Schirach. Oliver Rathkolb

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Schirach - Oliver Rathkolb страница 10

Schirach - Oliver Rathkolb

Скачать книгу

als »hochmütigen Mann«, der später das Goldene Parteiabzeichen erhalten hätte. Sein »unseliger« Sohn Baldur, der in der Nazizeit eine »so schimpfliche Rolle« spielen sollte, machte als Gastschüler einen etwas »doven« Eindruck, hätte aber schon damals »aufreizende Gedichte« geschrieben.81

      Zur ersten großen Herausforderung für den jungen SA-Mann wurde im Juli 1926 der 2. Reichsparteitag der NSDAP in Weimar. Auf seinem Fahrrad »raste« Schirach zwischen Bahnhof und Stadt, zwischen Massenquartieren in Wirtshaussälen und Privatunterkünften hin und her, um den Wünschen der teilnehmenden Parteigenossen nachzukommen. Erstmals erlebte er auf der Bühne des Nationaltheaters das Ritual der »Fahnenweihe«: »Die Fahnen und Standarten neuaufgestellter SA-Einheiten weihte Hitler, indem er das neue Tuch mit der Blutfahne berührte. Für uns junge Menschen war das ein sakraler Akt. Hitler schien uns in jenen Augenblicken mehr zu sein als ein Politiker.«82 Schirach erinnerte sich auch an den Auftritt des kahlköpfigen »Judenhassers« Julius Streicher, der seine Zuhörer mit einer Flut von antisemitischen Schimpfwörtern und Drohungen überschüttete – für Schirach in der Retrospektive ein »peinlicher Zwischenfall«. Die braven Weimarer Bürger hätten darüber nur »befremdet« die Köpfe geschüttelt, den »jugendlichen Glauben« Schirachs konnte der rabiate Auftritt des Gauleiters aus Nürnberg allerdings nicht erschüttern. Er hätte das nur für »Schönheitsfehler« gehalten, denn: »Nationalsozialismus – das hieß für mich Hitler, die Kameradschaft der Gleichgesinnten, die Gemeinschaft von hoch und niedrig, arm und reich.«83

      »Hitler schien uns in jenen Augenblicken mehr zu sein als ein Politiker«: der »Führer« am Reichsparteitag in Weimar 1926. Noch marschieren viele im bürgerlichen dunklen Anzug in Hitlers Reihen, bald werden nur mehr braune Uniformen zu sehen sein.

      Zwei zentrale Fragen stellen sich an dieser Stelle, die auch Baldur von Schirach in seinen Erinnerungen thematisiert. Wie gelang es Adolf Hitler, ehemalige politische und kulturelle Eliten aus dem Kaiserreich, die nach wie vor einen bürgerlich-konservativen elitären Lebensstil pflegten, für die NSDAP zu gewinnen? Manche wie etwa Carl von Schirach traten der NSDAP bald bei und bürgten mit ihrem Namen für eine offen antisemitische und antimoderne völkische Kulturorganisation, den »Kampfbund für deutsche Kultur«. Damit unterstützten sie sichtbar und nachhaltig den kulturellen Deutungsmachtanspruch der NSDAP in der für die deutsche Elitengesellschaft so wichtigen nationalen Kultur.

      Carl von Schirach gehörte 1929 zu den 54 Erstunterzeichnern des Gründungsaufrufes für die Schaffung des »Kampfbundes für deutsche Kultur« – eine Initiative, die auf den rassistischen NS-Ideologen Alfred Rosenberg zurückging und ein wichtiges Netzwerk zur Vorbereitung der kulturellen Hegemonie der NSDAP nach 1933 werden sollte. Weitere Unterzeichner waren Adolf Bartels, das Verlegerehepaar Hugo und Elsa Bruckmann, das seinen politischen Salon in München Hitler und anderen NSDAP-Funktionären zur Verfügung gestellt hatte, aber auch Winifred Wagner und Eva Chamberlain, die Witwe des antisemitisch-völkischen Ideologen Houston Stewart Chamberlain.84

      Baldur von Schirach weicht in seinen Memoiren der Frage nach den antidemokratischen Trends dieser genannten Eliten vor 1918 nicht aus und reproduziert ihre Rechtfertigungsargumente wie die Angst vor sozialer Deklassierung nach 1918 oder vor der Machtübernahme durch die Kommunisten und Sozialisten. Betrachtet man jedoch die Berufskarriere Carl von Schirachs genauer, so kann von einem sozialen Abstieg nicht die Rede sein, da er nach seiner Entlassung vom Weimarer Hoftheater 1919 einen Prozess gegen das Land Thüringen gewann und eine Pension erhielt. Auch im Privatleben sind keine Einschnitte zu erkennen: Carl von Schirach behielt eine Theaterloge, und auch der Haushalt der Familie konnte mit Wirtschafterin und Hauspersonal auf herrschaftlichem Niveau weitergeführt werden.

      Die Angst vor der undeutschen Moderne brach über Weimar nicht erst mit dem Aufstieg der NSDAP, sondern bereits vor 1914 herein. Sie führte schon vor 1914 zu einem Erfolg der Antimoderne, wie die erwähnte Debatte um Harry Graf Kesslers modernes Mustertheater für Weimar zeigt.

      Bereits vor 1914 wurde radikal antisemitisch polemisiert und die Demokratie verhöhnt. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs 1917 steigerten sich diese autoritären und radikalen Tendenzen. Lange vor dem für Deutschland extrem ökonomisch und vor allem letztlich psychologisch belastenden Friedensvertrag von Versailles traten die zuvor skizzierten Netzwerke, zu denen auch Carl von Schirach gehörte, gegen einen Friedensschluss auf. Mit der Errichtung einer parlamentarischen Demokratie, die Carl von Schirach und viele in seinem Umfeld bereits vor 1919 vehement abgelehnt hatten und die noch dazu »Weimarer Republik« genannt wurde, schien auch der Alleinvertretungsanspruch für die deutsche Klassik in der Stadt von Goethe und Schiller infrage gestellt.

      Daher war es kein Zufall, sondern Ausdruck dieser antidemokratischen, autoritären Entwicklung in den Kulturnetzwerken Weimars, dass die Nationalsozialisten bereits vor 1933 eine Regierungsbeteiligung in Thüringen hatten. Harry Graf Kessler85, der ehemalige ehrenamtliche Direktor des Museums für Kunst und Kunstgewerbe, bezog klar Stellung gegen einen Erlass des Thüringer Volksbildungsministeriums vom April 1930, in dem es unter dem Titel »Wider die Negerkultur« hieß: »Seit Jahren machen sich fast auf allen kulturellen Gebieten in steigendem Maße fremdrassige Einflüsse geltend, die die sittlichen Kräfte des deutschen Volkstums zu unterwühlen geeignet sind. Einen breiten Raum nehmen dabei die Erzeugnisse ein, die, wie Jazzband- und Schlagzeug-Musik, Negertänze, Negergesänge, Negerstücke, eine Verherrlichung des Negertums darstellen und dem deutschen Kulturempfinden ins Gesicht schlagen. Diese Zersetzungserscheinungen nach Möglichkeit zu unterbinden, liegt im Interesse der Erhaltung und Erstarkung des deutschen Volkstums. Eine gesetzliche Grundlage hierfür bieten die Bestimmungen der §§ 32, 33 a, 53 Abs. 2 der Gewerbeordnung.«86

      Es war dann letztlich auch der Nationalsozialist der ersten Stunde und spätere Intendant des Nationaltheaters in Weimar, Hans Severus Ziegler, der die Ausstellung »Entartete Musik« 1938/39 initiierte.87 Diese antisemitische Hetzausstellung gegen Repräsentanten moderner Musik – die meisten von ihnen auch jüdischer Herkunft – wurde im Rahmen der Reichsmusiktage Düsseldorf gezeigt und war eine Art auf Musiker bezogene Kopie der Ausstellung »Entartete Kunst« aus 1937. Die Ausstellung »Entartete Musik« wurde anschließend in Weimar, München und Wien gezeigt.

       »Ich las es und wurde Antisemit«

      Schirach nannte beim Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg – übrigens gegen den Willen des Vorsitzenden, der an derartigen Hintergrundinformationen nicht interessiert war – drei Bücher, die ihn geprägt hätten: Grundlagen des 19. Jahrhunderts des »Bayreuther Denkers«, wie ihn Schirach beschrieb, Houston Stewart Chamberlain, Adolf Bartels’88 Weltgeschichte der Literatur und Henry Fords Der internationale Jude. Bartels’ Werk relativierte er umgehend, indem er behauptete, dass es »keine ausgesprochen antisemitische Tendenz« hätte, sich jedoch »der Antisemitismus wie ein roter Faden hindurchzog«. Das ausschlaggebende antisemitische Buch, das ihn und seine Kameraden beeinflusste, wäre Fords Der internationale Jude gewesen: »Ich las es und wurde Antisemit. Dieses Buch hat damals auf mich und meine Freunde einen so großen Eindruck gemacht, weil wir in Henry Ford den Repräsentanten des Erfolges, den Repräsentanten aber auch einer fortschrittlichen Sozialpolitik sahen. In dem elenden, armen Deutschland von damals blickte die Jugend nach Amerika, und außer dem großen Wohltäter Herbert Hoover war es Henry Ford, der für uns Amerika repräsentierte.«89

      Hier wandte Schirach ebenfalls eine Strategie der Umdeutung an wie im Falle der rechtskonservativ-völkischen und teilweise antisemitischen Jugendwehrverbände, denen er angehört hatte und die er mit den Pfadfindern des britischen Generals Robert Baden-Powell verglich. Dabei erwähnte er nicht, dass es sich bei Baden-Powells Boy Scouts nicht um eine britisch-nationalistische,

Скачать книгу