Das Virus in uns. Kurt Langbein

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Das Virus in uns - Kurt Langbein

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Tirol. »Für alle BesucherInnen, die im besagten Zeitraum in der Bar waren und keine Symptome aufweisen, ist keine weitere medizinische Abklärung nötig. BarbesucherInnen, die aktuell grippeähnliche Symptome haben, sollen die Gesundheitshotline 1450 wählen und werden in der Folge ärztlich abgeklärt. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.«55

      In Norwegen registriert man unterdessen bereits 500 Corona-Fälle, bei denen die Ansteckung in Österreich erfolgt sein musste. Die große Mehrheit davon in Ischgl. Tirol wird daher auch dort auf die Liste der Risikogebiete gesetzt. Am Morgen des 9. März leitet das Gesundheitsministerium in Wien diese Meldung an die Landessanitätsdirektion Tirol weiter. Auch Dänemark hat Ischgl mittlerweile auf die Liste der Hochrisikogebiete gesetzt.

      Am selben Tag wird bekannt, dass die Tests von 16 Mitarbeitern und Kontaktpersonen im »Kitzloch« positiv ausgefallen sind. Erst jetzt ordnet die Bezirkshauptmannschaft Landeck die sofortige Schließung des Lokals an. Die Touristen werden allerdings immer noch nicht informiert, Hotels und Skilifte bleiben im Vollbetrieb.

      Und inzwischen ist durchgesickert, dass es auch in anderen Skiorten wie St. Anton und Lech am Arlberg zahlreiche Infizierte gibt.

       Feiern trotz Schließung

      »Bei allen in der Gemeinde Ischgl bewilligten Après-Ski-Lokalen ist der Après-Ski-Betrieb unverzüglich einzustellen.« So steht es in der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Landeck, die für Ischgl zuständig ist, vom 10. März. Aber kaum ein Wirt hielt sich daran: Noch am selben Abend wurde in Bars gefeiert, als gäbe es weder das Coronavirus noch die behördlichen Betriebssperren. Das belegen unter anderem Fotos und Videos, die sechs deutsche Urlauber der Zeitschrift »profil« zur Verfügung stellten – die Aufnahmen aus dem Après-Ski-Lokal »Trofana Alm« stammen vom 10. März um 21:31 Uhr, das geht aus den Metadaten hervor.56

      Das Lokal war zu dieser Zeit voll, die meisten Gäste sangen und tanzten eng an eng zur Musik. Zurück in Deutschland, wurden die sechs Urlauber alle positiv auf Corona getestet. Der Betreiber der »Trofana Alm« ist Obmann des Tourismusverbands Paznaun-Ischgl. Auch andere Après-Ski-Bar-Betreiber wollten das verfrühte Saisonende nicht so recht einsehen. Zunächst versuchten sie, ihre Partybuden mit anderen Konzessionen – etwa für den Betrieb eines Restaurants – weiterzuführen. Noch am Vormittag des 11. März stellte die Bezirkshauptmannschaft per E-Mail klar: »Es ist nicht relevant, welche zusätzlichen Konzessionen das Lokal besitzt. Es sind daher die betreffenden Lokale spätestens mit 16:00 Uhr zu schließen.«

      Bei einer Kontrolle um 16 Uhr stellten Ischgler Polizeibeamte fest, dass sich mehrere Lokale dennoch nicht an diese Vorgaben hielten, schreiben die Beamten in ihren Aktenvermerk. Die »Schatzi-Bar« etwa hatte ihren Ausschank kurzerhand ins Freie verlegt. Die Eigentümerin, die im Aufsichtsrat des Tourismusverbands sitzt, erklärte den Beamten, dass »der Betrieb als Restaurant geführt werde« und »kein Après-Schi veranstaltet werde«. Die Beamten schritten nicht ein. Sie berichteten der Bezirkshauptmannschaft Landeck bloß, dass eine »zwangsweise Durchsetzung der Verordnung aufgrund des wetterbedingt starken Personenverkehrs und dem Umstand, dass damit lediglich eine Verlagerung der Menschenansammlungen erzielt würde, nicht verhältnismäßig erschien«. Die Polizisten regten bei der Bezirkshauptmannschaft an, dass den Betreibern am folgenden Tag »nochmals die Einhaltung der Verordnung nahelegt wird«, berichtet das »profil«.

      Der Skibetrieb ging weiter. Alle anderen Restaurants waren weiter offen, ebenso die Skilifte.

       Lockdown ins Chaos

      Erst am Freitag, dem 13. März, reagierten die Gesundheitsbehörden und die Landesregierung. Sie verhängten eine Quarantäne über das Paznauntal, in dem Ischgl liegt, und St. Anton am Arlberg. »Ausländische Urlauber dürfen die Gebiete noch verlassen, müssen aber an den Kontrollpunkten ein Formular mit den wesentlichen Kontaktdaten vorweisen«, wurde verlautbart, »Personal der Tourismusbetriebe und Gäste aus Österreich dürfen die Gebiete nicht mehr verlassen.« Die Benutzung von Seilbahnanlagen wurde ebenfalls verboten.

      Doch die Seilbahnen liefen weiter. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz gab Freitagmittag eine Pressekonferenz. Er verkündete höchstpersönlich die Quarantäne über die Skiorte. Und während die Behörden den ausländischen Gästen lediglich die Möglichkeit einräumten, nach Bekanntgabe ihrer persönlichen Daten auszureisen, forderte Kurz diese via TV auf, die Urlaubsorte zu verlassen. Dass diese Gäste genauso unter Quarantäne gestellt werden müssten, sagte er nicht. Die Folge waren hektische Stunden. Auswertungen von Mobilfunkdaten zeigen es deutlich: Nachdem das Land Tirol am 13. März die Quarantäne über das Paznauntal verhängt hatte, verließen Massen an Urlaubern die Skigebiete Richtung Heimat. Viele von ihnen brachten das Virus mit nach Hause.

      Wäre es besser gewesen, die Touristen vorher zu testen oder für zwei Wochen zu isolieren? Dominik Oberhofer, Abgeordneter zum Tiroler Landtag (NEOS) und selbst Hotelier, vermutet finanzielle Interessen hinter der verordneten Massenausreise: »Die wollten natürlich nicht die Logie und die Verpflegung der Urlauber für 14 Tage Quarantäne zahlen.« Etwa 7000 Gäste reisten in dicht gedrängten Bussen, Pkws, Taxis ab, aus der vorgesehenen Registrierung wurde meist nichts.

      Statt wie vorgeschrieben die potenziell Infizierten unter Quarantäne zu stellen, wurden die Nicht-Österreicher in einen höchst infektiösen Massen-Exodus geschickt. Der österreichische Verbraucherschutzverein, der inzwischen im Namen von 6000 Geschädigten agiert, die sich in den Tiroler Bergdörfern das Virus geholt hatten, listet die weiteren Folgen auf:

      57 Prozent der in Österreich aufgetretenen Corona-Fälle lassen sich auf Ischgl zurückführen, mehr als zwei Drittel der im Ausland infizierten Deutschen haben sich in Österreich angesteckt, 90 Prozent davon in Tirol. Dazu kommen jeweils Hunderte Infizierte in Norwegen, Schweden, Island, Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz.

       Ground Zero der Alpen

      »Home Of Wahnsinn«, »Ground Zero« der europäischen Corona-Pandemie – an internationaler Negativpresse fehlt es der Skigemeinde im Paznauntal in den letzten Wochen und Monaten nicht. Im Eintrag auf Wikipedia wird Ischgl schon im vierten Satz mit Corona in Verbindung gebracht, der deutsche »Spiegel« ortet in Ischgl »Gier und Versagen«. Der Vorwurf: Zu lange hätte die Tiroler Landespolitik mit der mit ihr verbandelten Tourismusindustrie auf einen Shutdown der Skisaison zugewartet.

      Wie groß der Einfluss der Superspreader-Location auf die Infektionswelle in Deutschland ist, ließ sich bislang nur mutmaßen. Das Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel (IfW) konnte im Mai nun Daten vorlegen. Diese Studie basiert auf Daten des Robert-Koch-Instituts aus 401 deutschen Landkreisen.57 Dabei wurden die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. So werde die »geografische Nähe zu Ischgl in Tirol« als »einer der Hauptrisikofaktoren für eine vergleichsweise hohe Infektionsrate« in der deutschen Bevölkerung angesehen.

      Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts, wird hinsichtlich Ischgl konkreter: »Nicht nur Deutschland wäre ohne die Ischgl-Fälle wohl deutlich glimpflicher davongekommen. So hätten Daten vom 20. März aufgezeigt, »dass ein Drittel aller Fälle in Dänemark und ein Sechstel aller Fälle in Schweden auf Ischgl zurückgeführt werden konnten«.58

       4

       Viren als Motor der Evolution

      

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