Schirach. Oliver Rathkolb

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Schirach - Oliver Rathkolb

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Ich habe keinen Gedanken gelebt,

       der nicht in euren Herzen gebebt.

       Und forme ich Worte, so weiß ich keins,

       das nicht mit eurem Wollen eins,

       denn ich bin ihr, und ihr seid ich,

       und wir alle glauben, Deutschland, an dich. 63

      Am nächsten Tag besuchte Hitler den bereits erwähnten völkisch-antisemitischen Schriftsteller Adolf Bartels in der Lisztstraße 11 und besichtigte das Goethe- und Schillerhaus sowie das barocke Wittumspalais und die Landesbibliothek. Im Goethehaus fiel auch laut Baldur von Schirachs Überlieferung der bekannte Ausspruch Hitlers: »Wissen S’, der Dietrich Eckart hat Gedichte geschrieben, so schön wie Goethe.«64 Der Schriftsteller und aggressive Antisemit Eckart fungierte als Herausgeber der Hetzpostille Auf gut deutsch einer »Wochenschrift für Ordnung und Recht«, in der er seinen abstrusen antisemitisch-völkischen und nationalistischen Ideen freien Lauf lassen konnte und unter dem selbsterfundenen Slogan »Deutschland erwache!« die Weimarer Republik bekämpfte. 1920 übernahm er auch die Chefredaktion des Völkischen Beobachters, des offiziellen Parteiorgans der NSDAP. Kurze Zeit nach dem Hitler-Putsch, am 26. Dezember 1923, verstarb er, nachdem er vorübergehend in Haft gewesen war. Hitler, der Eckart auch finanziell viel verdankte, widmete ihm den ersten Band von Mein Kampf.65

      Schirachs Verse vom 22. März 1925 sorgten indes für Aufsehen: Ziegler, dem er das Gedicht zeigte, druckte es prompt in seiner Postille Der Nationalsozialist ab, andere NS-Zeitungen übernahmen die Verse. Ein Brief aus München von einem »gewissen Rudolf Heß« war die Folge: »Herr Hitler hat Ihr Gedicht in der Gauzeitung gelesen und schickt Ihnen zum Dank beiliegend sein Bild mit einer persönlichen Widmung66 Der heroisch-patriotisch-leidenschaftliche Ton, der von Schirach angeschlagen wurde, kam offenbar bei Hitler gut an, das Pathetisch-Raunende des Gymnasialschülers mit der poetischen Begabung passte perfekt zu seiner Rhetorik. Das Gedicht, das Baldur von Schirach in der Retrospektive treffsicher als eines seiner »zahlreichen schlechten Gedichte«67 bezeichnete, wurde übrigens von Gerhard Pallmann68 vertont und fand Eingang in zahlreiche Liederbücher, auch in solche, die für Schulen gedacht waren. Schirach steckte das ihm von der NSDAP-Zentrale zugesandte Hitlerbild, aufgenommen vom Münchner Fotografen Heinrich Hoffmann, mit dem er in wenigen Jahren privat und geschäftlich eng verbunden sein sollte, in einen silbernen Rahmen und stellte es auf seinen Schreibtisch. Die Begeisterung für den Mann mit dem Bärtchen, zu dem ihm von Ziegler weitere Details zugespielt wurden, wuchs weiter, selbst die Eltern konnten ihn von seiner beinahe kultischen Verehrung für Hitler nicht abbringen.69

      Ein halbes Jahr später, am Mittwoch, dem 28. Oktober 1925, kam Hitler wieder nach Weimar. Er hatte rasch erkannt, dass die Stadt Goethes und Schillers ein guter Boden für die auf Wählersuche befindliche NSDAP war. Diesmal kam er von Nürnberg mit dem Auto. Wieder redete er im Vereinslokal »Erholung«, diesmal vor 800 Teilnehmern, und besuchte dann die Lortzing-Oper Der Wildschütz im Nationaltheater – und nicht, wie sich Baldur von Schirach zu erinnern glaubte, die »Walküre« aus dem »Ring des Nibelungen«.70 Diesmal übernachtete Hitler schon in einem besseren Hotel, dem »Hohenzollern« am Weimarer Bahnhof, und besuchte nach einem von Ziegler arrangierten kurzen Treffen mit Carl von Schirach und seinem Sohn Baldur im Nationaltheater den ehemaligen Generalintendanten zu Hause in der gemieteten Villa in der damaligen Gartenstraße 37. Man trank Tee und sprach über Theater und Musik. Hitler, der in Begleitung von Rudolf Heß gekommen war, wusste, typisch für einen musikinteressierten Laien, mit Aufführungslisten aus Wien zu glänzen und beeindruckte damit den Theaterchef a. D., der auch Opernregie geführt hatte. Der »Führer«, der seinen blauen »Standardanzug« mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte trug, hatte inzwischen gelernt, sich in »besseren Kreisen« formvollendet zu bewegen: Er überreichte Frau Schirach Blumen und küsste ihr die Hand, er »hörte aufmerksam zu, fiel niemandem ins Wort. Es war eine völlig ungezwungene Teestunde.«71 Der »exklusive Patrizier« und der dem Schützengraben des Weltkriegs entstiegene »Agitator der Münchener Biersäle«72 fanden zusammen.

      Auch für den Sohn des Hauses hatte der durchaus sympathische Gast einige Worte parat: »Er fragte mich, was ich werden wolle. Ich hatte damals noch anderthalb Jahre bis zum Abitur und wollte dann studieren. Hitler sagte: ›Wenn Sie studieren, dann kommen Sie doch zu mir nach München‹« – der Satz, der das Leben Schirachs bestimmen sollte.73

      Typisch für Baldur von Schirach war, dass er trotz des positiven Eindrucks, den Hitler durch seine Opernkenntnisse bei Carl von Schirach hinterlassen hatte, vor allem auf die Einschätzung seiner Mutter hörte: »How well he behaves« und »At least a German patriot«.74 Während des Besuchs hatte Hitler überdies ihre kostbaren Empiremöbel, die aus ihrer Aussteuer stammten, bewundert.

      Im konservativ-nationalen Weltbild Carl von Schirachs hatte inzwischen auch die Ideologie des Nationalsozialismus ihren Platz gefunden, und so trat der ehemalige preußische Gardeoffizier der NSDAP bei. Am 6. Dezember 1926 wurde er mit der Mitgliedsnummer 48505 aufgenommen.75 Zwölf Jahre später – inzwischen auf dem Posten des Intendanten am Deutschen Theater in Wiesbaden – wurde anlässlich seines 65. Geburtstages seitens des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda rühmend festgehalten: »Von Schirach ist als Pg. Nr. 48505 und Träger des Goldenen Ehrenzeichens der drittälteste Parteigenosse unter den deutschen Bühnenleitern (nach Staatsrat Dr. Ziegler in Weimar und Intendant Robert Rode in Trier).«76

      Wann sich sein Sohn Baldur von Schirach endgültig von der Knappenschaft trennte, ist unklar, der Abschied von »meinem alten Jugendbund« erfolgte wohl vor dem Abitur, das Engagement für Hitler wurde ihm von den ehemaligen Kameraden als »Verrat an der rein völkischen Sache« ausgelegt.77 Seiner Erinnerung nach machte die Knappenschaft Saalschutzdienste für die NSDAP und andere rechte Parteien und Gruppierungen, um etwaige Übergriffe durch Kommunisten zu verhindern. Schirach berichtet in seiner Autobiografie zwar von keinen Vorfällen, zählt aber stolz seine Dienste bei rechtskonservativ-völkischen nationalistischen Rednern wie General Ludendorff, den Stahlhelmführern Franz Seldte und Theodor Duesterberg oder dem Medienmagnaten Alfred Hugenberg auf.78 Letzterer gehörte der Deutschnationalen Volkspartei an, unterstützte und kontrollierte die rechtsgerichtete Presse und kooperierte mit der NSDAP.

      Mit Schirachs Beitritt zur NSDAP knapp nach seinem 18. Geburtstag am 29. August 1925 (Mitgliedsnummer 17251) wurde er, wie sein Vater Carl, der Ortsgruppe Weimar/Thüringen zugeteilt, wo er den Beitrittsantrag in der »Gaugeschäftsstelle«, einem laut Schirach »schmalbrüstigen Laden in einer der billigsten Wohngegenden«, gestellt hatte. Der monatliche Parteibeitrag betrug 80 Pfennig, am Programm stand für den neuen Parteigenossen, der »felsenfest« daran glaubte, dass Hitler die Macht in Deutschland übernehmen würde, vor allem das Verteilen von Flugblättern. Da er früher als sein Vater der NSDAP beigetreten war, erhielt er bereits am 10. März 1933 das Goldene Ehrenzeichen für verdiente alte Parteimitglieder, Carl von Schirach wurde am 2. März 1934 geehrt.

      1925 wurde der Gymnasiast Schirach auch Mitglied bei der SA in Weimar, galt 1926 aber aus unbekannten Gründen als beurlaubt und schien dann 1927 in den SA-Unterlagen wieder als SA-Mann (Sturm 1) in München auf. Zu Ostern 1927 legte er sein Abitur ab, die Entscheidung über seine Zukunft war im Prinzip bereits gefallen: Er war bereit, dem »Führer« weiter zu folgen: »Fest stand nur eins: Ich wollte nach München, denn dort war Hitler.«79 Zu Ende ging es damit wohl auch mit den musikalischen Ambitionen des Abiturienten – Schirach hatte seit dem 25. September 1923 an der Staatlichen Musikschule von Weimar, heute die Hochschule für Musik Franz Liszt, als Gastschüler in der Klavierklasse von Hermann Oschmann studiert, allerdings, wie er selbst in seinen Erinnerungen einräumte, ohne allzu großen Fleiß zu zeigen. Wie aus seiner Studentenakte hervorgeht, wurde er

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