Schirach. Oliver Rathkolb

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Schirach - Oliver Rathkolb

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eigenen Eintragungen im SA-Führerfragebogen vom 13. März 1931106 zufolge habe er in München vier Semester Germanistik, Anglistik und Kunstgeschichte studiert; laut den Unterlagen der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) sogar fünf Semester – vom Sommer-Halbjahr 1927 bis inklusive Sommer-Halbjahr 1929.107 Die Studentenkartei vermerkt nur das Studium der Germanistik, das auch sein Schwerpunkt gewesen sein dürfte. Über etwaige Prüfungserfolge lässt sich anhand der Unterlagen im Archiv der LMU München keine Aussage treffen. Baldur von Schirach sah, wie er in seinen Memoiren festhält, seine Universitätszeit eher als Nebenbeschäftigung an, im Zentrum stand bereits seine Parteiarbeit für die nationalsozialistische Bewegung.108

      In Erinnerung geblieben sind ihm Vorlesungen über englische Literatur bei Max Förster, einem auch international bekannten Experten für altenglische Philologie, und in Kunstgeschichte bei Wilhelm Pinder. Der aus Kassel stammende Kunsthistoriker war ein betont völkischer Gelehrter109, der unverhohlen die Stärkung der deutschen Nation durch die Rückeroberung der von Slawen eingenommenen »östlichen Wohnsitze« propagierte und über das »germanische Blut- und Geschichtserbe« referierte. Schon 1930 attackierte Pinder öffentlich den Kustos in der Pinakothek August Liebmann Mayer als »Kunstjuden«. Mayer wurde nach 1933 entlassen und nach seiner Flucht nach Frankreich 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten engagierte sich Pinder offen für den Nationalsozialismus und Adolf Hitler, wurde aber trotz Aufnahmeantrag niemals Mitglied der NSDAP.

      Schirach frequentierte eigenen Angaben zufolge auch das Goethe-Kolleg bei Hans Heinrich Borcherdt, der als außerordentlicher Professor für Neuere Deutsche Literatur seit 1926 auch das Institut für Theatergeschichte in München leitete. Wie Baldur von Schirachs Vater war er nicht nur Sohn eines Offiziers, sondern trat auch dem antisemitischen »Kampfbund für deutsche Kultur« bei, dies aber erst 1931. Borcherdt galt unter den NS-Hochschulfunktionären noch 1937 als Anhänger der Bayerischen Volkspartei, der zudem noch mit der »Tochter eines bayerischen Ministers der Systemzeit« verheiratet war.110

      Letztlich gab es keine aktuellen Bedenken gegen ihn, und er erhielt auch eine Reisegenehmigung, um am 2. März 1937 im Deutschen Klub in Wien, einem elitären Netzwerk von Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Antisemiten, über den »Staatsgedanken des deutschen Idealismus« vorzutragen.111 Borcherdt wurde 1942 auf eine ordentliche Professur in Königsberg berufen.

      Schirach junior meinte im übrigen mit selbstbewusster Überheblichkeit auch als Mitglied der Shakespeare-Gesellschaft in Weimar alle bekannten Anglisten Deutschlands schon gekannt zu haben.112

      In seinen Erinnerungen nennt Schirach weitere beeindruckende Wissenschaftler, die er in den Salons der Familie des Geheimrats Schick und vor allem durch den Salon der Bruckmanns kennengelernt hatte. Dazu gehörten beispielsweise der Romanist Karl Vossler, der Historiker Hermann Oncken und der Ägyptologe Wilhelm Spiegelberg, die kurz auch politisch zugeordnet werden sollen.

      Vossler, ein bedeutender Romanist, ist die große politische Ausnahme in der hier referierten Liste. So sprach er sich als Rektor 1926/27 für die Gleichstellung der jüdischen Studentenverbindungen aus und ließ bei Feiern das bei Rechtskonservativen und Nationalsozialisten verpönte schwarz-rot-goldene Reichsbanner hissen.113 1930 ging er sogar so weit, öffentlich zu fragen: »Wie werden wir die Schande des Antisemitismus los?«114 Er wurde 1937 vom NS-Regime zwangspensioniert.

      Professoren an der LMU München, an die er sich später noch erinnerte: der Anglist Josef Schick (oben), der deutsch-jüdische Ägyptologe Wilhelm Spiegelberg (Mitte) und der Kunsthistoriker und Antisemit Wilhelm Pinder.

      Es ist wohl anzunehmen, dass Schirach Vossler im Salon von Geheimrat Josef Schick, der wie sein Vater aktives Mitglied der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft war115, kennengelernt hat. Schick selbst hatte zwei Jahre in England studiert und war ein ausgezeichneter Mathematiker und habilitierter Anglist. Von 1896 bis zu seiner Emeritierung 1925 lehrte er an der LMU München. Er war ein weitgereister Gelehrter, der auch 1911/12 an der Columbia University in New York unterrichtet hatte und mit einer Engländerin verheiratet war. Trotz seines hohen Alters – Schick wurde 1859 in Rißtissen bei Ulm geboren –, meldete er sich freiwillig zum Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg und war durchaus deutschnational eingestellt.116 Schick wohnte in der Ainmillerstraße 4 in München und lud auch den jungen Baldur von Schirach zu diversen Treffen in seine Wohnung ein.

      So berichtete Victor Klemperer in seinem Revolutionstagebuch 1919 über einen Besuch mit seiner Frau Eva Schlemmer, einer Konzertpianistin, bei Schick, dessen Vorlesungen er schon 1902 gehört hatte. Da aber nur dessen Frau, Mary Schick, geborene Butcher, zu Hause war, entwickelte sich ein Gespräch zwischen den beiden Frauen, bei dem Frau Schick meinte: »… ob wir denn wirklich dächten, daß die Engländer den Krieg gewollt hätten? So wenig wie die Deutschen, so wenig wie die Franzosen seien sie blutgierig gewesen, niemand, nein niemand habe dieses Morden auf dem Gewissen außer ganz allein die Juden, denen allein er Gewinn gebracht habe. Wir sahen die alten Damen in schweigender Verblüfftheit an, sie nahm es für Mitgefühl und predigte weiter über die schwesterliche Verbundenheit aller weiblichen Herzen.«117 Der habilitierte Romanist Klemperer, der konvertierter Jude war, registrierte den Antisemitismus im Hause Schick bereits um 1919.

      Der Historiker Hermann Oncken, der zwar vaterländisch eingestellt war und 1915 bis 1918 im badischen Landtag als nationalliberaler Abgeordneter tätig war, passte eigentlich so wie Vossler nicht in das antisemitisch-völkische und antidemokratische Umfeld Schirachs. Oncken galt als »Vernunftrepublikaner«. Gleichzeitig votierte er wie viele andere bereits vor 1933 für den »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich und wäre deswegen 1923 fast an die Universität Wien gegangen.118 1929 hielt er in Berlin eine Gedenkrede »aus Anlass des 10-jährigen Bestehens der Weimarer Verfassung«.119 Oncken versuchte, den Brückenschlag zwischen Sozialdemokratie und dem Bürgertum, aber auch zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik zu propagieren. Damit wollte er die Studenten für den demokratischen Nationalstaat, die Weimarer Republik, gewinnen – durch eine Art »organische Verbindung« zwischen »deutscher Vergangenheit und deutscher Zukunft«.120 Nach 1935 überwarf er sich mit den Nationalsozialisten, deren antisemitisch-rassistisches Geschichtsbild er nicht teilte, und wurde daher zwangspensioniert.121

      Die letzte interessante Persönlichkeit aus seiner Studienzeit war der deutsch-jüdische Ägyptologe Wilhelm Spiegelberg, der zum Protestantismus übergetreten war und seit 1923 den Lehrstuhl für Ägyptologie in München leitete.122 Er ist der einzige Wissenschaftler jüdischer Herkunft, den Schirach in seinen Memoiren nennt. Spiegelberg, der 1930 nach einer Operation verstarb, fühlte sich voll assimiliert und zeigte sich »bestürzt« über das »auffällige, oft herausfordernde Gehaben mancher Juden« auf der Straße und beklagte das Make-up und die »übertriebene« Kleidung jüdischer Frauen.123

      Baldur von Schirachs intellektuelles Netzwerk in und außerhalb der Ludwig-Maximilians-Universität in München verstärkte den Weimarer Grunddiskurs in Richtung Antisemitismus, Deutschnationalismus und Demokratiefeindlichkeit, trotz der genannten zwei Ausnahmen Oncken sowie vor allem Vossler. Kaum vorstellbar, dass Schirach wirklich von Vossler beeindruckt war.

      Aber noch wichtiger für Ausbau und Festigung der politischen Netzwerke aus Familie und Weimarer Umfeld waren die intensiven Kontakte, die der junge NS-Karrierist im Salon von Elsa und Hugo Bruckmann knüpfte.124 Elsa Bruckmann, geboren 1865 im oberösterreichischen Traundorf bei Gmunden, war die Tochter des

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