tier, das vor 289 Millionen Jahren in der Permzeit lebte, an einer Erkrankung des Knochenstoffwechsels litt, hervorgerufen durch masernähnliche Viren.65

       Ein 50 Millionen Jahre alter Phönix

      »Phönix«, so nannte Thierry Heidmann das Virus, das er 2006 in seinem Labor zu neuer Aktivität erweckte.66 Dem französischen Biophysiker war etwas gelungen, was Forscherkollegen als »Jurrasic-Park-Experiment« bezeichneten. Er hatte Kopien eines – wie sich herausstellte – 50 Millionen Jahre alten Retrovirus, dessen genetischen Bauplan er im menschlichen Genom entdeckt hatte, wieder in die Lage versetzt, von einer Wirtszelle neue Virenpartikel produzieren zu lassen. Diese Partikel konnten dann ihrerseits wieder Zellen infizieren und ihre kopierten Gene in die Zelle einfügen. Bis dahin waren die Virus-Kopien inaktiv gewesen, denn in den Jahrmillionen hatte sich ihr Erbgut ein paarmal verändert, ohne sich jedoch einen neuen Wirt zu suchen.

      Gleich dem mythologischen Vogel, der aus seiner eigenen Asche wiederersteht, entstand so ein vollständiges und aktives Virus, zusammengesetzt aus seinen in menschlicher DNA festgeschriebenen Teilen. Wie kam der Ursprungs-»Phönix« in die menschliche DNA? Er muss in Urzeiten Keimzellen menschlicher Vorfahren infiziert haben und dann von Generation zu Generation weitergegeben worden sein. Die Überbleibsel solcher Viren-Kopien werden humane endogene Retroviren genannt – ihr Kürzel ist HERV. »Phönix« ist nicht das einzige – immerhin rund 8 Prozent des menschlichen Erbguts bestehen aus solchen HERVs. Identifiziert wurden bereits mehr als 30 HERV-Familien.

      Aber welchen evolutionären Sinn ergibt das? Lange Zeit blieb der Grund, warum sich die Genbruchstücke im menschlichen Erbgut eingenistet haben, im Dunkeln. Für die Wissenschaft waren sie einfach »Junk-DNA«, nutzloser Abfall. Doch nach und nach hat sich herausgestellt, dass sie nicht von ungefähr eng mit dem Menschen verbunden sind. Einerseits treiben sie die Evolution voran, weil die Gene, die sich nicht vom Virus infizieren lassen, ausgeschieden werden. Aber neue Forschungen zeigen, dass sie auch zu Neuerungen im Genom beitragen, etwa indem sie neue genetische Codes für die Herstellung bestimmter Moleküle einbringen.67 Ein Beispiel dafür ist das Enzym Amylase, das notwendig ist, um Stärke abzubauen. Die meisten Säugetiere bilden dieses Enzym nur in der Bauchspeicheldrüse. Nicht so der Mensch. Bei ihm bildet es sich auch in der Speicheldrüse – eine Voraussetzung für die Ackerbaukultur: Nur wer Getreide leicht verdauen kann, für den ist Ackerbau sinnvoll. Zu verdanken ist diese Eigenschaft einem Retrovirus68, das sich in der Nähe von drei Amylase-Genen ins Genom einnistete und dafür sorgte, dass auch die Speicheldrüsen den Stoff herstellen.69

       Ohne Viren keine Kinder

      Eigentlich gehören Viren zu den sich am schnellsten verändernden Mikroben. Doch die Genbestandteile der endogenen Retroviren sind, wie »Phönix« bewiesen hat, erstaunlich dauerhaft, was ihren Verbleib bei einem Wirt betrifft. Das deutet darauf hin, dass das jeweilige neue Gen vom befallenen Organismus sehr oft gut gebraucht werden kann.70 Erste Erkenntnisse dazu, wie nützlich die Virusgene im Menschen sein können, gab es bereits 1978.

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