Schirach. Oliver Rathkolb

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Schirach - Oliver Rathkolb

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zu treten: »Durch Karls Tod hatte ich mehr verloren als einen Bruder. Er war für mich ein Mensch, zu dem ich aufblickte und dem ich nacheifern wollte. Ich rückte mit meinen zwölf Jahren an seine Stelle. Ich hatte ein Erbe angetreten, das mich zu besonderer Liebe zum Vaterland verpflichtete.«48 Sohn Richard von Schirach hat diese Darstellung als Mythos entlarvt und diesen durch umfassende Recherchen fast zur Gänze dekonstruiert.49 So hätte es keine Hinweise darauf gegeben, dass Karl tatsächlich an der Niederlage des Kaiserreiches innerlich zerbrochen wäre, wie dies Baldur von Schirach so selbstverständlich annahm.

      Für das subjektive Empfinden des Zwölfjährigen mag dies aber eine reale Deutung und Erfahrung gewesen sein. Aus einem »Dreiviertel-Amerikaner« wurde ein »nationalistischer Deutscher«.50 Es war wohl kein Zufall, dass ihn seine Eltern aus dem Waldpädagogium bald wieder nach Hause holten. Vielleicht fürchteten sie um den zweiten Sohn. Übrigens ist bemerkenswert, dass Baldur von Schirach zwar über seinen älteren Bruder Karl schreibt, aber seine um neun Jahre ältere Schwester Rosalind (1898–1981), die eine erfolgreiche Musikkarriere als Opernsängerin einschlagen sollte, nur beiläufig und nebenbei erwähnt.51

      Die Dichterfürsten der Klassik werden als Schirmherren der nationalsozialistischen »Bewegung« missbraucht: Hitler mit Wilhelm Frick, Staatsminister für Inneres und Volksbildung, Fritz Sauckel, dem Gauleiter Thüringens, und seinem Adjutanten Wilhelm Brückner vor dem Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar, 1931.

       3. HIGH TEA MIT HERRN HITLER

       Von der »Knappenschaft« zur SA

      Der Zwölfjährige, der sich verpflichtet sah, das Erbe des Bruders hochzuhalten, musste aber zunächst noch in die Schule gehen. Tat er dies auch wirklich? Über den Schulalltag des jungen Baldur nach seiner Rückkehr von Bad Berka nach Weimar fehlen genauere Informationen, die Vermutung liegt nahe, dass er zu Hause unterrichtet worden ist. Nach eigener Dartstellung hat er als Externer am Realgymnasium in Weimar am Museumsplatz 3, dem heutigen Rathenauplatz, abgeschlossen. Zumindest nennt er diese Schule, an der er nach seinen eigenen Angaben zu Ostern 1927 das Abitur absolviert hätte.52

      Sowohl in seinen Memoiren als auch im SA-Führerfragebogen aus 1932 ist er aber präziser, wenn es um seine politischen Aktivitäten geht. So erwähnt er sogar seine Mitgliedschaft bei der »Knappenschaft« (Preußenbund) in Weimar.53 Der Preußenbund, genauer gesagt der »Bund der Kaisertreuen«, war eine 1913 etablierte konservativ-völkisch-nationalistische Organisation, die der Deutschnationalen Volkspartei nahestand und nach 1918 die Wiedereinführung der Monarchie forderte.54 Dieser »Jugendwehrverband« wurde bereits vom Ministerium des Inneren am 30. September 1922 mit Hinweis auf § 1 der Verordnung zum Schutze der Republik verboten und war in Thüringen eine Nebenorganisation des Jungdeutschen Ordens.55 Enttäuscht berichtet Schirach in seiner Autobiografie von einer kurzen Begegnung mit General Ludendorff, der am 20. Juli 1924 in Weimar eine Formation der Knappenschaft am Weimarer Flugplatz abschritt und im Nachhinein die mangelnde militärische Disziplin der jungen Burschen kritisierte. Auch wenn die Pseudouniformen der »Knappen« nicht wirklich beeindruckend waren – »graue Windjacken und Breeches, als Kopfbedeckung Skimützen aus grauem Segeltuch, ›Hitler-Mützen‹ nannte man sie, seit am 9. November 1923 ein Mann namens Adolf Hitler an der Spitze ähnlich formierter Kolonnen zur Münchner Feldherrnhalle marschiert war«56 –, so hatten sich die »Knappen« vom legendären Feldherrn des Weltkriegs doch mehr Zuwendung erwartet. Ludendorff, mit »gewaltigem, viereckigen Doppelkinn, bärbeißig, unbewegt, abweisend, herabgezogene Mundwinkel«, hielt es nicht einmal für notwendig, einige Begrüßungsworte an die Jungen zu richten. Er hatte, so das knappe Urteil Schirachs, der Jugend nichts mehr zu sagen.57

      In seinem Buch Hitler-Jugend aus 1936 distanzierte sich Schirach explizit von dieser Wehrformation und behauptet, dass er diese ihm »lieb gewordene Wehrorganisation« mit vielen anderen Mitgliedern hätte verlassen müssen, weil er eine Rede für Adolf Hitler gehalten hätte.58 Unbestritten ist, dass auch sein Chef Hans Severus Ziegler den Weg zu den Nationalsozialisten fand. Ziegler, dessen Mutter übrigens wie jene Schirachs ebenfalls Amerikanerin war – sie stammte aus der Familie des deutsch-amerikanischen Musikverlegers Gustav Schirmer –, wurde 1930 Referent im von Wilhelm Frick geleiteten Innen- und Volksbildungsministerium in Thüringen, obwohl die NSDAP nur zwei Abgeordnete stellte, aber die marginale bürgerliche Mehrheit unterstützte.

      In Harald Sanders Itinerar Hitlers59 sind das Datum des Besuchs in Weimar und der ungefähre Ablauf genau rekonstruiert worden. Hitler war am Sonntag, dem 22. März 1925, aus München kommend über Jena mit dem Zug am Saalebahnhof eingetroffen und von einem Parteimitglied per Auto über Isserstedt nach Weimar gebracht worden. Zu seiner Begrüßung war auch die »Knappenschaft« angetreten, darunter der 17-jährige Baldur von Schirach, für den zunächst das Auto des »Führers« interessanter war als der Mann selbst: »Und dann kam Hitler. Das heißt, ich bemerkte ihn zuerst gar nicht. Denn plötzlich fuhr ein Auto vor, wie ich es bis dahin nur im Bild gesehen hatte, ein Mercedes-Kompressor, sechssitzig, mit Speichenrädern. Der letzte Schrei. Ich war so fasziniert, daß ich kaum auf die Männer achtete, die diesem Wunder entstiegen.«60

      Um 16.30 Uhr hielt Hitler im Saal des Schießhauses (1.000 Zuhörer), der bis auf den letzten Platz besetzt war, seine erste Rede in Weimar. Hans Severus Ziegler stellte den Redner kurz vor, dann ergriff Hitler das Wort – für den jungen Gymnasiasten Baldur von Schirach, der zusammen mit seinen Kameraden von der »Knappenschaft« als Saalschützer fungierte, ein Schlüsselerlebnis, das sein Schicksal bestimmen sollte: »An Einzelheiten aus dieser Hitler-Rede erinnere ich mich nicht. Ich weiß nur noch, daß ich beim Klang seiner Stimme aufhorchte. Es war eine ganz andere Stimme, als ich sie bisher von Rednern gehört hatte – von Lehrern, Pfarrern, Offizieren oder Politikern. Die Stimme war tief und rauh, resonant wie ein Cello. Ihr Akzent, den wir für österreichisch hielten – in Wirklichkeit war er niederbayerisch –, wirkte hier in Mitteldeutschland fremdartig und zwang gerade dadurch zum Zuhören.«61 Auch Schirach konnte dieser markanten Stimme nicht entrinnen – die Rede Hitlers im Saal des Weimarer Schießhauses blieb für ihn zeitlebens die stärkste jemals vom »Führer« gehörte.

      Die Hauptangeklagten im Hitler-Prozess 1924 (von links nach rechts): Heinz Pernet, Friedrich Weber, Wilhelm Frick, Hermann Kriebel, Erich Ludendorff, Adolf Hitler, Wilhelm Brückner, Ernst Röhm und Robert Wagner.

      Für Hitler schrieb er Gedichte »so schön wie Goethe«: der Schriftsteller und aggressive Antisemit Dietrich Eckart.

      Ein zweites Mal an das Rednerpult an diesem Abend trat Hitler im Vereinslokal »Erholung« am Goetheplatz 11. Dazwischen ruhte er sich im Wohnhaus von Hans Severus Ziegler in der Johann-Albrecht-Straße 15 (heute Kantstraße) aus, die Wache vor dem Haus übernahmen auf Bitte Zieglers die »Knappen« Baldur von Schirach und sein Freund Hans Donndorf, der als Lehrling bei der Deutschen Bank tätig war. Die beiden Jungen hatten Glück: Als Ziegler und Hitler nach etwa einer Stunde die Wohnung verließen, standen sie plötzlich dem »Führer« gegenüber: »Hitler drückte uns lange die Hand, wobei er uns fest ansah.«62 Ein unvergesslicher Moment – der intensive Augenkontakt mit seinem neuen Abgott versetzte den 17-Jährigen, glaubt man seinen Memoiren, in eine »patriotisch-lyrische Stimmung«, der sofort Ausdruck verliehen werden musste: Er eilte nach Hause und goss seine Empfindungen in glühende Verse:

       Ihr seid viel Tausende hinter mir,

      

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